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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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VI.
Erzherzog Karl.

Durch den Tod des greisen Feldherrn erleidet Oesterreich einen unbe¬
rechenbaren, ja einen unersetzlichen Verlust. Man wende nicht ein, daß nichts
in der Welt unersetzlich sei. Nur das Physische, Greifbare erneuert sich wieder,
aber ein Gedanke, der verwischt wird, ein Ideal, das ans dem Leben schwindet,
ist durch Nichts zu ersetzen. Zertrümmert die Vendomesänlc, zündet die West-
minsterabtei an vier Enden an, es gibt Blöcke genug, ans denen sich eine andere
Colonne hauen läßt, es fehlt nicht an Stein und Mörtel, um eine neue Kirche
zu bauen; aber den Geist, der durch die Hallen jener einen geht, der Gedanke,
der in jener einen Säule verkörpert ist, den kann kein Baumeister, kein Bildhauer
der Welt wieder herauf beschwören.

Es war ein großer Feldherr den sie nun zur Erde bestatteten, aber das
jüngere Geschlecht wird vielleicht einen eben so großen heranbilden; es war ein
herrliches, großmüthiges, aufopferungsvolles Herz, das sie einbalsamirten, aber
noch schlagen der edlen Herzen viele in dieser Welt. Was aber unwiederbringlich
nun dahin ist, das ist das ehrwürdige Nationalmonument, das nun zertrümmert
ist, die Ehrentafel, die geschichtliche Säule, auf welche die Blicke einer großen
Völkermasse mit stolzem Selbstgefühle hinschauten.

Für Oesterreich ist dieser Verlust um so größer, als es arm ist an solchen
Zeitgenossen, für die die Herzen sich begeistern können, weil es arm ist an volks¬
tümlichen Männern, welche für das Gcsammtvolk die sichtbaren Träger seiner
Geschichte und seines Nationalbewußtseins sind. Nicht daß es an Männern fehlt,
die ein Recht darauf hätten. Die Schlachten gegen Napoleon haben den öster¬
reichischen Waffen, bei großen Verlusten, manchen herrlichen Ehrentag bereitet,
die deutsche Kriegsgeschichte weiß der glorreichen Waffenthaten genug, welche von
österreichischen Kriegern vollführt wurden. .Aber die Namen dieser Krieger ken¬
nen eben nur die militärischen Annalen, dem österreichischen Volke sind sie zum
großen Theile fremd und unbekannt. Eine falsche, verblendete und entkräftende
Staatspolitik hat dem Volke das erhebende Gefühl geraubt, auf seine hervorragen¬
den Männer mit Selbstbewußtsein hinweisen zu können, ein undankbares und eng¬
herziges Prinzip hat diesen Helden den besten Lohn ihrer Thaten entzogen: die
Volksthümlichkeit ihrer Namen, die unmittelbare Anerkennung der Gesammtbevöl-
kerung. Fragt in Preußen von Tilsit bis Aachen, wer Blücher, Scharnhorst,
Gneisenau, Boyen n. s. w. gewesen, jeder wird euch aus ihrer Biographie und
von ihren Ruhmestagcn erzählen. Ihre Bildsäulen stehen vor dem Schlosse des
Königs, für den sie gefallen, ihr Angedenken wurde in zahllosen Festen, Er-
innernngsfcicrlichkcitcn, Denkmünzen, in freimüthigen Schilderungen dem Volke
eingeprägt, das ihre Namen und ihre Thaten als eine kostbare Errungenschaft,
als ein stolzes Nationaleigenthum bewahrt. Fragt dagegen in Oesterreich die
Masse der Bürger nach den Thaten der greisen Feldherrn des Staates. Die


Grciizl'oder. II. is/-7, 36 >
VI.
Erzherzog Karl.

Durch den Tod des greisen Feldherrn erleidet Oesterreich einen unbe¬
rechenbaren, ja einen unersetzlichen Verlust. Man wende nicht ein, daß nichts
in der Welt unersetzlich sei. Nur das Physische, Greifbare erneuert sich wieder,
aber ein Gedanke, der verwischt wird, ein Ideal, das ans dem Leben schwindet,
ist durch Nichts zu ersetzen. Zertrümmert die Vendomesänlc, zündet die West-
minsterabtei an vier Enden an, es gibt Blöcke genug, ans denen sich eine andere
Colonne hauen läßt, es fehlt nicht an Stein und Mörtel, um eine neue Kirche
zu bauen; aber den Geist, der durch die Hallen jener einen geht, der Gedanke,
der in jener einen Säule verkörpert ist, den kann kein Baumeister, kein Bildhauer
der Welt wieder herauf beschwören.

Es war ein großer Feldherr den sie nun zur Erde bestatteten, aber das
jüngere Geschlecht wird vielleicht einen eben so großen heranbilden; es war ein
herrliches, großmüthiges, aufopferungsvolles Herz, das sie einbalsamirten, aber
noch schlagen der edlen Herzen viele in dieser Welt. Was aber unwiederbringlich
nun dahin ist, das ist das ehrwürdige Nationalmonument, das nun zertrümmert
ist, die Ehrentafel, die geschichtliche Säule, auf welche die Blicke einer großen
Völkermasse mit stolzem Selbstgefühle hinschauten.

