Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.Nachschrift, mit welcher Arnim den ersten Theil des "Wunderhorns" begleitet, Man kann die Poesie der Zeit nach !80ki zu der vorhergehenden in In engem Zusammenhang mit jener Liedersammlung stehen die Auf¬ Nachschrift, mit welcher Arnim den ersten Theil des „Wunderhorns" begleitet, Man kann die Poesie der Zeit nach !80ki zu der vorhergehenden in In engem Zusammenhang mit jener Liedersammlung stehen die Auf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/272237"/> <p xml:id="ID_1175" prev="#ID_1174"> Nachschrift, mit welcher Arnim den ersten Theil des „Wunderhorns" begleitet,<lb/> ist von Bedeutung; es ist in demselben, in einer ziemlich verworrenen Sprache,<lb/> alles das vereinigt, was der Geist der Individualität gegen das hnmanisi-<lb/> reude Bestreben der Aufklärung jemals vorgebracht hat, vom poetischen, sitt¬<lb/> lichen, socialen, selbst politischen Standpunkte aus. So excentrisch und selbst<lb/> roh uns diese idyllischen Anforderungen des Natnrwnchses klingen mögen, so<lb/> ist nicht zu vergessen, daß bis dahin die Aufklärung eine rein formelle, zer¬<lb/> setzende gewesen war; daß ein Inhalt nothwendigerweise eingegossen werden<lb/> mußte, und sollte dieser Inhalt auch aus den Barbareien genommen werden,<lb/> welcher die Aufklärung mit so großer Ausdauer bekämpft hatte. Der Fehler<lb/> der Romantik lag nnr darin, daß sie sich in diesem Standtpunkte fixirte,<lb/> daß sie in den modernen Vorstellungen nur den verhaßten Gegensatz her¬<lb/> aus fühlte, ohne zu merken, daß sie sich selbst in ihren Wendungen und<lb/> Reflexionen gerade durch diesen Gegensatz bestimmen ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_1176"> Man kann die Poesie der Zeit nach !80ki zu der vorhergehenden in<lb/> ein ähnliches Verhältniß setzen, wie die niederländischen Malerschulen zu<lb/> den italienischen. Nur würde die poetische Auffassung des Thatsächlichen<lb/> nicht aus der lebendigen, wirklichen Anschauung genommen, sondern aus<lb/> der Reflexion, ich möchte sagen aus der Gelehrsamkeit. Die Gebrüder Grimm<lb/> und viele Andere haben nach der Zeit ihren Fleiß und ihr darstellendes<lb/> Talent an die Erneuerung dieses Ursprünglichen gewendet; überall sieht<lb/> man aber durch, daß es Gebildete, Gelehrte sind, die sich in die Naivität<lb/> zurückschrauben. Die Sammlung der Ammenmährchen ist das Beste in die¬<lb/> ser Art, weil sie die reinste Copie ist; nur haben die gelehrten Heraus¬<lb/> geber übersehen, daß sie gerade durch diese Copie dazu beigetragen haben,<lb/> das lebendige Original aufzuheben. Die Naivität der Ammenmährchen ist<lb/> unwiderbringlich dahin.</p><lb/> <p xml:id="ID_1177" next="#ID_1178"> In engem Zusammenhang mit jener Liedersammlung stehen die Auf¬<lb/> frischungen alter Volksromane und Puppenspiele im Renaissance-Geschmack,<lb/> von denen Arnim im Jahr 1809 eine Sammlung herausgab, unter dem<lb/> Namen „Wintergarten", durch eine närrische Allegorie dürftig zusammenge¬<lb/> halten, und mit neuen Erzählungen im Geschmack jenes alten Stils durch¬<lb/> webt. Was bei den Schriftstellern des is. und 17. Jahrhunderts naive<lb/> Armuth nud Unbehülflichkeit war, wird hier Affectation, ungefähr wie man<lb/> in den blasirten Zeiten griechischer Bildung den äginetischen Stil nach¬<lb/> ahmte, oder wie man wohl heut zu Tage wieder Heiligenbilder ans Gold¬<lb/> grund malt. Das soll denn etwas Kindliches, Unschuldiges, Ursprüngliches<lb/> haben, wenn man das Eckige oder gar Falsche der Zeichnung, wie sie bei</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
Nachschrift, mit welcher Arnim den ersten Theil des „Wunderhorns" begleitet,
ist von Bedeutung; es ist in demselben, in einer ziemlich verworrenen Sprache,
alles das vereinigt, was der Geist der Individualität gegen das hnmanisi-
reude Bestreben der Aufklärung jemals vorgebracht hat, vom poetischen, sitt¬
lichen, socialen, selbst politischen Standpunkte aus. So excentrisch und selbst
roh uns diese idyllischen Anforderungen des Natnrwnchses klingen mögen, so
ist nicht zu vergessen, daß bis dahin die Aufklärung eine rein formelle, zer¬
setzende gewesen war; daß ein Inhalt nothwendigerweise eingegossen werden
mußte, und sollte dieser Inhalt auch aus den Barbareien genommen werden,
welcher die Aufklärung mit so großer Ausdauer bekämpft hatte. Der Fehler
der Romantik lag nnr darin, daß sie sich in diesem Standtpunkte fixirte,
daß sie in den modernen Vorstellungen nur den verhaßten Gegensatz her¬
aus fühlte, ohne zu merken, daß sie sich selbst in ihren Wendungen und
Reflexionen gerade durch diesen Gegensatz bestimmen ließ.
Man kann die Poesie der Zeit nach !80ki zu der vorhergehenden in
ein ähnliches Verhältniß setzen, wie die niederländischen Malerschulen zu
den italienischen. Nur würde die poetische Auffassung des Thatsächlichen
nicht aus der lebendigen, wirklichen Anschauung genommen, sondern aus
der Reflexion, ich möchte sagen aus der Gelehrsamkeit. Die Gebrüder Grimm
und viele Andere haben nach der Zeit ihren Fleiß und ihr darstellendes
Talent an die Erneuerung dieses Ursprünglichen gewendet; überall sieht
man aber durch, daß es Gebildete, Gelehrte sind, die sich in die Naivität
zurückschrauben. Die Sammlung der Ammenmährchen ist das Beste in die¬
ser Art, weil sie die reinste Copie ist; nur haben die gelehrten Heraus¬
geber übersehen, daß sie gerade durch diese Copie dazu beigetragen haben,
das lebendige Original aufzuheben. Die Naivität der Ammenmährchen ist
unwiderbringlich dahin.
In engem Zusammenhang mit jener Liedersammlung stehen die Auf¬
frischungen alter Volksromane und Puppenspiele im Renaissance-Geschmack,
von denen Arnim im Jahr 1809 eine Sammlung herausgab, unter dem
Namen „Wintergarten", durch eine närrische Allegorie dürftig zusammenge¬
halten, und mit neuen Erzählungen im Geschmack jenes alten Stils durch¬
webt. Was bei den Schriftstellern des is. und 17. Jahrhunderts naive
Armuth nud Unbehülflichkeit war, wird hier Affectation, ungefähr wie man
in den blasirten Zeiten griechischer Bildung den äginetischen Stil nach¬
ahmte, oder wie man wohl heut zu Tage wieder Heiligenbilder ans Gold¬
grund malt. Das soll denn etwas Kindliches, Unschuldiges, Ursprüngliches
haben, wenn man das Eckige oder gar Falsche der Zeichnung, wie sie bei
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