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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Enkelin Wlastä's als eine Grausamkeit -- sie trocknete daher die Thränen,
setzte sich auf und blickte Theodor fest an.

"Damals habe ich Sie noch gar nicht gekannt," sagte sie, ihre schluch¬
zende weiche Stimme bis zum Tenor kräftigend, und wenn ich Jemand ver¬
sprochen habe, ihm treu zu sein, so bleibe ich es auch für mein ganzes Leben.
Aber Sie, Sie haben schon heute" -- die Stimme ward wieder weich und
die Thränen strömten unaufhaltsam. -- "Was denn? was denn?" fragte Theo¬
dor etwas erschrocken. -- "O ich Hab'S recht gut gesehen, wie Sie mit der
Frau Baronin heute -- ach das ist auch nicht schön von Ihnen -- wenn
sie auch eine Baronin ist, und ich nur ein armes Mädchen."

Theodor bekam einen so sichtbaren Schreck, daß Betel aufhörte zu wei¬
nen und ihre vorige entschiedene Haltung wieder annahm.

"Ich weiß schon, daß Sie der Baronin gefallen -- ich habe es schon
in Prag und auf der Reise gesehen, aber ich lasse mir meinen Geliebten
nicht nehmen, nicht war mein Gold? Du hast mich lieb -- die Baronin ist
doch schon ein altes Weib."

Sie küßte Theodor und schlug die Arme um ihn -- und der von all'
den wechselnden Empfindungen, in die Betel mit aller Hast ihn hineingezogen,
förmlich übergossene Liebhaber war froh, wieder etwas so Bestimmtes zu füh¬
len, wie ein Kuß von dem frischen blühenden Munde Betel'S. Aber in dem
Augenblicke, wo er sie an seine Brust zog, wurde die Thüre aufgerissen und
die Baronin trat mit einem junonischen Blicke in das Zimmer. Obwohl
das Paar beim ersten Geräusch weit auseinanderfuhr, so war die Situation
doch eine so kritische, daß alle drei betroffen still schwiegen.

Die Baronin faßte sich zuerst, lachte höhnisch und ging hinaus, die Thüre
mit einiger Vehemenz hinter sich zuwerfend. Theodor war vernichtet -- Betel
fand, wie die Gebieterin draußen war, ihre Fassung wieder und sagte "Was
ist denn'd'ran!"

Es wurde zu Tisch geläutet -- Betel ging mit dem Troste, daß es ja
am Ende gleichgültig sei ob es die Baronin wisse oder nicht, -- Theodor
aber wankte in den Speisesaal wie ein Missethäter, sogar sein akademischer
Hunger war ihm vergangen und er verbrannte sich den Mund an der Suppe,
biß sich in die Zunge und zuletzt blieb ihm ein Hühnerkochen dergestalt im
Halse stecken, daß er aufspringen und Hinausgehen mußte. Der Baron aß
unbekümmert weiter, die Baronin aber machte eine bissige Bemerkung um die
andere als Theodor mit einer Leichenbittermiene wiederkam und in feiner
Herzensnoth ein Glas um das andere austrank.


Enkelin Wlastä's als eine Grausamkeit — sie trocknete daher die Thränen,
setzte sich auf und blickte Theodor fest an.

„Damals habe ich Sie noch gar nicht gekannt," sagte sie, ihre schluch¬
zende weiche Stimme bis zum Tenor kräftigend, und wenn ich Jemand ver¬
sprochen habe, ihm treu zu sein, so bleibe ich es auch für mein ganzes Leben.
Aber Sie, Sie haben schon heute" — die Stimme ward wieder weich und
die Thränen strömten unaufhaltsam. — „Was denn? was denn?" fragte Theo¬
dor etwas erschrocken. — „O ich Hab'S recht gut gesehen, wie Sie mit der
Frau Baronin heute — ach das ist auch nicht schön von Ihnen — wenn
sie auch eine Baronin ist, und ich nur ein armes Mädchen."

Theodor bekam einen so sichtbaren Schreck, daß Betel aufhörte zu wei¬
nen und ihre vorige entschiedene Haltung wieder annahm.

„Ich weiß schon, daß Sie der Baronin gefallen — ich habe es schon
in Prag und auf der Reise gesehen, aber ich lasse mir meinen Geliebten
nicht nehmen, nicht war mein Gold? Du hast mich lieb — die Baronin ist
doch schon ein altes Weib."

