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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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denen man zu Hanse gelesen; wenn der erste Eindruck verwischt, der magische
Zauber geschwunden, mit dem der Anblick dieser Gegenden die Sinne umnebelt,
wird man bei jedem Schritt auf diesem Boden durch die Rohheit des Volkes aus
seinem Himmel gerissen, und durch den Koch in den Straßen, durch die
pestilenzartige Atmosphäre an eine unangenehme Gegenwart erinnert. Mail
sagt, daß ein Engländer hierher gekommen sei, den vielgerühmten Bospo¬
rus zu scheu, ohne einen Fuß an das Land zu setzen; mag diese Anekdote
gleich nicht gegründeten, so ist sie doch sehr bezeichnend und gut erfun¬
den. Von mir also, der nun schon seit 6 Monaten auf diesem Boden ge¬
wandelt hat, wird Niemand mehr eine.enthusiastische Schilderung erwarten.
Die Neuheit hat ihren Neiz verloren und ich bin jetzt nur Geschäftsmann.
So will ich mich deun auch auf das beschränken, was mich persönlich be¬
schäftigt und zugleich mit den Schilderungen des hiesigen Lebens und Trei¬
bens etwas über die socialen und politischen Verhältnisse einflechten, und
welche Vortheile sich für den Buchhandel bieten könnten.

Ich wohne hier in Babeck, wo außer uus Deutschen uoch Griechen,
Armenier und Türken leben, mit denen wir aber keinen speziellen Umgang
haben. Was mich persönlich abhält, mit ihnen zu verkehren, ist die Un-
kenntniß dieser drei Sprachen, und derselbe Grund mag auch Andere abhal¬
ten. Außerdem ist hier eine Erziehungsanstalt von dein französischen Lazari-
sten-Orden; und zwei amerikainsche Missionäre befinden sich hier, deren Auf¬
gabe es ist, katholische Armenier zu unterrichten, und gelegentlich zum Pro¬
testantismus überzuführen. Beide haben Familie und sind sehr achtbare
Menschen; doch können wir auch mit diesen der Sprache wegen nicht umge¬
hen, denn sie verstehen nur Englisch oder Türkisch. Man kann demnach bei
dem beseelt Willen nicht aus seinen: Kreise herausgehen. Der Tag vergeht
somit in Geschäften, der Abend ist der Erlernung dieser Sprachen gewid¬
met, deren Kenntniß hier unerläßlich ist. Wie sehr bedauert man dann die
Verkehrtheit in unserm deutschen Vaterlande, jedem Knaben Griechisch und
Lateinisch eiuzupaukeu, was er nicht braucht, und die lebenden Sprachen zu
vernachlässigen, die für seinen praktischen Beruf täglich unerläßlicher werden.
Wann wird man bei uns lernen, Gcschäftsmänlier zu erziehen und deu Kna¬
ben für das heranzubilden, was er als Mann ausüben soll? -- Sobald
wir über die Grenzen unseres lieben Vaterlandes hinauskommen, müssen
wir es bitter empfinden, wie wenig man mit seiner Muttersprache ausreicht.
Das Französische nimmt auch hier, wie überall, den erstell Platz ein. Es
ist dies die einzige Sprache, welche die Türken erlernen, um darin mit den
übrigen Nationen Unterhandlungen zu pflegen. Im Galata Serail, der neu


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denen man zu Hanse gelesen; wenn der erste Eindruck verwischt, der magische
Zauber geschwunden, mit dem der Anblick dieser Gegenden die Sinne umnebelt,
wird man bei jedem Schritt auf diesem Boden durch die Rohheit des Volkes aus
seinem Himmel gerissen, und durch den Koch in den Straßen, durch die
pestilenzartige Atmosphäre an eine unangenehme Gegenwart erinnert. Mail
sagt, daß ein Engländer hierher gekommen sei, den vielgerühmten Bospo¬
rus zu scheu, ohne einen Fuß an das Land zu setzen; mag diese Anekdote
gleich nicht gegründeten, so ist sie doch sehr bezeichnend und gut erfun¬
den. Von mir also, der nun schon seit 6 Monaten auf diesem Boden ge¬
wandelt hat, wird Niemand mehr eine.enthusiastische Schilderung erwarten.
Die Neuheit hat ihren Neiz verloren und ich bin jetzt nur Geschäftsmann.
So will ich mich deun auch auf das beschränken, was mich persönlich be¬
schäftigt und zugleich mit den Schilderungen des hiesigen Lebens und Trei¬
bens etwas über die socialen und politischen Verhältnisse einflechten, und
welche Vortheile sich für den Buchhandel bieten könnten.

Ich wohne hier in Babeck, wo außer uus Deutschen uoch Griechen,
Armenier und Türken leben, mit denen wir aber keinen speziellen Umgang
haben. Was mich persönlich abhält, mit ihnen zu verkehren, ist die Un-
kenntniß dieser drei Sprachen, und derselbe Grund mag auch Andere abhal¬
ten. Außerdem ist hier eine Erziehungsanstalt von dein französischen Lazari-
sten-Orden; und zwei amerikainsche Missionäre befinden sich hier, deren Auf¬
gabe es ist, katholische Armenier zu unterrichten, und gelegentlich zum Pro¬
testantismus überzuführen. Beide haben Familie und sind sehr achtbare
Menschen; doch können wir auch mit diesen der Sprache wegen nicht umge¬
hen, denn sie verstehen nur Englisch oder Türkisch. Man kann demnach bei
dem beseelt Willen nicht aus seinen: Kreise herausgehen. Der Tag vergeht
somit in Geschäften, der Abend ist der Erlernung dieser Sprachen gewid¬
met, deren Kenntniß hier unerläßlich ist. Wie sehr bedauert man dann die
Verkehrtheit in unserm deutschen Vaterlande, jedem Knaben Griechisch und
Lateinisch eiuzupaukeu, was er nicht braucht, und die lebenden Sprachen zu
vernachlässigen, die für seinen praktischen Beruf täglich unerläßlicher werden.
Wann wird man bei uns lernen, Gcschäftsmänlier zu erziehen und deu Kna¬
ben für das heranzubilden, was er als Mann ausüben soll? — Sobald
wir über die Grenzen unseres lieben Vaterlandes hinauskommen, müssen
wir es bitter empfinden, wie wenig man mit seiner Muttersprache ausreicht.
Das Französische nimmt auch hier, wie überall, den erstell Platz ein. Es
ist dies die einzige Sprache, welche die Türken erlernen, um darin mit den
übrigen Nationen Unterhandlungen zu pflegen. Im Galata Serail, der neu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/419>, abgerufen am 22.07.2024.