Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vollkommen nachkommen. Sie auch sprechen Französisch, lieben Gold und
Diamanten über alles, verheirathen sich daher auch gewöhnlich 13 bis 14
Jahre alt, um einem Manne das Leben recht sauer zu machen und werden
vor der Zeit alt. Man sieht daher nnr verblühte Frauen hier; aber selten
oder nie ein frisches Jugendgesicht. Ans welcher Stufe der Bildung die
Menschen stehen, mag man daraus entnehmen, daß es in Pera nnr
eine Buchhandlung gibt, und diese eine hat vielleicht einen größern Absatz
an Cigarren als an Büchern. Die Tagespresse ist eine Null; denu außer
dem elenden, von der Negierung erhaltenen "I^du tlo I'ttnon"" erscheint
hier kein politisches Blatt, man kümmert sich auch um keine Politik; der
Levantiner hat keinen Patriotismus, er weiß von keinem politischen Interesse,
da er so wenig ein Vaterland besitzt als eine Muttersprache. Die Zustände
Europa's kümmern ihn nicht; sie sind ihm eine tvrra iueuAiiiw, die ganz
außerhalb seines beschränkten Gesichtskreises liegen. Künste und Wissenschaf¬
ter, sind einzig durch die italienische Oper und die Hochschule Kill-leüt 8on.it
vertreten. An letzterer werden alle Sprachen, Naturwissenschaften ze. gelehrt
und besonders Aerzte ausgebildet; der Unterricht ist gratis. Man hat kürz¬
lich auch eine forstwissenschaftliche und Agricultur - Schule errichtet; eine
Militär-Schule besteht schon seit längerer Zeit. Die Regierung erhält alle
diese Austollen auf eigene Kosten, läßt Lehrer aus allen Ländern Europa's
-- selbst ans Amerika kommen, um die Bevölkerung aus der bodenlosen
Unwissenheit zu reißen, in der sie mit so großer Hartnäckigkeit beharrt.
Nicht immer bestrebt sich die Regierung der Industrie aufzuhelfen, um den
ungeheuren Tribut zu ersparen, den das Land für Fabrikate, besonders Eng¬
lands , Frankreichs und Deutschlands bezahlen muß und die es leicht selbst
erzeugen könnte. So löblich auch alle Bestrebungen der Art sind, so werden
doch auch häufig Mißgriffe gemacht, wodurch man nicht allein an der Er¬
reichung seines Zweckes gehindert wird, sondern noch schlimmere Resultate
herbeiführt und besonders Unzufriedenheit hervorruft, und dadurch den alle¬
zeit fertigen fanatischen Priestern erwünschten Anlaß gibt, das Volk gegen
die Regierung aufzuwiegeln, die dem Fortschritt huldigenden Rathgeber des
Großherrn zu stürzen oder ans dein Wege zu schaffen und besonders den
Frankenhaß anzuschüren, welche Bemühungen denn auch --- wie die Erfah¬
rung oft genug zeigt -- nicht erfolglos bleiben. So hat man alte, tief ein¬
gewurzelte Sitten abgeschafft, nnr um der europäischen Mode zu huldigen
und an die Stelle etwas höchst Unpassendes für die hiesigen Einrichtungen
ganz Ungeeignetes gesetzt. Dahin gehört besonders die Reorganisation des
Militärs. Anstatt den Anfang damit zu macheu, tüchtige Offiziere zu dit-


vollkommen nachkommen. Sie auch sprechen Französisch, lieben Gold und
Diamanten über alles, verheirathen sich daher auch gewöhnlich 13 bis 14
Jahre alt, um einem Manne das Leben recht sauer zu machen und werden
vor der Zeit alt. Man sieht daher nnr verblühte Frauen hier; aber selten
oder nie ein frisches Jugendgesicht. Ans welcher Stufe der Bildung die
Menschen stehen, mag man daraus entnehmen, daß es in Pera nnr
eine Buchhandlung gibt, und diese eine hat vielleicht einen größern Absatz
an Cigarren als an Büchern. Die Tagespresse ist eine Null; denu außer
dem elenden, von der Negierung erhaltenen „I^du tlo I'ttnon«" erscheint
hier kein politisches Blatt, man kümmert sich auch um keine Politik; der
Levantiner hat keinen Patriotismus, er weiß von keinem politischen Interesse,
da er so wenig ein Vaterland besitzt als eine Muttersprache. Die Zustände
Europa's kümmern ihn nicht; sie sind ihm eine tvrra iueuAiiiw, die ganz
außerhalb seines beschränkten Gesichtskreises liegen. Künste und Wissenschaf¬
ter, sind einzig durch die italienische Oper und die Hochschule Kill-leüt 8on.it
vertreten. An letzterer werden alle Sprachen, Naturwissenschaften ze. gelehrt
und besonders Aerzte ausgebildet; der Unterricht ist gratis. Man hat kürz¬
lich auch eine forstwissenschaftliche und Agricultur - Schule errichtet; eine
Militär-Schule besteht schon seit längerer Zeit. Die Regierung erhält alle
diese Austollen auf eigene Kosten, läßt Lehrer aus allen Ländern Europa's
— selbst ans Amerika kommen, um die Bevölkerung aus der bodenlosen
Unwissenheit zu reißen, in der sie mit so großer Hartnäckigkeit beharrt.
