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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Unterstützung, scheint man keineswegs wegen Entstehen dieses Bruches be¬
sorgt gewesen zu sein; dafür spricht die Concentrirung von Truppen längs
der rumeliotischen Grenze, die Absendung von türkischen Kriegsschiffen nach
den Häfen Volo und Salonichi, die Verfügung des Pascha's von Kydonia,
daß alle jene Griechen, welche mit griechischen Pässen dort leben, das Land
verlassen oder wieder Raja's werden sollten u. tgi. in., und nicht unwahr¬
scheinlich gelüstet es den Osmanen, sich wiederum im Kampfe mit einem
Volke zu versuchen, dessen stolzes Emporsteigen der ächte Moslim von jeher
nur mit lauerndem Haß betrachtet; andererseits hegen die eroberungslustigen
Hellenen unwiderstehliches Verlangen nach den herrlichen Fluren von Thessa¬
lien, Makedonien, Epirus u. s. f., und das hellenische Volk ist insgesammt
der vollsten Ueberzeugung (welche Aristidis Rheutis, Abgeordneter für Kv-
rinthos im Nationalcougreß zu Athen, in der Sitzung am "/^^ Jan. 1844,
auch von der Rednerbühne herab auszusprechen kein Bedenken trug), "daß
der Tag herannaht, wo Osmcms Reich fallen und zum zweiten Male das
Kreuz auf der Sophienkirche erglänzen wird!" Möglicherweise, daß griechi¬
scher Enthusiasmus für eine Nationalsache die eigene streitbare Kraft über¬
schätzt, allein für die Griechen spricht die im Orient seit Generationen über¬
lieferte und stets lebendig erhaltene Tradition, wornach der Moslim mit
Ingrimm den Tag erwartet, der ihn für immer aus Europa verbannt. Mit
dem begeisternden Rufe des schwertnmgürteten Dichters:


"Das Volk steht auf, der Sturm bricht los,
Wer legt noch die Hände feig in den Schoofi'?"

würde Griechenlands gesammte waffenfähige Bevölkerung, viele Tausende an
Zahl, den Grenzen zueilen, über Thessalien und weiterhin einem reißenden
Bergströme gleich sich ergießen, wo ihre dortigen Landsleute nur auf den
Augenblick warten, um sich mit ihren Brüdern aus dem freien Griechenland
zu vereinigen und den Volksaufstand der christlichen Bewohner im türkisch¬
europäischen Reiche massenweise zu beginnen. Aehnliche Sympathien werden
selbst unter den Angen der türkischen Regierung lant; die griechischen Kauf¬
leute in Constantinopel sollen, wie aus glaubwürdiger Quelle versichert wird,
der königlichen Negierung in Athen das Anerbieten gemacht haben, "bei dem¬
nächst etwa zwischen Griechenland und der Türkei ausbrechenden Kriege ihre
gesammten Einnahmen des laufenden Jahres, welche wegen bedeutender Ge¬
treidetransporte zur See seit September 1846 auf l Million spanischer Thaler
monatlich veranschlagt worden, der griechischen Staatscasse zur Verfügung
zu stellen"; in der türkischen Hauptstadt und deren nächste Umgebung kann
man auf et>,"00 Griechen rechnen, und zwar nach den Berichten des glaub-


Unterstützung, scheint man keineswegs wegen Entstehen dieses Bruches be¬
sorgt gewesen zu sein; dafür spricht die Concentrirung von Truppen längs
der rumeliotischen Grenze, die Absendung von türkischen Kriegsschiffen nach
den Häfen Volo und Salonichi, die Verfügung des Pascha's von Kydonia,
daß alle jene Griechen, welche mit griechischen Pässen dort leben, das Land
verlassen oder wieder Raja's werden sollten u. tgi. in., und nicht unwahr¬
scheinlich gelüstet es den Osmanen, sich wiederum im Kampfe mit einem
Volke zu versuchen, dessen stolzes Emporsteigen der ächte Moslim von jeher
nur mit lauerndem Haß betrachtet; andererseits hegen die eroberungslustigen
Hellenen unwiderstehliches Verlangen nach den herrlichen Fluren von Thessa¬
lien, Makedonien, Epirus u. s. f., und das hellenische Volk ist insgesammt
der vollsten Ueberzeugung (welche Aristidis Rheutis, Abgeordneter für Kv-
rinthos im Nationalcougreß zu Athen, in der Sitzung am "/^^ Jan. 1844,
auch von der Rednerbühne herab auszusprechen kein Bedenken trug), „daß
der Tag herannaht, wo Osmcms Reich fallen und zum zweiten Male das
Kreuz auf der Sophienkirche erglänzen wird!" Möglicherweise, daß griechi¬
scher Enthusiasmus für eine Nationalsache die eigene streitbare Kraft über¬
schätzt, allein für die Griechen spricht die im Orient seit Generationen über¬
lieferte und stets lebendig erhaltene Tradition, wornach der Moslim mit
Ingrimm den Tag erwartet, der ihn für immer aus Europa verbannt. Mit
dem begeisternden Rufe des schwertnmgürteten Dichters:


