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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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gehörige Vorsicht. Zwar fordert sie von jedem Nnfnahmswerber ein Sitt¬
lichkeitszeugniß, da aber dieses Zeugniß ohne nähere Prüfung von den
Hausbesitzern verabfolgt und vom Pfarrer, wenn die Partei nur regelmäßig
zur Beichte geht, eben so schnell bestätigt wird, so bieten derlei leicht er¬
oberte Zeugnisse keine Garantien für den Charakter der Wärtcrslente.

Die schweren Pflichten der Krankenwärter erfordern eine viel größere
Bürgschaft, als jene, welche absolvirte Beichte und eine den Hausherren
genügende Tugend gewähren.

Da es nun sehr leicht ist einen so wichtigen Posten zu erlangen, und
da man im Krankenhause noch das Prinzip befolgt, Frauenspersonen zum
Krankendienste zu verwenden, so ist es nicht zu verwundern, daß man grö߬
tenteils Magdalenen erhält, die zwar ihre Sünden für den Beichtstuhl und
den Herren Pfarrer getilgt haben, sonst aber den Reiz zu derselben in sich
tragen und bei Gelegenheit frei wirken lassen.

Der Dienst am Siechbette wird, wie der Leser leicht erräth, von diesen
Personen nicht im heiligen Interesse der Menschheit übernommen. Man wirft
sich in's Spital, um daselbst einen Anker zu finden, an den man sich klam¬
mern kann, nachdem ein anderer Erwerbszweig entweder in Folge des zer¬
störenden Ganges der Zeit,' oder anderer Schwierigkeiten wegen keine
weitere Aussicht bietet.

Ist aber diese Stellung wirklich lockend? Schrecken wo nicht die vielen,
erlisten Pflichten, so doch Furcht vor Ansteckung, oder die Absperrung vom
frischen, pulsirenden Leben zurück?

Was die pecuniären Vortheile der Wärtersleute betrifft, so ist ihre
Stellung sehr kümmerlich. Eine Wärterin erhält täglich zwanzig Kreuzer
C.-M. Von diesem winzigen Solde muß sie ihre Beköstigung, anständige
Kleidung und alle andern Bedürfnisse bestreiten. Ihr Erwerb ist also küm¬
merlicher , als der eines Taglöhners, der überdies in frischer Lust arbeitet
und nicht stets die Mittheilung einer Krankheit zu fürchten hat. Der Lohn
ist es also nicht, der hier anzieht, er muß vielmehr zurückschrecken.

Was zieht also die Wärtersleute an?

Die Ueberzeugung, daß sie im Spitale noch andre Erwerbszweige fin¬
den, die zum Theil eine beinahe regelmäßige Ausbeute gestatten. Zu diesen
Erwerbszweigen greifen nun die Wärterinnen, da der geringe Sold nicht
einmal ihre ordentlichen, gegründeten Bedürfnisse deckt, und sie im Kranken¬
hause bald noch Sorgen für dritte Personen übernehmen. Erklären wir
uns deutlicher.

Die Magdalena, plötzlich dem freien, ungebundenen Leben entrückt und


gehörige Vorsicht. Zwar fordert sie von jedem Nnfnahmswerber ein Sitt¬
lichkeitszeugniß, da aber dieses Zeugniß ohne nähere Prüfung von den
Hausbesitzern verabfolgt und vom Pfarrer, wenn die Partei nur regelmäßig
zur Beichte geht, eben so schnell bestätigt wird, so bieten derlei leicht er¬
oberte Zeugnisse keine Garantien für den Charakter der Wärtcrslente.

Die schweren Pflichten der Krankenwärter erfordern eine viel größere
Bürgschaft, als jene, welche absolvirte Beichte und eine den Hausherren
genügende Tugend gewähren.

Da es nun sehr leicht ist einen so wichtigen Posten zu erlangen, und
da man im Krankenhause noch das Prinzip befolgt, Frauenspersonen zum
Krankendienste zu verwenden, so ist es nicht zu verwundern, daß man grö߬
tenteils Magdalenen erhält, die zwar ihre Sünden für den Beichtstuhl und
den Herren Pfarrer getilgt haben, sonst aber den Reiz zu derselben in sich
tragen und bei Gelegenheit frei wirken lassen.

Der Dienst am Siechbette wird, wie der Leser leicht erräth, von diesen
Personen nicht im heiligen Interesse der Menschheit übernommen. Man wirft
sich in's Spital, um daselbst einen Anker zu finden, an den man sich klam¬
mern kann, nachdem ein anderer Erwerbszweig entweder in Folge des zer¬
störenden Ganges der Zeit,' oder anderer Schwierigkeiten wegen keine
weitere Aussicht bietet.

