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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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oder eine Nothwendigkeit zur Selbsterhaltung war, jedenfalls war die Be¬
sitzergreifung dieser Provinzen nur durch die feste und mächtige Basis des
deutschen Oesterreichs möglich, wie die Sicherung des Besitzes davon ab¬
hängt, daß der Grundstock des Staates nach wie vor seine festen Wurzeln in
deutscher Erde habe. Was Ungarn mit Oesterreich verbindet, ist trotz aller
Opposition gegen deutsche Eingriffe eben nur die Vermittelung mit Deutsch¬
land selbst, die Vermittelung deutscher Verkehrswege und der Schutz gegen
die Türken der neuern Zeit: gegen Rußland! Ein Schutz, der wiederum nur
im Verein mit Deutschland, zur Wahrung deutscher Cultur und Freiheits-
interefsen möglich ist. In dem Momente, wo Oesterreich aufhört deutsch zu
sein, hat es als Großmacht abgedankt, es kann dann höchstens noch eine
Zeitlang als Begriffsstaat fortexistiren, wie jene zusammengewürfelten illuso¬
rischen Staaten, die Napoleon flüchtig geschaffen und die so lange dauerten,
als seine Waffengewalt. Will Oesterreich ferner seine Weltrolle behaupten,
so muß es, wir wiederholen es zehn und hundert und tausendmal, deutsch,
deutsch, deutsch bleiben. Auch zweifeln wir nicht einen Augenblick, daß die¬
ses nach wie vor die Grundidee der österreichischen Staatspolitik bildet; aber
auf welchem Wege will es nun diese Politik Deutschland gegenüber verfol¬
gen, uun es ganz allein als Thorwart des alten absolutistischen und exclusiv
bureaukratischen Systems dasteht und der Gegensatz seines ultracvnservativen
Prinzips zu der aufstrebenden Bewegung in Deutschland immer mehr und
mehr eine Zielscheibe heftiger Augriffe werden muß. Wir wollen nicht einen
Augenblick an der Loyalität unseres preußischen Verbündeten zweifeln, aber
Preußens Zukunft und ein verzeihlicher Nationalehrgeiz weist es auf die
Erweiterung seiner hegcmonischen Stellung in Deutschland an, und wenn wir
die scheinbar durch nichts motivirte Schöpfung einer Herrencurie näher be¬
trachte", und souveraine deutsche Fürsten vor der Hand allerdings nur durch
Stellvertreter in ihrer Mitte repräsentirt finden, so glauben wir einen feinen
und tiefen Zug der preußischen Politik darin zu entdecken. Wir glauben, diese
Herrencnrie ist bestimmt, noch manchen großen Herren aufzunehmen. Und gestehen
wir es unverholen, diese Politik, die vor zehn Jahren noch auf großes Geschrei,
auf weitverbreiteten Widerwillen inDeutschland stieß, hat in letzterer Zeit großes
Terrain gewonnen, und das Hinüberfliegen aller deutschen Blicke nach Berlin
hat, in den letzten Monaten dem isolirten Wien, der einstigen Hauptstadt
Deutschlands, die noch jetzt dnrch ihre dominirende Lage, an dem größten
Flusse Deutschlands, an einem der größten Kanäle des deutschen Verkehrs
mit dem Orient, zu einer wichtigen Rolle berufen ist, ein großes Beispiel,
einen bedeutsamen Fingerzeig gegeben. Noch ist Polen nicht verloren! ist


oder eine Nothwendigkeit zur Selbsterhaltung war, jedenfalls war die Be¬
sitzergreifung dieser Provinzen nur durch die feste und mächtige Basis des
deutschen Oesterreichs möglich, wie die Sicherung des Besitzes davon ab¬
hängt, daß der Grundstock des Staates nach wie vor seine festen Wurzeln in
deutscher Erde habe. Was Ungarn mit Oesterreich verbindet, ist trotz aller
Opposition gegen deutsche Eingriffe eben nur die Vermittelung mit Deutsch¬
land selbst, die Vermittelung deutscher Verkehrswege und der Schutz gegen
die Türken der neuern Zeit: gegen Rußland! Ein Schutz, der wiederum nur
im Verein mit Deutschland, zur Wahrung deutscher Cultur und Freiheits-
interefsen möglich ist. In dem Momente, wo Oesterreich aufhört deutsch zu
sein, hat es als Großmacht abgedankt, es kann dann höchstens noch eine
Zeitlang als Begriffsstaat fortexistiren, wie jene zusammengewürfelten illuso¬
rischen Staaten, die Napoleon flüchtig geschaffen und die so lange dauerten,
als seine Waffengewalt. Will Oesterreich ferner seine Weltrolle behaupten,
so muß es, wir wiederholen es zehn und hundert und tausendmal, deutsch,
deutsch, deutsch bleiben. Auch zweifeln wir nicht einen Augenblick, daß die¬
ses nach wie vor die Grundidee der österreichischen Staatspolitik bildet; aber
auf welchem Wege will es nun diese Politik Deutschland gegenüber verfol¬
gen, uun es ganz allein als Thorwart des alten absolutistischen und exclusiv
