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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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schenfteund seine AnHanger, die ihn befreien wollen, an die Häscher verräth,
um, sie nur am Blutvergießen zu hindern, versteht sich von selbst.

Die Form und das Maaß für das Gebahren der Menschheit gibt auf
diesem Standpunkt nicht die Ethik, sondern die Aesthetik: "Lebe rein, mein
Kind, dies schöne Leben, rein von allem Fehl nud bösem Wissen, wie die
Lilie lebt in stiller Unschuld >---, daß dein Denken sei wie Duft der Rose,
wie des Hirten Nachtgesang dein Leben, wie ein Ton aus seiner sanften
Flöte." DaraNs läßt sich viel Bestimmtes nicht machen; ein Nero hatte ja
auch nicht übel Lust, sein Leben wie einen Flötenhanch verklingen zu lassen.
"Ein Natursüß hat das Laster selbst." Die Augenblicke sind nicht in einem
wesentlichen Zusammenhang: "Fühlst dn Mißbehagen zu Zeiten, kann es
dir nicht anders sein als wie dem Schmetterlinge die Eutpuppung, die
tägliche Verwandlung deines Innern, der Menschen nud der Erde um dich
her, als die Unendlichkeit des Lebens selbst!" "Könnte eines Morgens je
die Menschheit vergessen, was sie an den vor'gen Tagen geträumt zu sein --
dann wär' ihr wohl. So wird es leis' allmälig: was sie voreinst gewe¬
sen, hat die Menschheit fürwahr schon halb vergessen; alle Träume der alten
geistbeschränktcn schweren Tage; und was sie alle Nächte ihres Daseins ge¬
lebt, das fängt sie an am hellen Tage zu träumen! -- Und nicht der Tag
wird bald die Welt beherrschen, nein, herrschen wird die Nacht, die groß",
freie, gleichmachende, die Mutter aller Götter. Und wer schon jetzt im
hellen Licht der Sonne das Große denkt, das Heilige empfindet, dem ist
die Sonne, ist die Zeit verschwunden, und göttlich steht er in, der alten
Nacht, im Zauberglanz der Geister." Eine Schaale Opium und die Mensch¬
heit ist erlöst! Novalis blaue Blume verbreitet ihren magisch berauschen-
den Duft, schwarz wird weiß, böse wird gut, und es taumelt die Welt,
ein lieblicher Traum, halb nnr vernommen um die schlaftrunkenen Sinne.
In diesen Geist der Versöhnung versenke sich der Mensch mit seinen end¬
lichen Bedürfnissen, so ist er frei, so ist er göttlich. "Verliere die Persön¬
lichkeit an Gottes größte heilige Person! Und schäme dich deß nicht, daß
dn dahin bist als Tropfen in das Meer; -- denn Göttlichkeit ist unsere
Natur, wie jede Blume Himmelsthau genießt." -- In dieser weichen, un¬
bestimmten Rührung, in diesem Reich der Nacht wird der Geist was er soll.
"Der Athem stockt mir vor Bewunderung, die Augen weinen, die Gedanken
fliehen, ich bin gefangen, bin erstickt in Blumen, hin wie ein Ton in tau¬
send Melodien!"

Bei diesem ewigen Traumleben der Seele ist es natürlich, daß auch
der Inhalt des wirklichen, des sittlichen Lebens in's Phantastische hin-


schenfteund seine AnHanger, die ihn befreien wollen, an die Häscher verräth,
um, sie nur am Blutvergießen zu hindern, versteht sich von selbst.

Die Form und das Maaß für das Gebahren der Menschheit gibt auf
diesem Standpunkt nicht die Ethik, sondern die Aesthetik: „Lebe rein, mein
Kind, dies schöne Leben, rein von allem Fehl nud bösem Wissen, wie die
Lilie lebt in stiller Unschuld >---, daß dein Denken sei wie Duft der Rose,
wie des Hirten Nachtgesang dein Leben, wie ein Ton aus seiner sanften
Flöte." DaraNs läßt sich viel Bestimmtes nicht machen; ein Nero hatte ja
auch nicht übel Lust, sein Leben wie einen Flötenhanch verklingen zu lassen.
„Ein Natursüß hat das Laster selbst." Die Augenblicke sind nicht in einem
wesentlichen Zusammenhang: „Fühlst dn Mißbehagen zu Zeiten, kann es
dir nicht anders sein als wie dem Schmetterlinge die Eutpuppung, die
tägliche Verwandlung deines Innern, der Menschen nud der Erde um dich
her, als die Unendlichkeit des Lebens selbst!" „Könnte eines Morgens je
die Menschheit vergessen, was sie an den vor'gen Tagen geträumt zu sein —
dann wär' ihr wohl. So wird es leis' allmälig: was sie voreinst gewe¬
sen, hat die Menschheit fürwahr schon halb vergessen; alle Träume der alten
geistbeschränktcn schweren Tage; und was sie alle Nächte ihres Daseins ge¬
lebt, das fängt sie an am hellen Tage zu träumen! — Und nicht der Tag
wird bald die Welt beherrschen, nein, herrschen wird die Nacht, die groß«,
freie, gleichmachende, die Mutter aller Götter. Und wer schon jetzt im
hellen Licht der Sonne das Große denkt, das Heilige empfindet, dem ist
die Sonne, ist die Zeit verschwunden, und göttlich steht er in, der alten
Nacht, im Zauberglanz der Geister." Eine Schaale Opium und die Mensch¬
heit ist erlöst! Novalis blaue Blume verbreitet ihren magisch berauschen-
den Duft, schwarz wird weiß, böse wird gut, und es taumelt die Welt,
ein lieblicher Traum, halb nnr vernommen um die schlaftrunkenen Sinne.
In diesen Geist der Versöhnung versenke sich der Mensch mit seinen end¬
lichen Bedürfnissen, so ist er frei, so ist er göttlich. „Verliere die Persön¬
lichkeit an Gottes größte heilige Person! Und schäme dich deß nicht, daß
dn dahin bist als Tropfen in das Meer; — denn Göttlichkeit ist unsere
Natur, wie jede Blume Himmelsthau genießt." — In dieser weichen, un¬
bestimmten Rührung, in diesem Reich der Nacht wird der Geist was er soll.
„Der Athem stockt mir vor Bewunderung, die Augen weinen, die Gedanken
fliehen, ich bin gefangen, bin erstickt in Blumen, hin wie ein Ton in tau¬
send Melodien!"

Bei diesem ewigen Traumleben der Seele ist es natürlich, daß auch
der Inhalt des wirklichen, des sittlichen Lebens in's Phantastische hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/444>, abgerufen am 22.07.2024.