Ist aber diese Stellung wirklich lockend? Schrecken wo nicht die vielen,
erlisten Pflichten, so doch Furcht vor Ansteckung, oder die Absperrung vom
frischen, pulsirenden Leben zurück?

Was die pecuniären Vortheile der Wärtersleute betrifft, so ist ihre
Stellung sehr kümmerlich. Eine Wärterin erhält täglich zwanzig Kreuzer
C.-M. Von diesem winzigen Solde muß sie ihre Beköstigung, anständige
Kleidung und alle andern Bedürfnisse bestreiten. Ihr Erwerb ist also küm¬
merlicher , als der eines Taglöhners, der überdies in frischer Lust arbeitet
und nicht stets die Mittheilung einer Krankheit zu fürchten hat. Der Lohn
ist es also nicht, der hier anzieht, er muß vielmehr zurückschrecken.

Was zieht also die Wärtersleute an?

Die Ueberzeugung, daß sie im Spitale noch andre Erwerbszweige fin¬
den, die zum Theil eine beinahe regelmäßige Ausbeute gestatten. Zu diesen
Erwerbszweigen greifen nun die Wärterinnen, da der geringe Sold nicht
einmal ihre ordentlichen, gegründeten Bedürfnisse deckt, und sie im Kranken¬
hause bald noch Sorgen für dritte Personen übernehmen. Erklären wir
uns deutlicher.

Die Magdalena, plötzlich dem freien, ungebundenen Leben entrückt und


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[0562] gehörige Vorsicht. Zwar fordert sie von jedem Nnfnahmswerber ein Sitt¬ lichkeitszeugniß, da aber dieses Zeugniß ohne nähere Prüfung von den Hausbesitzern verabfolgt und vom Pfarrer, wenn die Partei nur regelmäßig zur Beichte geht, eben so schnell bestätigt wird, so bieten derlei leicht er¬ oberte Zeugnisse keine Garantien für den Charakter der Wärtcrslente. Die schweren Pflichten der Krankenwärter erfordern eine viel größere Bürgschaft, als jene, welche absolvirte Beichte und eine den Hausherren genügende Tugend gewähren. Da es nun sehr leicht ist einen so wichtigen Posten zu erlangen, und da man im Krankenhause noch das Prinzip befolgt, Frauenspersonen zum Krankendienste zu verwenden, so ist es nicht zu verwundern, daß man grö߬ tenteils Magdalenen erhält, die zwar ihre Sünden für den Beichtstuhl und den Herren Pfarrer getilgt haben, sonst aber den Reiz zu derselben in sich tragen und bei Gelegenheit frei wirken lassen. Der Dienst am Siechbette wird, wie der Leser leicht erräth, von diesen Personen nicht im heiligen Interesse der Menschheit übernommen. Man wirft sich in's Spital, um daselbst einen Anker zu finden, an den man sich klam¬ mern kann, nachdem ein anderer Erwerbszweig entweder in Folge des zer¬ störenden Ganges der Zeit,' oder anderer Schwierigkeiten wegen keine weitere Aussicht bietet. Ist aber diese Stellung wirklich lockend? Schrecken wo nicht die vielen, erlisten Pflichten, so doch Furcht vor Ansteckung, oder die Absperrung vom frischen, pulsirenden Leben zurück? Was die pecuniären Vortheile der Wärtersleute betrifft, so ist ihre Stellung sehr kümmerlich. Eine Wärterin erhält täglich zwanzig Kreuzer C.-M. Von diesem winzigen Solde muß sie ihre Beköstigung, anständige Kleidung und alle andern Bedürfnisse bestreiten. Ihr Erwerb ist also küm¬ merlicher , als der eines Taglöhners, der überdies in frischer Lust arbeitet und nicht stets die Mittheilung einer Krankheit zu fürchten hat. Der Lohn ist es also nicht, der hier anzieht, er muß vielmehr zurückschrecken. Was zieht also die Wärtersleute an? Die Ueberzeugung, daß sie im Spitale noch andre Erwerbszweige fin¬ den, die zum Theil eine beinahe regelmäßige Ausbeute gestatten. Zu diesen Erwerbszweigen greifen nun die Wärterinnen, da der geringe Sold nicht einmal ihre ordentlichen, gegründeten Bedürfnisse deckt, und sie im Kranken¬ hause bald noch Sorgen für dritte Personen übernehmen. Erklären wir uns deutlicher. Die Magdalena, plötzlich dem freien, ungebundenen Leben entrückt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/562>, abgerufen am 03.07.2024.