Nicht immer bestrebt sich die Regierung der Industrie aufzuhelfen, um den
ungeheuren Tribut zu ersparen, den das Land für Fabrikate, besonders Eng¬
lands , Frankreichs und Deutschlands bezahlen muß und die es leicht selbst
erzeugen könnte. So löblich auch alle Bestrebungen der Art sind, so werden
doch auch häufig Mißgriffe gemacht, wodurch man nicht allein an der Er¬
reichung seines Zweckes gehindert wird, sondern noch schlimmere Resultate
herbeiführt und besonders Unzufriedenheit hervorruft, und dadurch den alle¬
zeit fertigen fanatischen Priestern erwünschten Anlaß gibt, das Volk gegen
die Regierung aufzuwiegeln, die dem Fortschritt huldigenden Rathgeber des
Großherrn zu stürzen oder ans dein Wege zu schaffen und besonders den
Frankenhaß anzuschüren, welche Bemühungen denn auch —- wie die Erfah¬
rung oft genug zeigt — nicht erfolglos bleiben. So hat man alte, tief ein¬
gewurzelte Sitten abgeschafft, nnr um der europäischen Mode zu huldigen
und an die Stelle etwas höchst Unpassendes für die hiesigen Einrichtungen
ganz Ungeeignetes gesetzt. Dahin gehört besonders die Reorganisation des
Militärs. Anstatt den Anfang damit zu macheu, tüchtige Offiziere zu dit-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272320"/>
          <p xml:id="ID_1425" prev="#ID_1424" next="#ID_1426"> vollkommen nachkommen.  Sie auch sprechen Französisch, lieben Gold und<lb/>
Diamanten über alles, verheirathen sich daher auch gewöhnlich 13 bis 14<lb/>
Jahre alt, um einem Manne das Leben recht sauer zu machen und werden<lb/>
vor der Zeit alt. Man sieht daher nnr verblühte Frauen hier; aber selten<lb/>
oder nie ein frisches Jugendgesicht. Ans welcher Stufe der Bildung die<lb/>
Menschen stehen, mag man daraus entnehmen, daß es in Pera nnr<lb/>
eine Buchhandlung gibt, und diese eine hat vielleicht einen größern Absatz<lb/>
an Cigarren als an Büchern. Die Tagespresse ist eine Null; denu außer<lb/>
dem elenden, von der Negierung erhaltenen &#x201E;I^du tlo I'ttnon«" erscheint<lb/>
hier kein politisches Blatt, man kümmert sich auch um keine Politik; der<lb/>
Levantiner hat keinen Patriotismus, er weiß von keinem politischen Interesse,<lb/>
da er so wenig ein Vaterland besitzt als eine Muttersprache. Die Zustände<lb/>
Europa's kümmern ihn nicht; sie sind ihm eine tvrra iueuAiiiw, die ganz<lb/>
außerhalb seines beschränkten Gesichtskreises liegen. Künste und Wissenschaf¬<lb/>
ter, sind einzig durch die italienische Oper und die Hochschule Kill-leüt 8on.it<lb/>
vertreten. An letzterer werden alle Sprachen, Naturwissenschaften ze. gelehrt<lb/>
und besonders Aerzte ausgebildet; der Unterricht ist gratis. Man hat kürz¬<lb/>
lich auch eine forstwissenschaftliche und Agricultur - Schule errichtet; eine<lb/>
Militär-Schule besteht schon seit längerer Zeit. Die Regierung erhält alle<lb/>
diese Austollen auf eigene Kosten, läßt Lehrer aus allen Ländern Europa's<lb/>
&#x2014; selbst ans Amerika kommen, um die Bevölkerung aus der bodenlosen<lb/>
Unwissenheit zu reißen, in der sie mit so großer Hartnäckigkeit beharrt.<lb/>
Nicht immer bestrebt sich die Regierung der Industrie aufzuhelfen, um den<lb/>
ungeheuren Tribut zu ersparen, den das Land für Fabrikate, besonders Eng¬<lb/>
lands , Frankreichs und Deutschlands bezahlen muß und die es leicht selbst<lb/>
erzeugen könnte. So löblich auch alle Bestrebungen der Art sind, so werden<lb/>
doch auch häufig Mißgriffe gemacht, wodurch man nicht allein an der Er¬<lb/>
reichung seines Zweckes gehindert wird, sondern noch schlimmere Resultate<lb/>
herbeiführt und besonders Unzufriedenheit hervorruft, und dadurch den alle¬<lb/>
