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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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schaden, dann aber auch "nebenbei" den starken Nachtheil bringen oder auch
nur deu Vortheil, den der Starke aus dem Schwachen zieht, schmälern könnte.
Nicht nur über diesen Grundsatz, sondern auch über seine Anwendung in Be¬
zug auf Portugal sind Herr Guizot und Lord John ebenfalls vollkommen
einverstanden; denn beide erklären, daß sie um drei Viertel wenigstens zum
Besten Portugals und nur um das kleine vierte Viertheil im Interesse Eng¬
lands und Frankreichs handelten. Die großen Volker sind so großmüthig
gegen die kleinen, wie die Löwen gegen die Hunde, wie die Wölfe gegen
die scharfe.

Noch in einem Punkte sind sie einverstanden. Sie behaupten beide,
daß sie keineswegs sich in die portugiesischen Angelegenheiten gemischt haben
würden, wenn sie dazu nicht dnrch die Furcht gezwungen worden seien, An¬
dere sich allem in sie mischen zu sehen. Hier tritt dann der Punkt ein, wo
in der Rede Lord John's und Herrn Guizot's eine wechselseitige Correction
vorgenommen werden müßte, um die Lord John's Herr Guizot und die Herrn
Guizot's Lord John mundgerecht zu machen. Herr Guizot behauptet, --
und sucht es mit Documente zu belegen --, daß die Engländer eigentlich
ohne die Franzosen hätten interveniren wollen; und Lord John behauptet
und bekundet, daß Herr Guizot eigentlich ohne die Engländer in Portugal
zu iutervenireu beabsichtigt hatte. Und das hätten beide uicht zulassen wollen.
Es scheint anch, hier haben beide ganz recht, Einer hat deu Andern auszu¬
schließen gesucht, bis sie zuletzt sich gezwungen, die Hand zum gemeinschaft¬
lichen Handeln gereicht. Lord John erklärt sehr einfach, warum er nicht
zulassen könne, daß Frankreich festen Fuß in Portugal fasse, und zwar: weil
Portugal allem seit Anfang des letzten Jahrhunderts vier Mal mit England
gemeinschaftlich Spanien und Frankreich bekämpft habe, und England nicht
Lust habe, einen so guten Bundesgenossen fahren zu lassen. Die französische
Regierung ihrer Seits will Portugal nicht ganz aufgeben und England über¬
lassen. In diesen Geständnissen liegt der Kern der ganzen Angelegenheit.
Frankreich und England handeln in Portugal gemeinschaftlich, wie sie-in
Spanien gemeinschaftlich handelten, um sich in aller Freundschaft -- nicht
zu bekämpfen, sondern ein wenig, so viel es aber geht -- zu betrügen. Die
Grundlage des "cordialen" Einverständnisses ist die cordialste Eifersucht;
wenn sie sich die Hände geben, so geschieht es nur, um sich wechselseitig zu
verhindern, sich bei den Haaren zu fassen, oder Einer den Andern rücklings
ein wenig niederzustoßen. Wie lange das Spiel noch dauern wird, wissen
die Götter; aber Spiel ist es, und es wird dereinst doch Ernst werden.
Ein Zufall wird genügen.


schaden, dann aber auch „nebenbei" den starken Nachtheil bringen oder auch
nur deu Vortheil, den der Starke aus dem Schwachen zieht, schmälern könnte.
Nicht nur über diesen Grundsatz, sondern auch über seine Anwendung in Be¬
zug auf Portugal sind Herr Guizot und Lord John ebenfalls vollkommen
einverstanden; denn beide erklären, daß sie um drei Viertel wenigstens zum
Besten Portugals und nur um das kleine vierte Viertheil im Interesse Eng¬
lands und Frankreichs handelten. Die großen Volker sind so großmüthig
gegen die kleinen, wie die Löwen gegen die Hunde, wie die Wölfe gegen
die scharfe.