Sie küßte Theodor und schlug die Arme um ihn — und der von all'
den wechselnden Empfindungen, in die Betel mit aller Hast ihn hineingezogen,
förmlich übergossene Liebhaber war froh, wieder etwas so Bestimmtes zu füh¬
len, wie ein Kuß von dem frischen blühenden Munde Betel'S. Aber in dem
Augenblicke, wo er sie an seine Brust zog, wurde die Thüre aufgerissen und
die Baronin trat mit einem junonischen Blicke in das Zimmer. Obwohl
das Paar beim ersten Geräusch weit auseinanderfuhr, so war die Situation
doch eine so kritische, daß alle drei betroffen still schwiegen.

Die Baronin faßte sich zuerst, lachte höhnisch und ging hinaus, die Thüre
mit einiger Vehemenz hinter sich zuwerfend. Theodor war vernichtet — Betel
fand, wie die Gebieterin draußen war, ihre Fassung wieder und sagte „Was
ist denn'd'ran!"

Es wurde zu Tisch geläutet — Betel ging mit dem Troste, daß es ja
am Ende gleichgültig sei ob es die Baronin wisse oder nicht, — Theodor
aber wankte in den Speisesaal wie ein Missethäter, sogar sein akademischer
Hunger war ihm vergangen und er verbrannte sich den Mund an der Suppe,
biß sich in die Zunge und zuletzt blieb ihm ein Hühnerkochen dergestalt im
Halse stecken, daß er aufspringen und Hinausgehen mußte. Der Baron aß
unbekümmert weiter, die Baronin aber machte eine bissige Bemerkung um die
andere als Theodor mit einer Leichenbittermiene wiederkam und in feiner
Herzensnoth ein Glas um das andere austrank.


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[0076] Enkelin Wlastä's als eine Grausamkeit — sie trocknete daher die Thränen, setzte sich auf und blickte Theodor fest an. „Damals habe ich Sie noch gar nicht gekannt," sagte sie, ihre schluch¬ zende weiche Stimme bis zum Tenor kräftigend, und wenn ich Jemand ver¬ sprochen habe, ihm treu zu sein, so bleibe ich es auch für mein ganzes Leben. Aber Sie, Sie haben schon heute" — die Stimme ward wieder weich und die Thränen strömten unaufhaltsam. — „Was denn? was denn?" fragte Theo¬ dor etwas erschrocken. — „O ich Hab'S recht gut gesehen, wie Sie mit der Frau Baronin heute — ach das ist auch nicht schön von Ihnen — wenn sie auch eine Baronin ist, und ich nur ein armes Mädchen." Theodor bekam einen so sichtbaren Schreck, daß Betel aufhörte zu wei¬ nen und ihre vorige entschiedene Haltung wieder annahm. „Ich weiß schon, daß Sie der Baronin gefallen — ich habe es schon in Prag und auf der Reise gesehen, aber ich lasse mir meinen Geliebten nicht nehmen, nicht war mein Gold? Du hast mich lieb — die Baronin ist doch schon ein altes Weib." Sie küßte Theodor und schlug die Arme um ihn — und der von all' den wechselnden Empfindungen, in die Betel mit aller Hast ihn hineingezogen, förmlich übergossene Liebhaber war froh, wieder etwas so Bestimmtes zu füh¬ len, wie ein Kuß von dem frischen blühenden Munde Betel'S. Aber in dem Augenblicke, wo er sie an seine Brust zog, wurde die Thüre aufgerissen und die Baronin trat mit einem junonischen Blicke in das Zimmer. Obwohl das Paar beim ersten Geräusch weit auseinanderfuhr, so war die Situation doch eine so kritische, daß alle drei betroffen still schwiegen. Die Baronin faßte sich zuerst, lachte höhnisch und ging hinaus, die Thüre mit einiger Vehemenz hinter sich zuwerfend. Theodor war vernichtet — Betel fand, wie die Gebieterin draußen war, ihre Fassung wieder und sagte „Was ist denn'd'ran!" Es wurde zu Tisch geläutet — Betel ging mit dem Troste, daß es ja am Ende gleichgültig sei ob es die Baronin wisse oder nicht, — Theodor aber wankte in den Speisesaal wie ein Missethäter, sogar sein akademischer Hunger war ihm vergangen und er verbrannte sich den Mund an der Suppe, biß sich in die Zunge und zuletzt blieb ihm ein Hühnerkochen dergestalt im Halse stecken, daß er aufspringen und Hinausgehen mußte. Der Baron aß unbekümmert weiter, die Baronin aber machte eine bissige Bemerkung um die andere als Theodor mit einer Leichenbittermiene wiederkam und in feiner Herzensnoth ein Glas um das andere austrank.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/76>, abgerufen am 01.07.2024.