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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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VI.
Eine poetische Episode.

Ist es dir schon einmal vorgekommen, ehrlicher Philister, früher, als dn
jung warst, daß du mit deinen Freunden die Nacht durchschwärmt hast und wüst
im Kopf, müde und langweilig, bei Tagesanbruch dir eine Motion in's Freie
machtest, um dir die Füße zu vertreten und den Kopf etwas zu lüften? Du
hast vielleicht -- denn du warst ein deutscher Jüngling -- in deinem Rausch
über die Leiden dieser Welt declamirt von dem Verkennen eines edlen Her¬
zens, von der Abscheulichkeit der Tyrannei; dn ließest Staatsgespräche von dei¬
nen Lippen schallen und legtest dich auf ein SondcrlingSbetragen. Du warst
überzeugt von deiner Größe und deinem Elend, du warst nicht abgeneigt, die
Kreuze aus der Erde zu reißen und Schwerter daraus zu schmieden, du groll¬
test mit Gott, denn aller Katzenjammer dieser Welt war dir in den Magen
gefahren.

Ist dir das nie vorgekommen? Dummes Zeug, brummst du, ich habe von
früh an die doppelte Buchhaltung gelernt, und wenn ich mir einmal etwas
dero gethan, so waren meine Träume immer raisonnabcl; ich ließ mich von
flcischgcwordncn Actien umtanzen und führte mit dem Baron Rothschild einen
Cottillon auf.

Es ist wahr, ich vergaß, daß ich in Leipzig bin. Aber vielleicht hast dn
unter deinen Bekannten einen ausländischen Musensohn; laß dir von ihm er¬
zählen, wie es einem in einer solchen Stimmung zu Muthe ist. Er sieht in
diesem Augenblick die Bäume im Rosenthal für nichts anders an als für grüne
Fragezeichen der Freiheit, eine unbestimmte Sehnsucht dehnt seinen Busen, etwa
nach einer Gose, oder einem Häringssalat, dieser dialektischen Kraft, die den
Sturm seines Innern zu beschwören im Stande wäre.

Und nun hat sich gerade ein Vöglein auf seinen Weg verirrt, etwa eine
Lerche, und singt ihre Frühmette, ohne sich viel dabei zu denken. Im Anfang
wird er wohl ausrufen: das ist eine Anspielung auf Herwegh! Die Lerche war's,
nicht die Nachtigall! auf und vertreibt die Tyrannen! Aber das Vöglein singt
immer fort und es will keine Marseillaise daraus werden, und der Apostel der
Freiheit kann sich des süßen Tones nicht erwehren, und es wird ihm so jugend¬
lich zu Muthe, als gebe es noch andere Dinge als Philosophie und Staats-
weisheit.

Oder du selbst, braver Mann, der du nie eine falsche Ziffer in deinem
Hauptbuch geduldet hast, hat deine Frau nicht einmal ein Töchterchen gehabt,
die dir irgend einen dummen Vers zum Geburtstag aussagte, wenn du im Schlaf¬
rock und mit der Pfeife die gebührenden Huldigungen deiner Familie aufnahmst,
und hat dabei ein so schelmisches Gesicht gemacht, daß du schmunzeln mußtest
und ausriefst: "Närrische Kröte!"

Ich will damit nur sagen, daß selbst im Leben des Frcihcitsavostcls und
des Wechslers Augenblicke vorkommen, wo er poetisch wird.

Nun ist Leipzig eine gute Stadt, eine brave, honette Stadt, aber man


VI.
Eine poetische Episode.

Ist es dir schon einmal vorgekommen, ehrlicher Philister, früher, als dn
jung warst, daß du mit deinen Freunden die Nacht durchschwärmt hast und wüst
im Kopf, müde und langweilig, bei Tagesanbruch dir eine Motion in's Freie
machtest, um dir die Füße zu vertreten und den Kopf etwas zu lüften? Du
hast vielleicht — denn du warst ein deutscher Jüngling — in deinem Rausch
über die Leiden dieser Welt declamirt von dem Verkennen eines edlen Her¬
zens, von der Abscheulichkeit der Tyrannei; dn ließest Staatsgespräche von dei¬
nen Lippen schallen und legtest dich auf ein SondcrlingSbetragen. Du warst
überzeugt von deiner Größe und deinem Elend, du warst nicht abgeneigt, die
Kreuze aus der Erde zu reißen und Schwerter daraus zu schmieden, du groll¬
test mit Gott, denn aller Katzenjammer dieser Welt war dir in den Magen
gefahren.

Ist dir das nie vorgekommen? Dummes Zeug, brummst du, ich habe von
früh an die doppelte Buchhaltung gelernt, und wenn ich mir einmal etwas
dero gethan, so waren meine Träume immer raisonnabcl; ich ließ mich von
flcischgcwordncn Actien umtanzen und führte mit dem Baron Rothschild einen
Cottillon auf.

