Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wohnung, die der Hausknecht für seine Person zu schlecht fand, und nicht
länger behalten wollte, drei Wohnungen für Secundarärzte machte. Viele
dieser Wohnungen liegen, in abgelegene Winkel hineingedrückt, ganz isolirt
und da sie nicht einmal mit einem Glockenzuge versehen sind, so ist der Se-
cundararzt, wenn er, was in Folge seines anstrengenden Dienstes oft ge¬
schieht, in der Nacht erkrankt, hülfloser in seiner abgeschiedenen Zelle, als
der ärmste Kranke, auf dessen Ruf er jeden Augenblick erscheinen muß.

Diese trostlose Hülflosigkeit hat erst in neuester Zeit ein entsetzlicher
Unglücksfall leider fruchtlos an's Tageslicht gezogen. Ein junger Hülfsarzt
war des Nachts an seinem mit Büchern und Papieren bedeckten Tischchen
eingeschlafen. Die Kerze, die er auszulöschen vergessen, brannte herab, und
ergriff die naheliegende,: Schriften. Am folgenden Tage fand mau den
Unglücklichen erstickt. Die theils umgeworfenen, theils verschobenen Möbel¬
stücke lieferten den Beweis, daß der Arme vergeblich nach Hülfe rang. .

Der Grundsatz, die Secundarärzte einzig und allein ans ihre elenden
Bezüge zu verweisen, wird mit solcher Unbarmherzigkeit gehandhabt, daß ein
Secundararzt, selbst wenn er erkrankt, nicht, wie jeder andere Siechengast,
vom Hanse verpflegt wird.

Er ist dann viel schlimmer daran, als ein Bettler. Von seinen vierzig
Kreuzern Tagelohn muß er sich Medicamente und die nöthige Pflege be-
streiten! Die Direction gewährt den Sccundarärztcn nicht einmal die noth¬
dürftigste Bedienung -- nud so lechzt der kranke Secundararzt in seiner
abgeschiedenen Kaminer, wo sich Niemand um ihn kümmert, oft vergeblich
nach einem Trunk Wasser!

Diese elende Lage wissenschaftlicher Männer, die täglich, ja jeden
Augenblick ihr Leben im Dienste der Menschheit auf's Spiel setzen,
erscheint der gegenwärtigen Direction noch viel zu glänzend. Der Di-
rector, der ein Gehalt von 4000 Fi. C. M. genießt, sich einer glänzenden
Freiwohnung und anderer Emolnmente erfreut, hielt es für unerläßlich noth¬
wendig, in einer Sitzung der Primarärzte den Antrag zu stellen, mau solle
den Secuudarärzten gar kein Gehalt geben, indem sich anch dann Doctoren
zu diesen Diensten finden würden. Ein als Mensch und Arzt höchst acht¬
barer Pnmarinö erhob sich gegen diese edle Motion mit den Schlagworten:
Herr Director, es würden sich ohne Zweifel auch Männer finden, die Ihre
Stelle unentgeldlich übernehmen. Diese bedeutungsvolle Stimme begrub den
Plan des Planmachers, der betreten verstummte.

Wende" nur uns jetzt zu den Pflichten und Leistungen dieser subalter¬
nen Aerzte, dieser merkwürdigen Proletarier der Wissenschaft.


Wohnung, die der Hausknecht für seine Person zu schlecht fand, und nicht
länger behalten wollte, drei Wohnungen für Secundarärzte machte. Viele
dieser Wohnungen liegen, in abgelegene Winkel hineingedrückt, ganz isolirt
und da sie nicht einmal mit einem Glockenzuge versehen sind, so ist der Se-
cundararzt, wenn er, was in Folge seines anstrengenden Dienstes oft ge¬
schieht, in der Nacht erkrankt, hülfloser in seiner abgeschiedenen Zelle, als
der ärmste Kranke, auf dessen Ruf er jeden Augenblick erscheinen muß.

Diese trostlose Hülflosigkeit hat erst in neuester Zeit ein entsetzlicher
Unglücksfall leider fruchtlos an's Tageslicht gezogen. Ein junger Hülfsarzt
war des Nachts an seinem mit Büchern und Papieren bedeckten Tischchen
eingeschlafen. Die Kerze, die er auszulöschen vergessen, brannte herab, und
ergriff die naheliegende,: Schriften. Am folgenden Tage fand mau den
Unglücklichen erstickt. Die theils umgeworfenen, theils verschobenen Möbel¬
stücke lieferten den Beweis, daß der Arme vergeblich nach Hülfe rang. .

