Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.die Nothdurft Anderer hingeben, muß von unserm verhältnißmäßigen Ueberflusse Und diesen Rath Lord John's befolgt jetzt die englische Aristokratie, wie die Nothdurft Anderer hingeben, muß von unserm verhältnißmäßigen Ueberflusse Und diesen Rath Lord John's befolgt jetzt die englische Aristokratie, wie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272257"/> <p xml:id="ID_1246" prev="#ID_1245"> die Nothdurft Anderer hingeben, muß von unserm verhältnißmäßigen Ueberflusse<lb/> abgezogen werden." So denken leider nur zu viele kluge Praktiker aber so spre¬<lb/> chen sie nur selten. Die Times selbst würde sich höchst wahrscheinlich sogar hü¬<lb/> ten, eine solche Ansicht anch nur dem englischen Elend gegenüber offen auszu-<lb/> sprechen; mit irländischen macht man weniger Umstände. Aber deswegen ist<lb/> dies Gefühl nicht weniger allgemein in gewissen Kreisen. Der noble Lord John<lb/> Rüssel sprach ebenfalls in den letzten Tagen, — nach einem Festmahle zum Des¬<lb/> sert über die Noth und den Hunger in England. Es läßt sich mit vollem Ma¬<lb/> gen darüber schon eine Vcrdauungs-Rede halten. Der noble Lord sagte in an¬<lb/> dern Worten und weniger klar, was das nnnoble Blatt so offen nur den Jrlän-<lb/> dern an den Kopf werfen zu dürfen wagte. Lord John ist ein feiner Politikus,<lb/> ein kluger Praktikus, und so hieß sein Dessert für die Lord-Mayor's Gäste: „Ich<lb/> habe nicht die Absicht, Ihnen die schmeichelnde Hoffnung vorzuhalten, daß wir<lb/> durch ein Unglück von rein vorübergehendem Charakter leiden." — Das wäre<lb/> ein Zugeständnis?, das ebenfalls die „unpraktischen" Leute stolz machen könnte,<lb/> denn die behaupten seit langem, daß das Uebel tiefer liege, als in einem zufäl¬<lb/> ligen Mißverhältnisse. — Doch lassen wir dem nobeln Lord Praktikus das Wort,<lb/> sehen wir, wie er, nachdem er das Uebel halbwegs erkannt, ihm abzuhelfen ge¬<lb/> denkt. Er sagt: „Ich meine, daß während wir von der einen Seite die freie<lb/> Zufuhr der größten Masse von Nahrungsmitteln so sehr als möglich befördern<lb/> müssen, es gleichsam die Pflicht jedes Hausherrn ist, >— die Nahrungsmittel, die'<lb/> wir haben, so sehr als möglich zu schonen." — O, Till Eulenspiegel, seligen<lb/> Andenkens, du würdest heute Premier-Minister sogar in England werden kön¬<lb/> nen. Das Korn ist selten und Minister Eulenspiegel räth, dafür zu sorgen,<lb/> daß es weniger selten werde und zugleich damit so sparsam umzugehen als mög¬<lb/> lich. Wer hätte denken sollen, daß die Praktiker so gar praktisch sein könnten.<lb/> Handelte es sich uicht um Hunger und Elend, — ich würde die Geschichte einem<lb/> deutschen Lustspieldichter empfehlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1247"> Und diesen Rath Lord John's befolgt jetzt die englische Aristokratie, wie<lb/> ein Mann, nachdem eine Fran — die Königin, ihnen mit dem edeln Beispiele<lb/> vorangegangen, und die Goldfische im Park zu Händen Court, nebst den Be¬<lb/> dienten in allen andern Pallästen auf halbe Brodration gesetzt hat. Das ist<lb/> überdies eine ganz gute Speculation — denn das Fleisch ist verhältnißmäßig<lb/> wohlfeiler. Doch habe ich nicht Lust, zu unterstellen, daß auch mir Einer der<lb/> englischen Adeligen an die Speculation gedacht hat. Aber das wird nicht ver¬<lb/> hindern, daß die Folge dieser Maßregel dennoch eher Nachtheil als Vortheil brin¬<lb/> gen muß. Es wird eine Beschränkung der täglichen Ausgaben der Reichen dar¬<lb/> aus hervorgehen; und diese selbst kann die Noth nicht vermindern, so lange der<lb/> Gewinn nicht in die Hände der Nothleidenden fließt. Wer nicht zugleich sagt:<lb/> Ich beschränke meine Ausgaben sür meinen eignen Unterhalt, aber, was ich we¬<lb/> niger sür mich ausgebe, soll für Andere ausgegeben werd.en, der<lb/> wird durch den von Lord John Rüssel empfohlenen, von der Königin und der<lb/> ganzen englischen „nobility" befolgten guten Rath — die Noth nur ver¬<lb/> mehren.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0358]
