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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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E. Wohlgcb., die i>n Getümmel deö praktischen Lebens und in mannigfaltiger
Bewegung und Berührung gelebt, sollten ihre Stimme erheben und ihren
Einfluß geltend machen. Wir leben in einer Zeit des Uebergangs, wir müssen
also das Alte nicht zerstören, sondern es zeitgemäß abändern und uns so¬
wohl den demokratischen Phantasten als den gemietheten Vertheidigern der
fürstlichen Willkür widersetzen. Beide vereinigen sich, um Zwietracht unter
den verschiedenen Ständen der bürgerlichen Gesellschaft zu erregen, in entge¬
gengesetzten Absichten: die einen, um alle Versuche, eine repräsentative Ver¬
fassung zu bilden, zu vereiteln, die andern, um eine unhaltbare in's Leben
zu bringen. Dieser Haß unter den Standen, unter Bürgern und Adel, be¬
stand in deu blühendsten Zeiten der deutschen Städte, im 13 -- 14 Jahrh,
nicht; jeder Stand hatte seine Ehre, zwischen ihnen bestand ein wechselseiti¬
ges Band der Dienstleistungen, des Umgangs, durch Verfassung und Sitten
geknüpft. Diese Staude müssen neben einander bestehen, nicht durch einan-
der gemengt, ein Geschlechts- und Güter-Adel, kein Dienst-Brief-Adel, ein
tüchtiger Bürger- und Gewerbe-Stand, ein ehrsamer freier Bauernstand,
kein Tagelöhncrgesindel: und so steht der alte durch den Lauf der Zeit ge¬
schwächte Stand der Freien wieder da, erscheint in der Gemeinde, am Kreis¬
tage, ans dem Landtage, auf dem Reichstage zum Berather und Beschließen,
und greift in gemeinsamer Noth zu Wehr und Waffen. Ein solcher Zustand
der Dinge läßt sich aus dem Bestehenden entwickeln; auf diese Art wird
nicht alles zertrümmert und ein neues, aus der Lust gegriffenes Gebäude
ohne Festigkeit und Haltung aufgeführt."

Gneisenau an A., im Sommer 1814: "Die große Sache wäre
also so ziemlich gut durchgefochten worden, freilich nicht ohne Hülfe eines
allgewaltigen Schicksals. So wie das Schwert ruhte und die Diplomatie
waltete, traten der Fehler noch mehrere ein. Man richtete seinen Blick nur
auf selbstsüchtige Vortheile und vergaß oder vernachlässigte das Allen gemein¬
same Deutschland. Man wollte sich die überwundene Nation verbinden, und
vernachlässigte es, Deutschland eine Grenze zu geben, wie sie ihm Noth thut.
Diese Versäumniß wird durch heftige Kriege gestraft werden. Doch Sie
wissen ja dies Alles bereits durch H. v. Stein. Diesem edelflnnigen Deut¬
schen verdanken wir viel. Er war fast der Einzige, der mir in Vertheidi¬
gung der Behauptung beistand, man müsse nach Paris gehen und könne nur
dort den Frieden erobern. Möchte man ihn ferner gehört haben und noch
hören wollen; aber die Schwachen und die Boshaften stehen im Bund gegen
ihn: jene fürchten, diese hassen ihn. Ich fürchte daher, daß seine Einwir¬
kung in Wien nicht groß sein wird. Die österreichischen Diplomaten beson-


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E. Wohlgcb., die i>n Getümmel deö praktischen Lebens und in mannigfaltiger
Bewegung und Berührung gelebt, sollten ihre Stimme erheben und ihren
Einfluß geltend machen. Wir leben in einer Zeit des Uebergangs, wir müssen
also das Alte nicht zerstören, sondern es zeitgemäß abändern und uns so¬
wohl den demokratischen Phantasten als den gemietheten Vertheidigern der
fürstlichen Willkür widersetzen. Beide vereinigen sich, um Zwietracht unter
den verschiedenen Ständen der bürgerlichen Gesellschaft zu erregen, in entge¬
gengesetzten Absichten: die einen, um alle Versuche, eine repräsentative Ver¬
fassung zu bilden, zu vereiteln, die andern, um eine unhaltbare in's Leben
zu bringen. Dieser Haß unter den Standen, unter Bürgern und Adel, be¬
stand in deu blühendsten Zeiten der deutschen Städte, im 13 — 14 Jahrh,
nicht; jeder Stand hatte seine Ehre, zwischen ihnen bestand ein wechselseiti¬
ges Band der Dienstleistungen, des Umgangs, durch Verfassung und Sitten
geknüpft. Diese Staude müssen neben einander bestehen, nicht durch einan-
der gemengt, ein Geschlechts- und Güter-Adel, kein Dienst-Brief-Adel, ein
tüchtiger Bürger- und Gewerbe-Stand, ein ehrsamer freier Bauernstand,
kein Tagelöhncrgesindel: und so steht der alte durch den Lauf der Zeit ge¬
schwächte Stand der Freien wieder da, erscheint in der Gemeinde, am Kreis¬
tage, ans dem Landtage, auf dem Reichstage zum Berather und Beschließen,
und greift in gemeinsamer Noth zu Wehr und Waffen. Ein solcher Zustand
der Dinge läßt sich aus dem Bestehenden entwickeln; auf diese Art wird
nicht alles zertrümmert und ein neues, aus der Lust gegriffenes Gebäude
ohne Festigkeit und Haltung aufgeführt."

Gneisenau an A., im Sommer 1814: „Die große Sache wäre
also so ziemlich gut durchgefochten worden, freilich nicht ohne Hülfe eines
allgewaltigen Schicksals. So wie das Schwert ruhte und die Diplomatie
waltete, traten der Fehler noch mehrere ein. Man richtete seinen Blick nur
auf selbstsüchtige Vortheile und vergaß oder vernachlässigte das Allen gemein¬
same Deutschland. Man wollte sich die überwundene Nation verbinden, und
vernachlässigte es, Deutschland eine Grenze zu geben, wie sie ihm Noth thut.
Diese Versäumniß wird durch heftige Kriege gestraft werden. Doch Sie
wissen ja dies Alles bereits durch H. v. Stein. Diesem edelflnnigen Deut¬
schen verdanken wir viel. Er war fast der Einzige, der mir in Vertheidi¬
gung der Behauptung beistand, man müsse nach Paris gehen und könne nur
dort den Frieden erobern. Möchte man ihn ferner gehört haben und noch
hören wollen; aber die Schwachen und die Boshaften stehen im Bund gegen
ihn: jene fürchten, diese hassen ihn. Ich fürchte daher, daß seine Einwir¬
kung in Wien nicht groß sein wird. Die österreichischen Diplomaten beson-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/475>, abgerufen am 24.08.2024.