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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Januar nicht scheuen. Er ist dabei beinahe völlig fehlerfrei und hat nnr ein La¬
ster, das ihm gemein ist mit dem Haupthelden des bekannten Lnmpaci-Vaga-
bnndns und das in seinem Kopfe oft ganz entsetzliche Verwüstungen anrichtet. In
einer schönen ziemlich mondhellen Nacht ist er, selbst erleuchtet, einem seiner Kol¬
legen begegnet, der früher etwas Rechtes in der großen Gesellschaft gewesen und
dnrch allerlei Fatalitäten in die Zunft der Lumpensammler geworfen war. Dieser
ehrenwerthe Stand sagt demselben aber nicht besonders zu und er spricht davon,
dnrch Selbstmord seiner Misere ein Ende zu machen. Der ursprüngliche, edle
Lumpensammler, dessen tugendhafte Gesinnung dnrch allerlei gefährliche Liba-
tionen gesteigert ist, kommt in diesem kritischen Augenblick herbei und macht
gegen das Vorhaben seines Fachgenossen zärtliche Vorstellungen, die auch
Gehör finden. Dem Selbstmord entsagt dieser allerdings, allein das neuer-
griffene Brotstudium will ihm deswegen nicht besser gefallen; statt die tät¬
lichen Waffen gegen sich selbst zu richten, will er sie auf die Brust anderer
zücken, um so den verlorenen Reichthum und das frühere Wohlleben wie¬
der zu erobern. Kaum ist der Gedanke ausgesprochen, so kommt auch ein
Mensch mit einem schweren Geldsack beladen herbei, den er anfällt, ohne
Weiteres niedersticht und beraubt. Der tugendhafte Lnmpeusammler will die
böse That verhindern, allein die Geister, die in seinem Gehirne brennen,
machen seine Füße unsicher und lähmen seine Arme. Er kann mit Nichts dienen,
als mit seinem guten Willen und es ist nur zu verwundern, daß sein Amts-
College ihn, weil er grade im Zuge ist, uicht ebenfalls expedirt. -- Damit
nnn diese Scene sich recht abenteuerlich, recht schauerlich aufnehme, geht sie
auf einem Qual von Paris, bei wolkenumflorten Mondschein, etwa gegen
Abend elf Uhr vor, eine Zeit, die um so glücklicher gewählt ist als Jeder¬
mann weiß, daß grade in dieser Geister- und Nänbcrstunde die Bvrsenmän-
ner ihre schwcrbcladnen Gesandten dnrch die Straßen von Paris zu jagen
pflegen. Der Gedanke, daß er an der Rettung eines Menschenlebens dnrch
sein Laster verhindert worden, bringt den biedern Jean, den tugendsamen
Lumpensammler um seine Gewissensruhe und er gelobt sich nie mehr zu
betrinken, sondern bei Wasser und Brod den Nest seines Lebens nüchtern
zu genießen. Das hält er auch an die zwanzig Jahr und hat unterdessen
die Bekanntschaft einer jungen Rächerin gemacht, die neben ihm in einer dürf¬
tigen Dachstube haust und obgleich sie allein wohnt und die Nadel mit gro¬
ßem Geschick führt, allen Versuchungen, denen in einer Stadt wie Paris
Frauenzimmer ihres Standes und ihres Alters ausgesetzt sind, siegreich
widersteht. Diese Tapferkeit wird uoch ruhmvoller, wenn man erfährt, daß
die züchtige Dem. Marie mit einigen Zunftgefährtinnen, die das Leben meh-


Januar nicht scheuen. Er ist dabei beinahe völlig fehlerfrei und hat nnr ein La¬
ster, das ihm gemein ist mit dem Haupthelden des bekannten Lnmpaci-Vaga-
bnndns und das in seinem Kopfe oft ganz entsetzliche Verwüstungen anrichtet. In
einer schönen ziemlich mondhellen Nacht ist er, selbst erleuchtet, einem seiner Kol¬
legen begegnet, der früher etwas Rechtes in der großen Gesellschaft gewesen und
dnrch allerlei Fatalitäten in die Zunft der Lumpensammler geworfen war. Dieser
ehrenwerthe Stand sagt demselben aber nicht besonders zu und er spricht davon,
dnrch Selbstmord seiner Misere ein Ende zu machen. Der ursprüngliche, edle
Lumpensammler, dessen tugendhafte Gesinnung dnrch allerlei gefährliche Liba-
tionen gesteigert ist, kommt in diesem kritischen Augenblick herbei und macht
gegen das Vorhaben seines Fachgenossen zärtliche Vorstellungen, die auch
Gehör finden. Dem Selbstmord entsagt dieser allerdings, allein das neuer-
griffene Brotstudium will ihm deswegen nicht besser gefallen; statt die tät¬
lichen Waffen gegen sich selbst zu richten, will er sie auf die Brust anderer
zücken, um so den verlorenen Reichthum und das frühere Wohlleben wie¬
der zu erobern. Kaum ist der Gedanke ausgesprochen, so kommt auch ein
Mensch mit einem schweren Geldsack beladen herbei, den er anfällt, ohne
Weiteres niedersticht und beraubt. Der tugendhafte Lnmpeusammler will die
böse That verhindern, allein die Geister, die in seinem Gehirne brennen,