die Nothdurft Anderer hingeben, muß von unserm verhältnißmäßigen Ueberflusse
abgezogen werden." So denken leider nur zu viele kluge Praktiker aber so spre¬
chen sie nur selten. Die Times selbst würde sich höchst wahrscheinlich sogar hü¬
ten, eine solche Ansicht anch nur dem englischen Elend gegenüber offen auszu-
sprechen; mit irländischen macht man weniger Umstände. Aber deswegen ist
dies Gefühl nicht weniger allgemein in gewissen Kreisen. Der noble Lord John
Rüssel sprach ebenfalls in den letzten Tagen, — nach einem Festmahle zum Des¬
sert über die Noth und den Hunger in England. Es läßt sich mit vollem Ma¬
gen darüber schon eine Vcrdauungs-Rede halten. Der noble Lord sagte in an¬
dern Worten und weniger klar, was das nnnoble Blatt so offen nur den Jrlän-
dern an den Kopf werfen zu dürfen wagte. Lord John ist ein feiner Politikus,
ein kluger Praktikus, und so hieß sein Dessert für die Lord-Mayor's Gäste: „Ich
habe nicht die Absicht, Ihnen die schmeichelnde Hoffnung vorzuhalten, daß wir
durch ein Unglück von rein vorübergehendem Charakter leiden." — Das wäre
ein Zugeständnis?, das ebenfalls die „unpraktischen" Leute stolz machen könnte,
denn die behaupten seit langem, daß das Uebel tiefer liege, als in einem zufäl¬
ligen Mißverhältnisse. — Doch lassen wir dem nobeln Lord Praktikus das Wort,
sehen wir, wie er, nachdem er das Uebel halbwegs erkannt, ihm abzuhelfen ge¬
denkt. Er sagt: „Ich meine, daß während wir von der einen Seite die freie
Zufuhr der größten Masse von Nahrungsmitteln so sehr als möglich befördern
müssen, es gleichsam die Pflicht jedes Hausherrn ist, >— die Nahrungsmittel, die'
wir haben, so sehr als möglich zu schonen." — O, Till Eulenspiegel, seligen
Andenkens, du würdest heute Premier-Minister sogar in England werden kön¬
nen. Das Korn ist selten und Minister Eulenspiegel räth, dafür zu sorgen,
daß es weniger selten werde und zugleich damit so sparsam umzugehen als mög¬
lich. Wer hätte denken sollen, daß die Praktiker so gar praktisch sein könnten.
Handelte es sich uicht um Hunger und Elend, — ich würde die Geschichte einem
deutschen Lustspieldichter empfehlen.
Und diesen Rath Lord John's befolgt jetzt die englische Aristokratie, wie
ein Mann, nachdem eine Fran — die Königin, ihnen mit dem edeln Beispiele
vorangegangen, und die Goldfische im Park zu Händen Court, nebst den Be¬
dienten in allen andern Pallästen auf halbe Brodration gesetzt hat. Das ist
überdies eine ganz gute Speculation — denn das Fleisch ist verhältnißmäßig
wohlfeiler. Doch habe ich nicht Lust, zu unterstellen, daß auch mir Einer der
englischen Adeligen an die Speculation gedacht hat. Aber das wird nicht ver¬
hindern, daß die Folge dieser Maßregel dennoch eher Nachtheil als Vortheil brin¬
gen muß. Es wird eine Beschränkung der täglichen Ausgaben der Reichen dar¬
aus hervorgehen; und diese selbst kann die Noth nicht vermindern, so lange der
Gewinn nicht in die Hände der Nothleidenden fließt. Wer nicht zugleich sagt:
Ich beschränke meine Ausgaben sür meinen eignen Unterhalt, aber, was ich we¬
niger sür mich ausgebe, soll für Andere ausgegeben werd.en, der
wird durch den von Lord John Rüssel empfohlenen, von der Königin und der
ganzen englischen „nobility" befolgten guten Rath — die Noth nur ver¬
mehren.
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