Es ist wahr, ich vergaß, daß ich in Leipzig bin. Aber vielleicht hast dn
unter deinen Bekannten einen ausländischen Musensohn; laß dir von ihm er¬
zählen, wie es einem in einer solchen Stimmung zu Muthe ist. Er sieht in
diesem Augenblick die Bäume im Rosenthal für nichts anders an als für grüne
Fragezeichen der Freiheit, eine unbestimmte Sehnsucht dehnt seinen Busen, etwa
nach einer Gose, oder einem Häringssalat, dieser dialektischen Kraft, die den
Sturm seines Innern zu beschwören im Stande wäre.

Und nun hat sich gerade ein Vöglein auf seinen Weg verirrt, etwa eine
Lerche, und singt ihre Frühmette, ohne sich viel dabei zu denken. Im Anfang
wird er wohl ausrufen: das ist eine Anspielung auf Herwegh! Die Lerche war's,
nicht die Nachtigall! auf und vertreibt die Tyrannen! Aber das Vöglein singt
immer fort und es will keine Marseillaise daraus werden, und der Apostel der
Freiheit kann sich des süßen Tones nicht erwehren, und es wird ihm so jugend¬
lich zu Muthe, als gebe es noch andere Dinge als Philosophie und Staats-
weisheit.

Oder du selbst, braver Mann, der du nie eine falsche Ziffer in deinem
Hauptbuch geduldet hast, hat deine Frau nicht einmal ein Töchterchen gehabt,
die dir irgend einen dummen Vers zum Geburtstag aussagte, wenn du im Schlaf¬
rock und mit der Pfeife die gebührenden Huldigungen deiner Familie aufnahmst,
und hat dabei ein so schelmisches Gesicht gemacht, daß du schmunzeln mußtest
und ausriefst: „Närrische Kröte!"

Ich will damit nur sagen, daß selbst im Leben des Frcihcitsavostcls und
des Wechslers Augenblicke vorkommen, wo er poetisch wird.

Nun ist Leipzig eine gute Stadt, eine brave, honette Stadt, aber man


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[0136] VI. Eine poetische Episode. Ist es dir schon einmal vorgekommen, ehrlicher Philister, früher, als dn jung warst, daß du mit deinen Freunden die Nacht durchschwärmt hast und wüst im Kopf, müde und langweilig, bei Tagesanbruch dir eine Motion in's Freie machtest, um dir die Füße zu vertreten und den Kopf etwas zu lüften? Du hast vielleicht — denn du warst ein deutscher Jüngling — in deinem Rausch über die Leiden dieser Welt declamirt von dem Verkennen eines edlen Her¬ zens, von der Abscheulichkeit der Tyrannei; dn ließest Staatsgespräche von dei¬ nen Lippen schallen und legtest dich auf ein SondcrlingSbetragen. Du warst überzeugt von deiner Größe und deinem Elend, du warst nicht abgeneigt, die Kreuze aus der Erde zu reißen und Schwerter daraus zu schmieden, du groll¬ test mit Gott, denn aller Katzenjammer dieser Welt war dir in den Magen gefahren. Ist dir das nie vorgekommen? Dummes Zeug, brummst du, ich habe von früh an die doppelte Buchhaltung gelernt, und wenn ich mir einmal etwas dero gethan, so waren meine Träume immer raisonnabcl; ich ließ mich von flcischgcwordncn Actien umtanzen und führte mit dem Baron Rothschild einen Cottillon auf. Es ist wahr, ich vergaß, daß ich in Leipzig bin. Aber vielleicht hast dn unter deinen Bekannten einen ausländischen Musensohn; laß dir von ihm er¬ zählen, wie es einem in einer solchen Stimmung zu Muthe ist. Er sieht in diesem Augenblick die Bäume im Rosenthal für nichts anders an als für grüne Fragezeichen der Freiheit, eine unbestimmte Sehnsucht dehnt seinen Busen, etwa nach einer Gose, oder einem Häringssalat, dieser dialektischen Kraft, die den Sturm seines Innern zu beschwören im Stande wäre. Und nun hat sich gerade ein Vöglein auf seinen Weg verirrt, etwa eine Lerche, und singt ihre Frühmette, ohne sich viel dabei zu denken. Im Anfang wird er wohl ausrufen: das ist eine Anspielung auf Herwegh! Die Lerche war's, nicht die Nachtigall! auf und vertreibt die Tyrannen! Aber das Vöglein singt immer fort und es will keine Marseillaise daraus werden, und der Apostel der Freiheit kann sich des süßen Tones nicht erwehren, und es wird ihm so jugend¬ lich zu Muthe, als gebe es noch andere Dinge als Philosophie und Staats- weisheit. Oder du selbst, braver Mann, der du nie eine falsche Ziffer in deinem Hauptbuch geduldet hast, hat deine Frau nicht einmal ein Töchterchen gehabt, die dir irgend einen dummen Vers zum Geburtstag aussagte, wenn du im Schlaf¬ rock und mit der Pfeife die gebührenden Huldigungen deiner Familie aufnahmst, und hat dabei ein so schelmisches Gesicht gemacht, daß du schmunzeln mußtest und ausriefst: „Närrische Kröte!" Ich will damit nur sagen, daß selbst im Leben des Frcihcitsavostcls und des Wechslers Augenblicke vorkommen, wo er poetisch wird. Nun ist Leipzig eine gute Stadt, eine brave, honette Stadt, aber man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/136>, abgerufen am 01.09.2024.