Der Grundsatz, die Secundarärzte einzig und allein ans ihre elenden
Bezüge zu verweisen, wird mit solcher Unbarmherzigkeit gehandhabt, daß ein
Secundararzt, selbst wenn er erkrankt, nicht, wie jeder andere Siechengast,
vom Hanse verpflegt wird.

Er ist dann viel schlimmer daran, als ein Bettler. Von seinen vierzig
Kreuzern Tagelohn muß er sich Medicamente und die nöthige Pflege be-
streiten! Die Direction gewährt den Sccundarärztcn nicht einmal die noth¬
dürftigste Bedienung — nud so lechzt der kranke Secundararzt in seiner
abgeschiedenen Kaminer, wo sich Niemand um ihn kümmert, oft vergeblich
nach einem Trunk Wasser!

Diese elende Lage wissenschaftlicher Männer, die täglich, ja jeden
Augenblick ihr Leben im Dienste der Menschheit auf's Spiel setzen,
erscheint der gegenwärtigen Direction noch viel zu glänzend. Der Di-
rector, der ein Gehalt von 4000 Fi. C. M. genießt, sich einer glänzenden
Freiwohnung und anderer Emolnmente erfreut, hielt es für unerläßlich noth¬
wendig, in einer Sitzung der Primarärzte den Antrag zu stellen, mau solle
den Secuudarärzten gar kein Gehalt geben, indem sich anch dann Doctoren
zu diesen Diensten finden würden. Ein als Mensch und Arzt höchst acht¬
barer Pnmarinö erhob sich gegen diese edle Motion mit den Schlagworten:
Herr Director, es würden sich ohne Zweifel auch Männer finden, die Ihre
Stelle unentgeldlich übernehmen. Diese bedeutungsvolle Stimme begrub den
Plan des Planmachers, der betreten verstummte.