zeit fertigen fanatischen Priestern erwünschten Anlaß gibt, das Volk gegen<lb/>
die Regierung aufzuwiegeln, die dem Fortschritt huldigenden Rathgeber des<lb/>
Großherrn zu stürzen oder ans dein Wege zu schaffen und besonders den<lb/>
Frankenhaß anzuschüren, welche Bemühungen denn auch &#x2014;- wie die Erfah¬<lb/>
rung oft genug zeigt &#x2014; nicht erfolglos bleiben. So hat man alte, tief ein¬<lb/>
gewurzelte Sitten abgeschafft, nnr um der europäischen Mode zu huldigen<lb/>
und an die Stelle etwas höchst Unpassendes für die hiesigen Einrichtungen<lb/>
ganz Ungeeignetes gesetzt. Dahin gehört besonders die Reorganisation des<lb/>
Militärs. Anstatt den Anfang damit zu macheu, tüchtige Offiziere zu dit-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] vollkommen nachkommen. Sie auch sprechen Französisch, lieben Gold und Diamanten über alles, verheirathen sich daher auch gewöhnlich 13 bis 14 Jahre alt, um einem Manne das Leben recht sauer zu machen und werden vor der Zeit alt. Man sieht daher nnr verblühte Frauen hier; aber selten oder nie ein frisches Jugendgesicht. Ans welcher Stufe der Bildung die Menschen stehen, mag man daraus entnehmen, daß es in Pera nnr eine Buchhandlung gibt, und diese eine hat vielleicht einen größern Absatz an Cigarren als an Büchern. Die Tagespresse ist eine Null; denu außer dem elenden, von der Negierung erhaltenen „I^du tlo I'ttnon«" erscheint hier kein politisches Blatt, man kümmert sich auch um keine Politik; der Levantiner hat keinen Patriotismus, er weiß von keinem politischen Interesse, da er so wenig ein Vaterland besitzt als eine Muttersprache. Die Zustände Europa's kümmern ihn nicht; sie sind ihm eine tvrra iueuAiiiw, die ganz außerhalb seines beschränkten Gesichtskreises liegen. Künste und Wissenschaf¬ ter, sind einzig durch die italienische Oper und die Hochschule Kill-leüt 8on.it vertreten. An letzterer werden alle Sprachen, Naturwissenschaften ze. gelehrt und besonders Aerzte ausgebildet; der Unterricht ist gratis. Man hat kürz¬ lich auch eine forstwissenschaftliche und Agricultur - Schule errichtet; eine Militär-Schule besteht schon seit längerer Zeit. Die Regierung erhält alle diese Austollen auf eigene Kosten, läßt Lehrer aus allen Ländern Europa's — selbst ans Amerika kommen, um die Bevölkerung aus der bodenlosen Unwissenheit zu reißen, in der sie mit so großer Hartnäckigkeit beharrt. Nicht immer bestrebt sich die Regierung der Industrie aufzuhelfen, um den ungeheuren Tribut zu ersparen, den das Land für Fabrikate, besonders Eng¬ lands , Frankreichs und Deutschlands bezahlen muß und die es leicht selbst erzeugen könnte. So löblich auch alle Bestrebungen der Art sind, so werden doch auch häufig Mißgriffe gemacht, wodurch man nicht allein an der Er¬ reichung seines Zweckes gehindert wird, sondern noch schlimmere Resultate herbeiführt und besonders Unzufriedenheit hervorruft, und dadurch den alle¬ zeit fertigen fanatischen Priestern erwünschten Anlaß gibt, das Volk gegen die Regierung aufzuwiegeln, die dem Fortschritt huldigenden Rathgeber des Großherrn zu stürzen oder ans dein Wege zu schaffen und besonders den Frankenhaß anzuschüren, welche Bemühungen denn auch —- wie die Erfah¬ rung oft genug zeigt — nicht erfolglos bleiben. So hat man alte, tief ein¬ gewurzelte Sitten abgeschafft, nnr um der europäischen Mode zu huldigen und an die Stelle etwas höchst Unpassendes für die hiesigen Einrichtungen ganz Ungeeignetes gesetzt. Dahin gehört besonders die Reorganisation des Militärs. Anstatt den Anfang damit zu macheu, tüchtige Offiziere zu dit-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/421>, abgerufen am 22.07.2024.