Für Oesterreich ist dieser Verlust um so größer, als es arm ist an solchen
Zeitgenossen, für die die Herzen sich begeistern können, weil es arm ist an volks¬
tümlichen Männern, welche für das Gcsammtvolk die sichtbaren Träger seiner
Geschichte und seines Nationalbewußtseins sind. Nicht daß es an Männern fehlt,
die ein Recht darauf hätten. Die Schlachten gegen Napoleon haben den öster¬
reichischen Waffen, bei großen Verlusten, manchen herrlichen Ehrentag bereitet,
die deutsche Kriegsgeschichte weiß der glorreichen Waffenthaten genug, welche von
österreichischen Kriegern vollführt wurden. .Aber die Namen dieser Krieger ken¬
nen eben nur die militärischen Annalen, dem österreichischen Volke sind sie zum
großen Theile fremd und unbekannt. Eine falsche, verblendete und entkräftende
Staatspolitik hat dem Volke das erhebende Gefühl geraubt, auf seine hervorragen¬
den Männer mit Selbstbewußtsein hinweisen zu können, ein undankbares und eng¬
herziges Prinzip hat diesen Helden den besten Lohn ihrer Thaten entzogen: die
Volksthümlichkeit ihrer Namen, die unmittelbare Anerkennung der Gesammtbevöl-
kerung. Fragt in Preußen von Tilsit bis Aachen, wer Blücher, Scharnhorst,
Gneisenau, Boyen n. s. w. gewesen, jeder wird euch aus ihrer Biographie und
von ihren Ruhmestagcn erzählen. Ihre Bildsäulen stehen vor dem Schlosse des
Königs, für den sie gefallen, ihr Angedenken wurde in zahllosen Festen, Er-
innernngsfcicrlichkcitcn, Denkmünzen, in freimüthigen Schilderungen dem Volke
eingeprägt, das ihre Namen und ihre Thaten als eine kostbare Errungenschaft,
als ein stolzes Nationaleigenthum bewahrt. Fragt dagegen in Oesterreich die
Masse der Bürger nach den Thaten der greisen Feldherrn des Staates. Die


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[0281] VI. Erzherzog Karl. Durch den Tod des greisen Feldherrn erleidet Oesterreich einen unbe¬ rechenbaren, ja einen unersetzlichen Verlust. Man wende nicht ein, daß nichts in der Welt unersetzlich sei. Nur das Physische, Greifbare erneuert sich wieder, aber ein Gedanke, der verwischt wird, ein Ideal, das ans dem Leben schwindet, ist durch Nichts zu ersetzen. Zertrümmert die Vendomesänlc, zündet die West- minsterabtei an vier Enden an, es gibt Blöcke genug, ans denen sich eine andere Colonne hauen läßt, es fehlt nicht an Stein und Mörtel, um eine neue Kirche zu bauen; aber den Geist, der durch die Hallen jener einen geht, der Gedanke, der in jener einen Säule verkörpert ist, den kann kein Baumeister, kein Bildhauer der Welt wieder herauf beschwören. Es war ein großer Feldherr den sie nun zur Erde bestatteten, aber das jüngere Geschlecht wird vielleicht einen eben so großen heranbilden; es war ein herrliches, großmüthiges, aufopferungsvolles Herz, das sie einbalsamirten, aber noch schlagen der edlen Herzen viele in dieser Welt. Was aber unwiederbringlich nun dahin ist, das ist das ehrwürdige Nationalmonument, das nun zertrümmert ist, die Ehrentafel, die geschichtliche Säule, auf welche die Blicke einer großen Völkermasse mit stolzem Selbstgefühle hinschauten. Für Oesterreich ist dieser Verlust um so größer, als es arm ist an solchen Zeitgenossen, für die die Herzen sich begeistern können, weil es arm ist an volks¬ tümlichen Männern, welche für das Gcsammtvolk die sichtbaren Träger seiner Geschichte und seines Nationalbewußtseins sind. Nicht daß es an Männern fehlt, die ein Recht darauf hätten. Die Schlachten gegen Napoleon haben den öster¬ reichischen Waffen, bei großen Verlusten, manchen herrlichen Ehrentag bereitet, die deutsche Kriegsgeschichte weiß der glorreichen Waffenthaten genug, welche von österreichischen Kriegern vollführt wurden. .Aber die Namen dieser Krieger ken¬ nen eben nur die militärischen Annalen, dem österreichischen Volke sind sie zum großen Theile fremd und unbekannt. Eine falsche, verblendete und entkräftende Staatspolitik hat dem Volke das erhebende Gefühl geraubt, auf seine hervorragen¬ den Männer mit Selbstbewußtsein hinweisen zu können, ein undankbares und eng¬ herziges Prinzip hat diesen Helden den besten Lohn ihrer Thaten entzogen: die Volksthümlichkeit ihrer Namen, die unmittelbare Anerkennung der Gesammtbevöl- kerung. Fragt in Preußen von Tilsit bis Aachen, wer Blücher, Scharnhorst, Gneisenau, Boyen n. s. w. gewesen, jeder wird euch aus ihrer Biographie und von ihren Ruhmestagcn erzählen. Ihre Bildsäulen stehen vor dem Schlosse des Königs, für den sie gefallen, ihr Angedenken wurde in zahllosen Festen, Er- innernngsfcicrlichkcitcn, Denkmünzen, in freimüthigen Schilderungen dem Volke eingeprägt, das ihre Namen und ihre Thaten als eine kostbare Errungenschaft, als ein stolzes Nationaleigenthum bewahrt. Fragt dagegen in Oesterreich die Masse der Bürger nach den Thaten der greisen Feldherrn des Staates. Die Grciizl'oder. II. is/-7, 36 >

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/281>, abgerufen am 22.07.2024.