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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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tit, daß ihm neues Fleisch anwächst, und er so halb todt halb lebendig ist,
eine Doppelnatur, die auch sein geistiges Wesen berührt, denn als Tod'
ter ist er boshaft, als partiell Lebendiger sehr gutmüthig nud treuherzig.

Das Leben ist ein Traum, ein Somnambulismus, eine Hexerei, ein
Unsinn! das ist ungefähr der Grundcharakter dieser abentheuerlichen Erzäh¬
lung. Seht euch den Hieronymus Bosch oder den Höllenbreughel an, so
habt ihr denselben Eindruck. Der Teufel ist ein Humorist, Schuld und
Buße, Zweck und Vernunft eine Grimasse; die Affen, je possirlicher sie siud,
die Prototypen dieses menschlichen Lügenspicls.

Einige andere Nachtstücke, z. B. Maria Meint Blainville und
die drei Majorats Herrn sind mehr in dem Hoffmann'sehen Geschmack ge¬
schrieben ; uur wird auch hier der unheimliche Spuk, der in einer fabelhaften
Fülle sich zusammengedrängt, durch die Reflexion, die dem Dichter imma¬
nent war, und setzen wir hinzu, durch seine ursprünglich realistische Natur
fortwährend gestört.

Im Jahr !8>7, als der Freiheitskampf beendigt war, und mit der
Restauration der verschimmelten Heiligkeit auch die Restauration der "un¬
schuldige"" Poesie begann, in jener seligen Zeit des Zauberrings, der Te-
uels-Elixire und der Elauern'schen Novellen -- gab Arnim seinen der An¬
lage nach größten Roman heraus: Die Kronenwächtcr, und zwar nur
den ersten Theil, bei dem es auch geblieben ist: Berthold'S erstes und
zweites Leben. Er spielt in der Negierung deö Kaiser Maximilian, einer
Zeit, die Arnim wegen ihrer frauenhaft - realistischen Literatur und ihrer
barock-verständigen sozialen Zustande besonders am Herzen liegt. Während
einerseits das städtische Kleinleben jener Tage, mau kann sage", mit Meister¬
hand gezeichnet ist, spielt wieder ein phantastisches Jenseits in diesen Rea¬
lismus hinein: eine geheime Nitterverbrüdernng, die den Zweck hat, die
Hohenstaufen wieder auf deu Thron zu sehen und mit ihnen das Mittelalter
wieder heraufzubeschwören. Wie sie das in's Werk zu setzen gedenkt, ist
nicht wohl abzusehen; daß sie in einem gläsernen Schloß wohnt, in dessen
höchstem Thurm die alte Krone der Hohenstaufen aufbewahrt wird, scheint
eine solche Revolution nicht hinreichend zu motiviren; vorläufig begnügt sie
sich damit, für die Population zu sorge"; sie verheirathet alle Glieder des
Hohenstaufen'schen Hanfes, und sorgt für sie bis sie Kinder haben. Um so
närrischer nimmt sich diese mystische Eonspiration ans, da der Hauptheld,
ein Hvhenstcuisc, ursprünglich Schreiber, von dem Herrn Bürgermeister mit
eine", Fußtritt aus dem Hause geworfen wird, dann die Färberei treibt,
einen Schatz findet, den alten, geheimnißvollen Palast der Hohenstaufen in


tit, daß ihm neues Fleisch anwächst, und er so halb todt halb lebendig ist,
eine Doppelnatur, die auch sein geistiges Wesen berührt, denn als Tod'
ter ist er boshaft, als partiell Lebendiger sehr gutmüthig nud treuherzig.

Das Leben ist ein Traum, ein Somnambulismus, eine Hexerei, ein
Unsinn! das ist ungefähr der Grundcharakter dieser abentheuerlichen Erzäh¬
lung. Seht euch den Hieronymus Bosch oder den Höllenbreughel an, so
habt ihr denselben Eindruck. Der Teufel ist ein Humorist, Schuld und
Buße, Zweck und Vernunft eine Grimasse; die Affen, je possirlicher sie siud,
die Prototypen dieses menschlichen Lügenspicls.

Einige andere Nachtstücke, z. B. Maria Meint Blainville und
die drei Majorats Herrn sind mehr in dem Hoffmann'sehen Geschmack ge¬
schrieben ; uur wird auch hier der unheimliche Spuk, der in einer fabelhaften
Fülle sich zusammengedrängt, durch die Reflexion, die dem Dichter imma¬
nent war, und setzen wir hinzu, durch seine ursprünglich realistische Natur
fortwährend gestört.

Im Jahr !8>7, als der Freiheitskampf beendigt war, und mit der
Restauration der verschimmelten Heiligkeit auch die Restauration der „un¬
schuldige»" Poesie begann, in jener seligen Zeit des Zauberrings, der Te-
uels-Elixire und der Elauern'schen Novellen — gab Arnim seinen der An¬
lage nach größten Roman heraus: Die Kronenwächtcr, und zwar nur
den ersten Theil, bei dem es auch geblieben ist: Berthold'S erstes und
zweites Leben. Er spielt in der Negierung deö Kaiser Maximilian, einer
Zeit, die Arnim wegen ihrer frauenhaft - realistischen Literatur und ihrer
barock-verständigen sozialen Zustande besonders am Herzen liegt. Während
einerseits das städtische Kleinleben jener Tage, mau kann sage», mit Meister¬
hand gezeichnet ist, spielt wieder ein phantastisches Jenseits in diesen Rea¬
lismus hinein: eine geheime Nitterverbrüdernng, die den Zweck hat, die
Hohenstaufen wieder auf deu Thron zu sehen und mit ihnen das Mittelalter
wieder heraufzubeschwören. Wie sie das in's Werk zu setzen gedenkt, ist
nicht wohl abzusehen; daß sie in einem gläsernen Schloß wohnt, in dessen
höchstem Thurm die alte Krone der Hohenstaufen aufbewahrt wird, scheint
eine solche Revolution nicht hinreichend zu motiviren; vorläufig begnügt sie
sich damit, für die Population zu sorge»; sie verheirathet alle Glieder des
Hohenstaufen'schen Hanfes, und sorgt für sie bis sie Kinder haben. Um so
närrischer nimmt sich diese mystische Eonspiration ans, da der Hauptheld,
ein Hvhenstcuisc, ursprünglich Schreiber, von dem Herrn Bürgermeister mit
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/345>, abgerufen am 22.07.2024.