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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Straßburg gestanden, so würde ziemlich sicher die Pairskammer eines Bessern be¬
lehrt worden sein und vielleicht anch anders entschieden haben, --
'

Der Prozeß Herrn v. Girardins hat die Aufmerksamkeit noch weit mehr
auf die gestrige Sitzung der Pairskammer gelenkt. Heute aber steht alle Welt
ganz verblüfft da und weiß gar nicht recht, was von der Freisprechung des
tapfern Redacteurs der "Presse" denken. Ich gestehe gerne, daß ich selbst zu
denen gehöre, denen die Sache ein Räthsel ist. Herr v. Girardin erklärt, er
wisse, daß man die Pairswürde für 80,000 Fr. versprochen habe. Dafür be¬
schließt die edle Kammer ihn anzuklagen, und fordert sich den Verbrecher von
der Deputirtenkammer heraus. Diese sträubt sich theilweise, gibt aber zuletzt
den Beleidiger her: und dann kommt dieser Frevler vor die Pairskammer, er¬
klärt, daß er dieselbe nicht habe beleidigen wollen; aber daß die Thatsache, die
er enthüllt, für ihn außer allem Zweifel, sei, und daß er sie nicht beweise, weil
er dazu keine Lust habe, da er Personen zu nennen nicht für seiner Ehre an¬
gemessen halte. Und nun stimmt die hohe Kammer ab und spricht den Ange¬
klagten frei. Dieser behauptet vor wie nach, daß man die Pairswürde für
80,000 Franken feilgeboten habe. Die Herren Pairs haben sicher ein Recht,
diese Anklage nicht auf sich beruhen zu lassen. Entweder hat Herr v. Girardin
den Beweis dessen, was er sagt, und dann scheint mir, daß die Herren Pairs
ein Interesse haben zu wissen, wer ihre Würde scilbietct. Oder er hat den
Beweis nicht, und dann hat Herr v. Girardin, um seinen Feinden zu schaden,
seinen Freunden in's Gesicht geschlagen. Man behauptet hente vielfach, daß die
beiden Minister sich mit Herrn v. Girardin abgefunden und daß der Friede
zwischen diesen bittern Feinden wieder hergestellt sei. Aber selbst dann löst sich
das Räthsel nicht ganz. Herr v. Girardin bleibt fest bei seinen Behauptungen;
schließt die Regierung in dieser Stellung Frieden mit ihm, so wäre dieser Friede
selbst einer der glänzendsten Siege, die Herr v. Girardin je davongetragen hätte;
so wäre dieser Friedensschluß selbst einer der klarsten Belege zu allen den Be¬
schuldigungen, die die "Presse" gegen die beiden Minister je vorgebracht hätte.
Zur Ehre der letztem wollen wir hoffen, daß die Wendung der Dinge auf einem
jener Spiele des Zufalls beruht, die sehr oft dort herrschen, wo keine feste Hand die
Ereignisse lenkt. Diese feste Hand scheint gegenwärtig nicht mehr das Steuer¬
ruder der französischen Zustände zu führen. Und daher entstehen alle Tage Jn-
zidentstreitfragen, die gestern noch Niemand ahndete und die morgen gerade wieder
so untergehen und verschwinden, wie sie aufgetaucht waren. Die Sache ist lang¬
weilig im höchsten Grade, sie spannt, ohne zu befriedigen, sie treibt an, ohne
zu einem Ziele zu führen. Es gehören gesunde Nerven dazu, um nicht müde
zu werden. -- Doch -- beim Himmel -- ich sehe nicht ein, wozu ich
Ihre Leser noch länger über diesen Unsinn und diese Tretmühlenpolitik lang-
weilen soll.


A -v.
Gr-Njbotm II. >S<7.76

Straßburg gestanden, so würde ziemlich sicher die Pairskammer eines Bessern be¬
lehrt worden sein und vielleicht anch anders entschieden haben, —
'

