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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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erschrak auf das Tödtlichste: das Klopfen wurde stärker, und er vernahm
die etwas tiefe Stimme der Baronin.

"Was befehlen Euer Gnaden," sagte er halblaut und zitternd.

"Haben Sie ein scharfes Federmesser?"

Der Arme erschrak auf'S Neue, denn er glaubte, die Baronin habe es
ans einen Selbstmord abgesehen. Er eilte an den Tisch und holte es, wäh¬
rend die Baronin die Thüre öffnete und einen prüfenden Blick aus die Toi¬
lette des Hofmeisters warf.

"Kommen Sie nur herein!"

Der Hofmeister gehorchte.

Die Baronin setzte sich in einen Lehnstuhl - zu dessen Füße" beide
Lichter standen, ihre ganze Erscheinung war etwas Feierliches. Das Lavoir
mit dem Wasser, diebrennenden Lichter und der grane Schlafrock bildeten
ein mystisches Ensemble, der Hofmeister stand zitternd, in scheuer Entfernung,
das blitzende Messer in der Hand, die Baronin hob den bloßen Fuß etwas
in die Höhe und fragte, "sehen Sie es?"

"O ja Euer Gnaden," stammelte der Hofmeister.

"Verstehen Sie sich darauf?"

Der Hofmeister wurde purpurroth, und da er zum Unglück etwas kurz¬
sichtig war, sah er weder das Hühnerauge, noch hatte er überhaupt einen
Begriff, was er eigentlich verstehen solle.

Die Baronin, der die Attitüde unbequem war, sagte endlich, "so kommen
Sie doch näher!"

Der Hofmeister wankte bis zu ihr.

Sie streckte ihm wieder den leidenden Fuß entgegen -- "Nun so beei¬
len Sie sich, der Schmerz ist fürchterlich -- aber thun Sie mir nicht weh!"

Jetzt sah er das Hühnerauge, und ein Stein fiel ihm vom Herzen;
indeß war seine Angst noch immer tödtlich. Er probirte erst, ob das Mes¬
ser scharf sei, strich es ein Paar Mal an der flachen Hand und begann end¬
lich, die Operation. So vorsichtig er war, schnitt er doch zu tief: die Ba¬
ronin schrie laut auf und fiel mit einiger Vehemenz auf deu Stuhl -- der
arme Hofmeister blieb entsetzt auf den Knieen, und in diesem Augenblick
trat, ein Licht in der Hand die Gräfin herein, um ihrer Schwester gute
Nacht zu sagen.

Die Situation war kritisch. Die Baronin schreiend, der Hofmeister vor
ihr auf den Knieen -- die Gräfin stellte daher das Licht resolut auf den
Tisch und rief mit zornbebender, wenn auch vorsichtig gedämpfter Stimme:


erschrak auf das Tödtlichste: das Klopfen wurde stärker, und er vernahm
die etwas tiefe Stimme der Baronin.

„Was befehlen Euer Gnaden," sagte er halblaut und zitternd.

„Haben Sie ein scharfes Federmesser?"

Der Arme erschrak auf'S Neue, denn er glaubte, die Baronin habe es
ans einen Selbstmord abgesehen. Er eilte an den Tisch und holte es, wäh¬
rend die Baronin die Thüre öffnete und einen prüfenden Blick aus die Toi¬
lette des Hofmeisters warf.

„Kommen Sie nur herein!"

Der Hofmeister gehorchte.

Die Baronin setzte sich in einen Lehnstuhl - zu dessen Füße» beide
Lichter standen, ihre ganze Erscheinung war etwas Feierliches. Das Lavoir
mit dem Wasser, diebrennenden Lichter und der grane Schlafrock bildeten
ein mystisches Ensemble, der Hofmeister stand zitternd, in scheuer Entfernung,
das blitzende Messer in der Hand, die Baronin hob den bloßen Fuß etwas
in die Höhe und fragte, „sehen Sie es?"

„O ja Euer Gnaden," stammelte der Hofmeister.

„Verstehen Sie sich darauf?"