Noch in einem Punkte sind sie einverstanden. Sie behaupten beide,
daß sie keineswegs sich in die portugiesischen Angelegenheiten gemischt haben
würden, wenn sie dazu nicht dnrch die Furcht gezwungen worden seien, An¬
dere sich allem in sie mischen zu sehen. Hier tritt dann der Punkt ein, wo
in der Rede Lord John's und Herrn Guizot's eine wechselseitige Correction
vorgenommen werden müßte, um die Lord John's Herr Guizot und die Herrn
Guizot's Lord John mundgerecht zu machen. Herr Guizot behauptet, —
und sucht es mit Documente zu belegen —, daß die Engländer eigentlich
ohne die Franzosen hätten interveniren wollen; und Lord John behauptet
und bekundet, daß Herr Guizot eigentlich ohne die Engländer in Portugal
zu iutervenireu beabsichtigt hatte. Und das hätten beide uicht zulassen wollen.
Es scheint anch, hier haben beide ganz recht, Einer hat deu Andern auszu¬
schließen gesucht, bis sie zuletzt sich gezwungen, die Hand zum gemeinschaft¬
lichen Handeln gereicht. Lord John erklärt sehr einfach, warum er nicht
zulassen könne, daß Frankreich festen Fuß in Portugal fasse, und zwar: weil
Portugal allem seit Anfang des letzten Jahrhunderts vier Mal mit England
gemeinschaftlich Spanien und Frankreich bekämpft habe, und England nicht
Lust habe, einen so guten Bundesgenossen fahren zu lassen. Die französische
Regierung ihrer Seits will Portugal nicht ganz aufgeben und England über¬
lassen. In diesen Geständnissen liegt der Kern der ganzen Angelegenheit.
Frankreich und England handeln in Portugal gemeinschaftlich, wie sie-in
Spanien gemeinschaftlich handelten, um sich in aller Freundschaft — nicht
zu bekämpfen, sondern ein wenig, so viel es aber geht — zu betrügen. Die
Grundlage des „cordialen" Einverständnisses ist die cordialste Eifersucht;
wenn sie sich die Hände geben, so geschieht es nur, um sich wechselseitig zu
verhindern, sich bei den Haaren zu fassen, oder Einer den Andern rücklings
ein wenig niederzustoßen. Wie lange das Spiel noch dauern wird, wissen
die Götter; aber Spiel ist es, und es wird dereinst doch Ernst werden.
Ein Zufall wird genügen.


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[0523] schaden, dann aber auch „nebenbei" den starken Nachtheil bringen oder auch nur deu Vortheil, den der Starke aus dem Schwachen zieht, schmälern könnte. Nicht nur über diesen Grundsatz, sondern auch über seine Anwendung in Be¬ zug auf Portugal sind Herr Guizot und Lord John ebenfalls vollkommen einverstanden; denn beide erklären, daß sie um drei Viertel wenigstens zum Besten Portugals und nur um das kleine vierte Viertheil im Interesse Eng¬ lands und Frankreichs handelten. Die großen Volker sind so großmüthig gegen die kleinen, wie die Löwen gegen die Hunde, wie die Wölfe gegen die scharfe. Noch in einem Punkte sind sie einverstanden. Sie behaupten beide, daß sie keineswegs sich in die portugiesischen Angelegenheiten gemischt haben würden, wenn sie dazu nicht dnrch die Furcht gezwungen worden seien, An¬ dere sich allem in sie mischen zu sehen. Hier tritt dann der Punkt ein, wo in der Rede Lord John's und Herrn Guizot's eine wechselseitige Correction vorgenommen werden müßte, um die Lord John's Herr Guizot und die Herrn Guizot's Lord John mundgerecht zu machen. Herr Guizot behauptet, — und sucht es mit Documente zu belegen —, daß die Engländer eigentlich ohne die Franzosen hätten interveniren wollen; und Lord John behauptet und bekundet, daß Herr Guizot eigentlich ohne die Engländer in Portugal zu iutervenireu beabsichtigt hatte. Und das hätten beide uicht zulassen wollen. Es scheint anch, hier haben beide ganz recht, Einer hat deu Andern auszu¬ schließen gesucht, bis sie zuletzt sich gezwungen, die Hand zum gemeinschaft¬ lichen Handeln gereicht. Lord John erklärt sehr einfach, warum er nicht zulassen könne, daß Frankreich festen Fuß in Portugal fasse, und zwar: weil Portugal allem seit Anfang des letzten Jahrhunderts vier Mal mit England gemeinschaftlich Spanien und Frankreich bekämpft habe, und England nicht Lust habe, einen so guten Bundesgenossen fahren zu lassen. Die französische Regierung ihrer Seits will Portugal nicht ganz aufgeben und England über¬ lassen. In diesen Geständnissen liegt der Kern der ganzen Angelegenheit. Frankreich und England handeln in Portugal gemeinschaftlich, wie sie-in Spanien gemeinschaftlich handelten, um sich in aller Freundschaft — nicht zu bekämpfen, sondern ein wenig, so viel es aber geht — zu betrügen. Die Grundlage des „cordialen" Einverständnisses ist die cordialste Eifersucht; wenn sie sich die Hände geben, so geschieht es nur, um sich wechselseitig zu verhindern, sich bei den Haaren zu fassen, oder Einer den Andern rücklings ein wenig niederzustoßen. Wie lange das Spiel noch dauern wird, wissen die Götter; aber Spiel ist es, und es wird dereinst doch Ernst werden. Ein Zufall wird genügen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/523>, abgerufen am 22.07.2024.