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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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aufgegeben, auf der er erwachsen war; er verschlang alles Recht und alle
Freiheit, und gab dafür Gnade und Willkür, Dienst und Rang. Und als
dann gar die Fürsten daran gingen, die Fülle ihrer despotischen Allgewalt
landesväterlich zur Beglückung ihrer ungefragten Unterthanen zu benutzen,
als sie von oben herab revolutionirten, keine Gewohnheit, kein Recht, keine
Sitte, nichts Heiliges noch Herkömmliches achtend, da war die Entwürdi¬
gung der Völker auf ihrem Gipfel.

In den Freiheitskämpfen wurde diese Entwürdigung aufgehoben. Das
Volk begann ein neues, erhöhtes Leben, indem es den Staat, den es äu¬
ßerlich empfangen, ans seinem eignen Wesen wiedergcbar.

Das eigentliche Staatsleben beginnt im Zeitalter der Reformation;
zunächst freilich in einer rohen, abstracten Form; nicht als eine Gemeinsam¬
keit vieler privaten Rechte und Freiheiten, sondern als eine Machtvollkom¬
menheit der Majestät.

In Karl V- trat dieser Glanz der Majestät zum erstenmal hervor. Es waren
die ersten Fundamente einer modernen Großmacht; dazu gehörte die Berufung
eines Regierungsrathes ans den höhern Verwaltungen der verschiedenen
Länder, eines eben so allgemeinen Finanzrathes, später eines förmlichen
Kabinets, so wie die stete Sorgfalt, eine große Zahl junger Adeligen aus
allen Theilen des Reiches am Hofe zu haben und unter diesem Einfluß sich
ausbilden zu lassen, um sie dann zu deu höchsten geistlichen und weltlichen
Aemtern in die verschiedenen Länder zu senden.

Philipp it. faßt die Idee monarchischer Allmacht in ihrer ganzen Un¬
Heimlichkeit zusammen. Aber wie seiue ganze Zeit, ist er von der Religion
abhängig, und die ständische Opposition, die sich ziemlich in allen Ländern
erhebt, kann sich ans die Idee religiöser Freiheit stütze"; sie vertritt zugleich
ihre alten Rechte und ihr neues Bekenntniß. Es war Zeit, daß die Idee
des Staats den nächstweiteren Schritt that, sich als eine rein politische und
nationale erfaßte.

Es war Richelieu, der dies vollbrachte. Er gründete Ruhe, indem er
die Krone über die Rechte der Stände, über die Erbitterung der Konfessio¬
nen erhob, indem er die Einheit des Reichs, die bisher durch den König
und die Reichsstände dargestellt war, der Krone allein überwies. Er entriß
den Hugenotten ihre corporativen Befugnisse und gewährte deu politisch Ohn¬
mächtigen freie Religionsübung; er schloß die hohe Aristokratie von den
Gouvernements aus und fesselte den ärmeren Adel an den Dienst der Krone;
er begann die Verwaltung zu centralisiren; die Rechtender Communen, der
landschaftlichen Stände ließ er verfallen. Und zugleich gewinnt er die Lide-


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aufgegeben, auf der er erwachsen war; er verschlang alles Recht und alle
Freiheit, und gab dafür Gnade und Willkür, Dienst und Rang. Und als
dann gar die Fürsten daran gingen, die Fülle ihrer despotischen Allgewalt
landesväterlich zur Beglückung ihrer ungefragten Unterthanen zu benutzen,
als sie von oben herab revolutionirten, keine Gewohnheit, kein Recht, keine
Sitte, nichts Heiliges noch Herkömmliches achtend, da war die Entwürdi¬
gung der Völker auf ihrem Gipfel.

In den Freiheitskämpfen wurde diese Entwürdigung aufgehoben. Das
Volk begann ein neues, erhöhtes Leben, indem es den Staat, den es äu¬
ßerlich empfangen, ans seinem eignen Wesen wiedergcbar.

Das eigentliche Staatsleben beginnt im Zeitalter der Reformation;
zunächst freilich in einer rohen, abstracten Form; nicht als eine Gemeinsam¬
keit vieler privaten Rechte und Freiheiten, sondern als eine Machtvollkom¬
menheit der Majestät.

In Karl V- trat dieser Glanz der Majestät zum erstenmal hervor. Es waren
die ersten Fundamente einer modernen Großmacht; dazu gehörte die Berufung
eines Regierungsrathes ans den höhern Verwaltungen der verschiedenen
Länder, eines eben so allgemeinen Finanzrathes, später eines förmlichen
Kabinets, so wie die stete Sorgfalt, eine große Zahl junger Adeligen aus
allen Theilen des Reiches am Hofe zu haben und unter diesem Einfluß sich
ausbilden zu lassen, um sie dann zu deu höchsten geistlichen und weltlichen
Aemtern in die verschiedenen Länder zu senden.

Philipp it. faßt die Idee monarchischer Allmacht in ihrer ganzen Un¬
Heimlichkeit zusammen. Aber wie seiue ganze Zeit, ist er von der Religion
abhängig, und die ständische Opposition, die sich ziemlich in allen Ländern
erhebt, kann sich ans die Idee religiöser Freiheit stütze»; sie vertritt zugleich
ihre alten Rechte und ihr neues Bekenntniß. Es war Zeit, daß die Idee
des Staats den nächstweiteren Schritt that, sich als eine rein politische und
nationale erfaßte.

Es war Richelieu, der dies vollbrachte. Er gründete Ruhe, indem er
die Krone über die Rechte der Stände, über die Erbitterung der Konfessio¬
nen erhob, indem er die Einheit des Reichs, die bisher durch den König
und die Reichsstände dargestellt war, der Krone allein überwies. Er entriß
den Hugenotten ihre corporativen Befugnisse und gewährte deu politisch Ohn¬
mächtigen freie Religionsübung; er schloß die hohe Aristokratie von den
Gouvernements aus und fesselte den ärmeren Adel an den Dienst der Krone;
er begann die Verwaltung zu centralisiren; die Rechtender Communen, der
landschaftlichen Stände ließ er verfallen. Und zugleich gewinnt er die Lide-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/287>, abgerufen am 24.08.2024.