Der Hofmeister wurde purpurroth, und da er zum Unglück etwas kurz¬
sichtig war, sah er weder das Hühnerauge, noch hatte er überhaupt einen
Begriff, was er eigentlich verstehen solle.

Die Baronin, der die Attitüde unbequem war, sagte endlich, „so kommen
Sie doch näher!"

Der Hofmeister wankte bis zu ihr.

Sie streckte ihm wieder den leidenden Fuß entgegen — „Nun so beei¬
len Sie sich, der Schmerz ist fürchterlich — aber thun Sie mir nicht weh!"

Jetzt sah er das Hühnerauge, und ein Stein fiel ihm vom Herzen;
indeß war seine Angst noch immer tödtlich. Er probirte erst, ob das Mes¬
ser scharf sei, strich es ein Paar Mal an der flachen Hand und begann end¬
lich, die Operation. So vorsichtig er war, schnitt er doch zu tief: die Ba¬
ronin schrie laut auf und fiel mit einiger Vehemenz auf deu Stuhl — der
arme Hofmeister blieb entsetzt auf den Knieen, und in diesem Augenblick
trat, ein Licht in der Hand die Gräfin herein, um ihrer Schwester gute
Nacht zu sagen.

Die Situation war kritisch. Die Baronin schreiend, der Hofmeister vor
ihr auf den Knieen — die Gräfin stellte daher das Licht resolut auf den
Tisch und rief mit zornbebender, wenn auch vorsichtig gedämpfter Stimme:


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[0021] erschrak auf das Tödtlichste: das Klopfen wurde stärker, und er vernahm die etwas tiefe Stimme der Baronin. „Was befehlen Euer Gnaden," sagte er halblaut und zitternd. „Haben Sie ein scharfes Federmesser?" Der Arme erschrak auf'S Neue, denn er glaubte, die Baronin habe es ans einen Selbstmord abgesehen. Er eilte an den Tisch und holte es, wäh¬ rend die Baronin die Thüre öffnete und einen prüfenden Blick aus die Toi¬ lette des Hofmeisters warf. „Kommen Sie nur herein!" Der Hofmeister gehorchte. Die Baronin setzte sich in einen Lehnstuhl - zu dessen Füße» beide Lichter standen, ihre ganze Erscheinung war etwas Feierliches. Das Lavoir mit dem Wasser, diebrennenden Lichter und der grane Schlafrock bildeten ein mystisches Ensemble, der Hofmeister stand zitternd, in scheuer Entfernung, das blitzende Messer in der Hand, die Baronin hob den bloßen Fuß etwas in die Höhe und fragte, „sehen Sie es?" „O ja Euer Gnaden," stammelte der Hofmeister. „Verstehen Sie sich darauf?" Der Hofmeister wurde purpurroth, und da er zum Unglück etwas kurz¬ sichtig war, sah er weder das Hühnerauge, noch hatte er überhaupt einen Begriff, was er eigentlich verstehen solle. Die Baronin, der die Attitüde unbequem war, sagte endlich, „so kommen Sie doch näher!" Der Hofmeister wankte bis zu ihr. Sie streckte ihm wieder den leidenden Fuß entgegen — „Nun so beei¬ len Sie sich, der Schmerz ist fürchterlich — aber thun Sie mir nicht weh!" Jetzt sah er das Hühnerauge, und ein Stein fiel ihm vom Herzen; indeß war seine Angst noch immer tödtlich. Er probirte erst, ob das Mes¬ ser scharf sei, strich es ein Paar Mal an der flachen Hand und begann end¬ lich, die Operation. So vorsichtig er war, schnitt er doch zu tief: die Ba¬ ronin schrie laut auf und fiel mit einiger Vehemenz auf deu Stuhl — der arme Hofmeister blieb entsetzt auf den Knieen, und in diesem Augenblick trat, ein Licht in der Hand die Gräfin herein, um ihrer Schwester gute Nacht zu sagen. Die Situation war kritisch. Die Baronin schreiend, der Hofmeister vor ihr auf den Knieen — die Gräfin stellte daher das Licht resolut auf den Tisch und rief mit zornbebender, wenn auch vorsichtig gedämpfter Stimme:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/21>, abgerufen am 01.07.2024.