bureaukratischen Systems dasteht und der Gegensatz seines ultracvnservativen
Prinzips zu der aufstrebenden Bewegung in Deutschland immer mehr und
mehr eine Zielscheibe heftiger Augriffe werden muß. Wir wollen nicht einen
Augenblick an der Loyalität unseres preußischen Verbündeten zweifeln, aber
Preußens Zukunft und ein verzeihlicher Nationalehrgeiz weist es auf die
Erweiterung seiner hegcmonischen Stellung in Deutschland an, und wenn wir
die scheinbar durch nichts motivirte Schöpfung einer Herrencurie näher be¬
trachte«, und souveraine deutsche Fürsten vor der Hand allerdings nur durch
Stellvertreter in ihrer Mitte repräsentirt finden, so glauben wir einen feinen
und tiefen Zug der preußischen Politik darin zu entdecken. Wir glauben, diese
Herrencnrie ist bestimmt, noch manchen großen Herren aufzunehmen. Und gestehen
wir es unverholen, diese Politik, die vor zehn Jahren noch auf großes Geschrei,
auf weitverbreiteten Widerwillen inDeutschland stieß, hat in letzterer Zeit großes
Terrain gewonnen, und das Hinüberfliegen aller deutschen Blicke nach Berlin
hat, in den letzten Monaten dem isolirten Wien, der einstigen Hauptstadt
Deutschlands, die noch jetzt dnrch ihre dominirende Lage, an dem größten
Flusse Deutschlands, an einem der größten Kanäle des deutschen Verkehrs
mit dem Orient, zu einer wichtigen Rolle berufen ist, ein großes Beispiel,
einen bedeutsamen Fingerzeig gegeben. Noch ist Polen nicht verloren! ist


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[0174] oder eine Nothwendigkeit zur Selbsterhaltung war, jedenfalls war die Be¬ sitzergreifung dieser Provinzen nur durch die feste und mächtige Basis des deutschen Oesterreichs möglich, wie die Sicherung des Besitzes davon ab¬ hängt, daß der Grundstock des Staates nach wie vor seine festen Wurzeln in deutscher Erde habe. Was Ungarn mit Oesterreich verbindet, ist trotz aller Opposition gegen deutsche Eingriffe eben nur die Vermittelung mit Deutsch¬ land selbst, die Vermittelung deutscher Verkehrswege und der Schutz gegen die Türken der neuern Zeit: gegen Rußland! Ein Schutz, der wiederum nur im Verein mit Deutschland, zur Wahrung deutscher Cultur und Freiheits- interefsen möglich ist. In dem Momente, wo Oesterreich aufhört deutsch zu sein, hat es als Großmacht abgedankt, es kann dann höchstens noch eine Zeitlang als Begriffsstaat fortexistiren, wie jene zusammengewürfelten illuso¬ rischen Staaten, die Napoleon flüchtig geschaffen und die so lange dauerten, als seine Waffengewalt. Will Oesterreich ferner seine Weltrolle behaupten, so muß es, wir wiederholen es zehn und hundert und tausendmal, deutsch, deutsch, deutsch bleiben. Auch zweifeln wir nicht einen Augenblick, daß die¬ ses nach wie vor die Grundidee der österreichischen Staatspolitik bildet; aber auf welchem Wege will es nun diese Politik Deutschland gegenüber verfol¬ gen, uun es ganz allein als Thorwart des alten absolutistischen und exclusiv bureaukratischen Systems dasteht und der Gegensatz seines ultracvnservativen Prinzips zu der aufstrebenden Bewegung in Deutschland immer mehr und mehr eine Zielscheibe heftiger Augriffe werden muß. Wir wollen nicht einen Augenblick an der Loyalität unseres preußischen Verbündeten zweifeln, aber Preußens Zukunft und ein verzeihlicher Nationalehrgeiz weist es auf die Erweiterung seiner hegcmonischen Stellung in Deutschland an, und wenn wir die scheinbar durch nichts motivirte Schöpfung einer Herrencurie näher be¬ trachte«, und souveraine deutsche Fürsten vor der Hand allerdings nur durch Stellvertreter in ihrer Mitte repräsentirt finden, so glauben wir einen feinen und tiefen Zug der preußischen Politik darin zu entdecken. Wir glauben, diese Herrencnrie ist bestimmt, noch manchen großen Herren aufzunehmen. Und gestehen wir es unverholen, diese Politik, die vor zehn Jahren noch auf großes Geschrei, auf weitverbreiteten Widerwillen inDeutschland stieß, hat in letzterer Zeit großes Terrain gewonnen, und das Hinüberfliegen aller deutschen Blicke nach Berlin hat, in den letzten Monaten dem isolirten Wien, der einstigen Hauptstadt Deutschlands, die noch jetzt dnrch ihre dominirende Lage, an dem größten Flusse Deutschlands, an einem der größten Kanäle des deutschen Verkehrs mit dem Orient, zu einer wichtigen Rolle berufen ist, ein großes Beispiel, einen bedeutsamen Fingerzeig gegeben. Noch ist Polen nicht verloren! ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/174>, abgerufen am 22.07.2024.