Der Prozeß Herrn v. Girardins hat die Aufmerksamkeit noch weit mehr
auf die gestrige Sitzung der Pairskammer gelenkt. Heute aber steht alle Welt
ganz verblüfft da und weiß gar nicht recht, was von der Freisprechung des
tapfern Redacteurs der „Presse" denken. Ich gestehe gerne, daß ich selbst zu
denen gehöre, denen die Sache ein Räthsel ist. Herr v. Girardin erklärt, er
wisse, daß man die Pairswürde für 80,000 Fr. versprochen habe. Dafür be¬
schließt die edle Kammer ihn anzuklagen, und fordert sich den Verbrecher von
der Deputirtenkammer heraus. Diese sträubt sich theilweise, gibt aber zuletzt
den Beleidiger her: und dann kommt dieser Frevler vor die Pairskammer, er¬
klärt, daß er dieselbe nicht habe beleidigen wollen; aber daß die Thatsache, die
er enthüllt, für ihn außer allem Zweifel, sei, und daß er sie nicht beweise, weil
er dazu keine Lust habe, da er Personen zu nennen nicht für seiner Ehre an¬
gemessen halte. Und nun stimmt die hohe Kammer ab und spricht den Ange¬
klagten frei. Dieser behauptet vor wie nach, daß man die Pairswürde für
80,000 Franken feilgeboten habe. Die Herren Pairs haben sicher ein Recht,
diese Anklage nicht auf sich beruhen zu lassen. Entweder hat Herr v. Girardin
den Beweis dessen, was er sagt, und dann scheint mir, daß die Herren Pairs
ein Interesse haben zu wissen, wer ihre Würde scilbietct. Oder er hat den
Beweis nicht, und dann hat Herr v. Girardin, um seinen Feinden zu schaden,
seinen Freunden in's Gesicht geschlagen. Man behauptet hente vielfach, daß die
beiden Minister sich mit Herrn v. Girardin abgefunden und daß der Friede
zwischen diesen bittern Feinden wieder hergestellt sei. Aber selbst dann löst sich
das Räthsel nicht ganz. Herr v. Girardin bleibt fest bei seinen Behauptungen;
schließt die Regierung in dieser Stellung Frieden mit ihm, so wäre dieser Friede
selbst einer der glänzendsten Siege, die Herr v. Girardin je davongetragen hätte;
so wäre dieser Friedensschluß selbst einer der klarsten Belege zu allen den Be¬
schuldigungen, die die „Presse" gegen die beiden Minister je vorgebracht hätte.
Zur Ehre der letztem wollen wir hoffen, daß die Wendung der Dinge auf einem
jener Spiele des Zufalls beruht, die sehr oft dort herrschen, wo keine feste Hand die
Ereignisse lenkt. Diese feste Hand scheint gegenwärtig nicht mehr das Steuer¬
ruder der französischen Zustände zu führen. Und daher entstehen alle Tage Jn-
zidentstreitfragen, die gestern noch Niemand ahndete und die morgen gerade wieder
so untergehen und verschwinden, wie sie aufgetaucht waren. Die Sache ist lang¬
weilig im höchsten Grade, sie spannt, ohne zu befriedigen, sie treibt an, ohne
zu einem Ziele zu führen. Es gehören gesunde Nerven dazu, um nicht müde
zu werden. — Doch — beim Himmel — ich sehe nicht ein, wozu ich
Ihre Leser noch länger über diesen Unsinn und diese Tretmühlenpolitik lang-
weilen soll.


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Gr-Njbotm II. >S<7.76
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[0589] Straßburg gestanden, so würde ziemlich sicher die Pairskammer eines Bessern be¬ lehrt worden sein und vielleicht anch anders entschieden haben, — ' Der Prozeß Herrn v. Girardins hat die Aufmerksamkeit noch weit mehr auf die gestrige Sitzung der Pairskammer gelenkt. Heute aber steht alle Welt ganz verblüfft da und weiß gar nicht recht, was von der Freisprechung des tapfern Redacteurs der „Presse" denken. Ich gestehe gerne, daß ich selbst zu denen gehöre, denen die Sache ein Räthsel ist. Herr v. Girardin erklärt, er wisse, daß man die Pairswürde für 80,000 Fr. versprochen habe. Dafür be¬ schließt die edle Kammer ihn anzuklagen, und fordert sich den Verbrecher von der Deputirtenkammer heraus. Diese sträubt sich theilweise, gibt aber zuletzt den Beleidiger her: und dann kommt dieser Frevler vor die Pairskammer, er¬ klärt, daß er dieselbe nicht habe beleidigen wollen; aber daß die Thatsache, die er enthüllt, für ihn außer allem Zweifel, sei, und daß er sie nicht beweise, weil er dazu keine Lust habe, da er Personen zu nennen nicht für seiner Ehre an¬ gemessen halte. Und nun stimmt die hohe Kammer ab und spricht den Ange¬ klagten frei. Dieser behauptet vor wie nach, daß man die Pairswürde für 80,000 Franken feilgeboten habe. Die Herren Pairs haben sicher ein Recht, diese Anklage nicht auf sich beruhen zu lassen. Entweder hat Herr v. Girardin den Beweis dessen, was er sagt, und dann scheint mir, daß die Herren Pairs ein Interesse haben zu wissen, wer ihre Würde scilbietct. Oder er hat den Beweis nicht, und dann hat Herr v. Girardin, um seinen Feinden zu schaden, seinen Freunden in's Gesicht geschlagen. Man behauptet hente vielfach, daß die beiden Minister sich mit Herrn v. Girardin abgefunden und daß der Friede zwischen diesen bittern Feinden wieder hergestellt sei. Aber selbst dann löst sich das Räthsel nicht ganz. Herr v. Girardin bleibt fest bei seinen Behauptungen; schließt die Regierung in dieser Stellung Frieden mit ihm, so wäre dieser Friede selbst einer der glänzendsten Siege, die Herr v. Girardin je davongetragen hätte; so wäre dieser Friedensschluß selbst einer der klarsten Belege zu allen den Be¬ schuldigungen, die die „Presse" gegen die beiden Minister je vorgebracht hätte. Zur Ehre der letztem wollen wir hoffen, daß die Wendung der Dinge auf einem jener Spiele des Zufalls beruht, die sehr oft dort herrschen, wo keine feste Hand die Ereignisse lenkt. Diese feste Hand scheint gegenwärtig nicht mehr das Steuer¬ ruder der französischen Zustände zu führen. Und daher entstehen alle Tage Jn- zidentstreitfragen, die gestern noch Niemand ahndete und die morgen gerade wieder so untergehen und verschwinden, wie sie aufgetaucht waren. Die Sache ist lang¬ weilig im höchsten Grade, sie spannt, ohne zu befriedigen, sie treibt an, ohne zu einem Ziele zu führen. Es gehören gesunde Nerven dazu, um nicht müde zu werden. — Doch — beim Himmel — ich sehe nicht ein, wozu ich Ihre Leser noch länger über diesen Unsinn und diese Tretmühlenpolitik lang- weilen soll. A -v. Gr-Njbotm II. >S<7.76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/589>, abgerufen am 01.07.2024.