machen seine Füße unsicher und lähmen seine Arme. Er kann mit Nichts dienen,
als mit seinem guten Willen und es ist nur zu verwundern, daß sein Amts-
College ihn, weil er grade im Zuge ist, uicht ebenfalls expedirt. — Damit
nnn diese Scene sich recht abenteuerlich, recht schauerlich aufnehme, geht sie
auf einem Qual von Paris, bei wolkenumflorten Mondschein, etwa gegen
Abend elf Uhr vor, eine Zeit, die um so glücklicher gewählt ist als Jeder¬
mann weiß, daß grade in dieser Geister- und Nänbcrstunde die Bvrsenmän-
ner ihre schwcrbcladnen Gesandten dnrch die Straßen von Paris zu jagen
pflegen. Der Gedanke, daß er an der Rettung eines Menschenlebens dnrch
sein Laster verhindert worden, bringt den biedern Jean, den tugendsamen
Lumpensammler um seine Gewissensruhe und er gelobt sich nie mehr zu
betrinken, sondern bei Wasser und Brod den Nest seines Lebens nüchtern
zu genießen. Das hält er auch an die zwanzig Jahr und hat unterdessen
die Bekanntschaft einer jungen Rächerin gemacht, die neben ihm in einer dürf¬
tigen Dachstube haust und obgleich sie allein wohnt und die Nadel mit gro¬
ßem Geschick führt, allen Versuchungen, denen in einer Stadt wie Paris
Frauenzimmer ihres Standes und ihres Alters ausgesetzt sind, siegreich
widersteht. Diese Tapferkeit wird uoch ruhmvoller, wenn man erfährt, daß
die züchtige Dem. Marie mit einigen Zunftgefährtinnen, die das Leben meh-


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[0486] Januar nicht scheuen. Er ist dabei beinahe völlig fehlerfrei und hat nnr ein La¬ ster, das ihm gemein ist mit dem Haupthelden des bekannten Lnmpaci-Vaga- bnndns und das in seinem Kopfe oft ganz entsetzliche Verwüstungen anrichtet. In einer schönen ziemlich mondhellen Nacht ist er, selbst erleuchtet, einem seiner Kol¬ legen begegnet, der früher etwas Rechtes in der großen Gesellschaft gewesen und dnrch allerlei Fatalitäten in die Zunft der Lumpensammler geworfen war. Dieser ehrenwerthe Stand sagt demselben aber nicht besonders zu und er spricht davon, dnrch Selbstmord seiner Misere ein Ende zu machen. Der ursprüngliche, edle Lumpensammler, dessen tugendhafte Gesinnung dnrch allerlei gefährliche Liba- tionen gesteigert ist, kommt in diesem kritischen Augenblick herbei und macht gegen das Vorhaben seines Fachgenossen zärtliche Vorstellungen, die auch Gehör finden. Dem Selbstmord entsagt dieser allerdings, allein das neuer- griffene Brotstudium will ihm deswegen nicht besser gefallen; statt die tät¬ lichen Waffen gegen sich selbst zu richten, will er sie auf die Brust anderer zücken, um so den verlorenen Reichthum und das frühere Wohlleben wie¬ der zu erobern. Kaum ist der Gedanke ausgesprochen, so kommt auch ein Mensch mit einem schweren Geldsack beladen herbei, den er anfällt, ohne Weiteres niedersticht und beraubt. Der tugendhafte Lnmpeusammler will die böse That verhindern, allein die Geister, die in seinem Gehirne brennen, machen seine Füße unsicher und lähmen seine Arme. Er kann mit Nichts dienen, als mit seinem guten Willen und es ist nur zu verwundern, daß sein Amts- College ihn, weil er grade im Zuge ist, uicht ebenfalls expedirt. — Damit nnn diese Scene sich recht abenteuerlich, recht schauerlich aufnehme, geht sie auf einem Qual von Paris, bei wolkenumflorten Mondschein, etwa gegen Abend elf Uhr vor, eine Zeit, die um so glücklicher gewählt ist als Jeder¬ mann weiß, daß grade in dieser Geister- und Nänbcrstunde die Bvrsenmän- ner ihre schwcrbcladnen Gesandten dnrch die Straßen von Paris zu jagen pflegen. Der Gedanke, daß er an der Rettung eines Menschenlebens dnrch sein Laster verhindert worden, bringt den biedern Jean, den tugendsamen Lumpensammler um seine Gewissensruhe und er gelobt sich nie mehr zu betrinken, sondern bei Wasser und Brod den Nest seines Lebens nüchtern zu genießen. Das hält er auch an die zwanzig Jahr und hat unterdessen die Bekanntschaft einer jungen Rächerin gemacht, die neben ihm in einer dürf¬ tigen Dachstube haust und obgleich sie allein wohnt und die Nadel mit gro¬ ßem Geschick führt, allen Versuchungen, denen in einer Stadt wie Paris Frauenzimmer ihres Standes und ihres Alters ausgesetzt sind, siegreich widersteht. Diese Tapferkeit wird uoch ruhmvoller, wenn man erfährt, daß die züchtige Dem. Marie mit einigen Zunftgefährtinnen, die das Leben meh-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/486>, abgerufen am 22.07.2024.