Wende» nur uns jetzt zu den Pflichten und Leistungen dieser subalter¬
nen Aerzte, dieser merkwürdigen Proletarier der Wissenschaft.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0571" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272470"/>
            <p xml:id="ID_1892" prev="#ID_1891"> Wohnung, die der Hausknecht für seine Person zu schlecht fand, und nicht<lb/>
länger behalten wollte, drei Wohnungen für Secundarärzte machte. Viele<lb/>
dieser Wohnungen liegen, in abgelegene Winkel hineingedrückt, ganz isolirt<lb/>
und da sie nicht einmal mit einem Glockenzuge versehen sind, so ist der Se-<lb/>
cundararzt, wenn er, was in Folge seines anstrengenden Dienstes oft ge¬<lb/>
schieht, in der Nacht erkrankt, hülfloser in seiner abgeschiedenen Zelle, als<lb/>
der ärmste Kranke, auf dessen Ruf er jeden Augenblick erscheinen muß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1893"> Diese trostlose Hülflosigkeit hat erst in neuester Zeit ein entsetzlicher<lb/>
Unglücksfall leider fruchtlos an's Tageslicht gezogen. Ein junger Hülfsarzt<lb/>
war des Nachts an seinem mit Büchern und Papieren bedeckten Tischchen<lb/>
eingeschlafen. Die Kerze, die er auszulöschen vergessen, brannte herab, und<lb/>
ergriff die naheliegende,: Schriften. Am folgenden Tage fand mau den<lb/>
Unglücklichen erstickt. Die theils umgeworfenen, theils verschobenen Möbel¬<lb/>
stücke lieferten den Beweis, daß der Arme vergeblich nach Hülfe rang. .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1894"> Der Grundsatz, die Secundarärzte einzig und allein ans ihre elenden<lb/>
Bezüge zu verweisen, wird mit solcher Unbarmherzigkeit gehandhabt, daß ein<lb/>
Secundararzt, selbst wenn er erkrankt, nicht, wie jeder andere Siechengast,<lb/>
vom Hanse verpflegt wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1895"> Er ist dann viel schlimmer daran, als ein Bettler. Von seinen vierzig<lb/>
Kreuzern Tagelohn muß er sich Medicamente und die nöthige Pflege be-<lb/>
streiten! Die Direction gewährt den Sccundarärztcn nicht einmal die noth¬<lb/>
dürftigste Bedienung &#x2014; nud so lechzt der kranke Secundararzt in seiner<lb/>
abgeschiedenen Kaminer, wo sich Niemand um ihn kümmert, oft vergeblich<lb/>
nach einem Trunk Wasser!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1896"> Diese elende Lage wissenschaftlicher Männer, die täglich, ja jeden<lb/>
Augenblick ihr Leben im Dienste der Menschheit auf's Spiel setzen,<lb/>
erscheint der gegenwärtigen Direction noch viel zu glänzend. Der Di-<lb/>
rector, der ein Gehalt von 4000 Fi. C. M. genießt, sich einer glänzenden<lb/>
Freiwohnung und anderer Emolnmente erfreut, hielt es für unerläßlich noth¬<lb/>
wendig, in einer Sitzung der Primarärzte den Antrag zu stellen, mau solle<lb/>
den Secuudarärzten gar kein Gehalt geben, indem sich anch dann Doctoren<lb/>
zu diesen Diensten finden würden. Ein als Mensch und Arzt höchst acht¬<lb/>
barer Pnmarinö erhob sich gegen diese edle Motion mit den Schlagworten:<lb/>
Herr Director, es würden sich ohne Zweifel auch Männer finden, die Ihre<lb/>
Stelle unentgeldlich übernehmen. Diese bedeutungsvolle Stimme begrub den<lb/>
Plan des Planmachers, der betreten verstummte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1897"> Wende» nur uns jetzt zu den Pflichten und Leistungen dieser subalter¬<lb/>
nen Aerzte, dieser merkwürdigen Proletarier der Wissenschaft.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0571] Wohnung, die der Hausknecht für seine Person zu schlecht fand, und nicht länger behalten wollte, drei Wohnungen für Secundarärzte machte. Viele dieser Wohnungen liegen, in abgelegene Winkel hineingedrückt, ganz isolirt und da sie nicht einmal mit einem Glockenzuge versehen sind, so ist der Se- cundararzt, wenn er, was in Folge seines anstrengenden Dienstes oft ge¬ schieht, in der Nacht erkrankt, hülfloser in seiner abgeschiedenen Zelle, als der ärmste Kranke, auf dessen Ruf er jeden Augenblick erscheinen muß. Diese trostlose Hülflosigkeit hat erst in neuester Zeit ein entsetzlicher Unglücksfall leider fruchtlos an's Tageslicht gezogen. Ein junger Hülfsarzt war des Nachts an seinem mit Büchern und Papieren bedeckten Tischchen eingeschlafen. Die Kerze, die er auszulöschen vergessen, brannte herab, und ergriff die naheliegende,: Schriften. Am folgenden Tage fand mau den Unglücklichen erstickt. Die theils umgeworfenen, theils verschobenen Möbel¬ stücke lieferten den Beweis, daß der Arme vergeblich nach Hülfe rang. . Der Grundsatz, die Secundarärzte einzig und allein ans ihre elenden Bezüge zu verweisen, wird mit solcher Unbarmherzigkeit gehandhabt, daß ein Secundararzt, selbst wenn er erkrankt, nicht, wie jeder andere Siechengast, vom Hanse verpflegt wird. Er ist dann viel schlimmer daran, als ein Bettler. Von seinen vierzig Kreuzern Tagelohn muß er sich Medicamente und die nöthige Pflege be- streiten! Die Direction gewährt den Sccundarärztcn nicht einmal die noth¬ dürftigste Bedienung — nud so lechzt der kranke Secundararzt in seiner abgeschiedenen Kaminer, wo sich Niemand um ihn kümmert, oft vergeblich nach einem Trunk Wasser! Diese elende Lage wissenschaftlicher Männer, die täglich, ja jeden Augenblick ihr Leben im Dienste der Menschheit auf's Spiel setzen, erscheint der gegenwärtigen Direction noch viel zu glänzend. Der Di- rector, der ein Gehalt von 4000 Fi. C. M. genießt, sich einer glänzenden Freiwohnung und anderer Emolnmente erfreut, hielt es für unerläßlich noth¬ wendig, in einer Sitzung der Primarärzte den Antrag zu stellen, mau solle den Secuudarärzten gar kein Gehalt geben, indem sich anch dann Doctoren zu diesen Diensten finden würden. Ein als Mensch und Arzt höchst acht¬ barer Pnmarinö erhob sich gegen diese edle Motion mit den Schlagworten: Herr Director, es würden sich ohne Zweifel auch Männer finden, die Ihre Stelle unentgeldlich übernehmen. Diese bedeutungsvolle Stimme begrub den Plan des Planmachers, der betreten verstummte. Wende» nur uns jetzt zu den Pflichten und Leistungen dieser subalter¬ nen Aerzte, dieser merkwürdigen Proletarier der Wissenschaft.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/571
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/571>, abgerufen am 03.07.2024.