„Das Volk steht auf, der Sturm bricht los,
Wer legt noch die Hände feig in den Schoofi'?"

würde Griechenlands gesammte waffenfähige Bevölkerung, viele Tausende an
Zahl, den Grenzen zueilen, über Thessalien und weiterhin einem reißenden
Bergströme gleich sich ergießen, wo ihre dortigen Landsleute nur auf den
Augenblick warten, um sich mit ihren Brüdern aus dem freien Griechenland
zu vereinigen und den Volksaufstand der christlichen Bewohner im türkisch¬
europäischen Reiche massenweise zu beginnen. Aehnliche Sympathien werden
selbst unter den Angen der türkischen Regierung lant; die griechischen Kauf¬
leute in Constantinopel sollen, wie aus glaubwürdiger Quelle versichert wird,
der königlichen Negierung in Athen das Anerbieten gemacht haben, „bei dem¬
nächst etwa zwischen Griechenland und der Türkei ausbrechenden Kriege ihre
gesammten Einnahmen des laufenden Jahres, welche wegen bedeutender Ge¬
treidetransporte zur See seit September 1846 auf l Million spanischer Thaler
monatlich veranschlagt worden, der griechischen Staatscasse zur Verfügung
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[0164] Unterstützung, scheint man keineswegs wegen Entstehen dieses Bruches be¬ sorgt gewesen zu sein; dafür spricht die Concentrirung von Truppen längs der rumeliotischen Grenze, die Absendung von türkischen Kriegsschiffen nach den Häfen Volo und Salonichi, die Verfügung des Pascha's von Kydonia, daß alle jene Griechen, welche mit griechischen Pässen dort leben, das Land verlassen oder wieder Raja's werden sollten u. tgi. in., und nicht unwahr¬ scheinlich gelüstet es den Osmanen, sich wiederum im Kampfe mit einem Volke zu versuchen, dessen stolzes Emporsteigen der ächte Moslim von jeher nur mit lauerndem Haß betrachtet; andererseits hegen die eroberungslustigen Hellenen unwiderstehliches Verlangen nach den herrlichen Fluren von Thessa¬ lien, Makedonien, Epirus u. s. f., und das hellenische Volk ist insgesammt der vollsten Ueberzeugung (welche Aristidis Rheutis, Abgeordneter für Kv- rinthos im Nationalcougreß zu Athen, in der Sitzung am "/^^ Jan. 1844, auch von der Rednerbühne herab auszusprechen kein Bedenken trug), „daß der Tag herannaht, wo Osmcms Reich fallen und zum zweiten Male das Kreuz auf der Sophienkirche erglänzen wird!" Möglicherweise, daß griechi¬ scher Enthusiasmus für eine Nationalsache die eigene streitbare Kraft über¬ schätzt, allein für die Griechen spricht die im Orient seit Generationen über¬ lieferte und stets lebendig erhaltene Tradition, wornach der Moslim mit Ingrimm den Tag erwartet, der ihn für immer aus Europa verbannt. Mit dem begeisternden Rufe des schwertnmgürteten Dichters: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los, Wer legt noch die Hände feig in den Schoofi'?" würde Griechenlands gesammte waffenfähige Bevölkerung, viele Tausende an Zahl, den Grenzen zueilen, über Thessalien und weiterhin einem reißenden Bergströme gleich sich ergießen, wo ihre dortigen Landsleute nur auf den Augenblick warten, um sich mit ihren Brüdern aus dem freien Griechenland zu vereinigen und den Volksaufstand der christlichen Bewohner im türkisch¬ europäischen Reiche massenweise zu beginnen. Aehnliche Sympathien werden selbst unter den Angen der türkischen Regierung lant; die griechischen Kauf¬ leute in Constantinopel sollen, wie aus glaubwürdiger Quelle versichert wird, der königlichen Negierung in Athen das Anerbieten gemacht haben, „bei dem¬ nächst etwa zwischen Griechenland und der Türkei ausbrechenden Kriege ihre gesammten Einnahmen des laufenden Jahres, welche wegen bedeutender Ge¬ treidetransporte zur See seit September 1846 auf l Million spanischer Thaler monatlich veranschlagt worden, der griechischen Staatscasse zur Verfügung zu stellen"; in der türkischen Hauptstadt und deren nächste Umgebung kann man auf et>,»00 Griechen rechnen, und zwar nach den Berichten des glaub-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/164>, abgerufen am 22.07.2024.