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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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des Himmels Willen, verlaßt uns nicht, blamirt uns nicht'. Ich gebe einige
Booten Punsch zum Besten, wenn Ihr bleibt!"

Das wirkte. Die Gewehre wurden hingestellt und bald dampfte der
Napf und dem süße", berauschenden Getränk auf der Wirthstafel. Ach, der
arme Major! Er ahnte uicht, daß er, um die Ehre der Compagnie zu
retten, sich selbst hinopfern mußte! Schon nach dem siebenten Glase sank er
dahin, bewältigt von den verschiedenartigsten und mannigfachsten Einflüssen,
die heute sein Innerstes bewegt hatten; die beiden Hauptleute brachten ihn
zu Bett, während die Uebrigen, theilnahmlos um seinen Fall, unbekümmert
um sein schweres Geschick, auf seine Rechnung forttranken. Ach! das ist der
entsetzlichste Gedanke, der uns im Untersinken erfassen kann, daß diejenigen,
für die wir uns opferten, lachend und uns vergessend, einen fortwährenden
Leichenschmaus durch ihr Leben über unserm Grabhügel halten. Zum Glück
war dem Major jeder und mithin anch dieser Gedanke in seiner jetzigen
Stimmung undenkbar; er neigte lächelnd sein Haupt, als der Magister den
ihm entsunkenen Commandostab aufraffte.

Sollen wir nun einen Blick in das Innere dieses armen Successors
thun? Geneigter Leser, er hatte drei Glas Punsch heute getrunken; all'
seine Gedanken lagen im Kreisen. Horaz, Cicero und noch einige andere
alte Römer standen als Accouchenrs daneben. Er nannte das Gasthaus die
Thermopylen, den Major Leonidas, die Compagnie seine Spartaner. Dann
wieder einmal kam die liebe Jugend mit all' ihren sehnsüchtigen Wünschen,
ihren goldnen Hoffnungen vor seine verstaubte Seele zurück: " Kommilito¬
nen," rief er, "laßt uns den Landesvater singen!" Aber ach! an ihrer
"Rusticität" scheiterte jedes derartige Unternehmen. In all' diese brennen¬
den und lodernden Feuerwerke versendete der Abfall des Majors einen eisi¬
gen Wasserstrahl. Der Magister wurde stiller, trank ein viertes Glas, es
begann ihn zu frieren und die Nöthe seiner Wangen wich allmälig zurück.
"Himmel!" rief sein innerer Mensch, während sein äußerer krampfhaft die
Hände verknotete, "vor dem Erbprinzen eine Rede halten! Ich!? Ach, wenn
man nnr Zeit, Gedanken, Papier und Bibliotheken hier hätte. Aber keinen
Gedanken kann man fassen, denn kann nicht schon in der nächsten Secunde
das erwünschte ........ Gott verzeih mir die Sünde -- Signal ertönen!"

Er trat in seiner Bekümmerniß an's Fenster. Tiefe Nacht war herab¬
gesunken, die Gassen waren leer und nur einige Nachtlampen schimmerten
aus verschiedenen Kammern und spiegelten sich in den Sümpfen ans dem
Straßenpflaster wieder. Denn das Gewitter war zwar vorübergezogen, hatte
sich indeß in einen fürchterlichen Landregen aufgelöst. "Wenn nur der


des Himmels Willen, verlaßt uns nicht, blamirt uns nicht'. Ich gebe einige
Booten Punsch zum Besten, wenn Ihr bleibt!"

Das wirkte. Die Gewehre wurden hingestellt und bald dampfte der
Napf und dem süße», berauschenden Getränk auf der Wirthstafel. Ach, der
arme Major! Er ahnte uicht, daß er, um die Ehre der Compagnie zu
retten, sich selbst hinopfern mußte! Schon nach dem siebenten Glase sank er
dahin, bewältigt von den verschiedenartigsten und mannigfachsten Einflüssen,
die heute sein Innerstes bewegt hatten; die beiden Hauptleute brachten ihn
zu Bett, während die Uebrigen, theilnahmlos um seinen Fall, unbekümmert
um sein schweres Geschick, auf seine Rechnung forttranken. Ach! das ist der
entsetzlichste Gedanke, der uns im Untersinken erfassen kann, daß diejenigen,
für die wir uns opferten, lachend und uns vergessend, einen fortwährenden
Leichenschmaus durch ihr Leben über unserm Grabhügel halten. Zum Glück
war dem Major jeder und mithin anch dieser Gedanke in seiner jetzigen
Stimmung undenkbar; er neigte lächelnd sein Haupt, als der Magister den
ihm entsunkenen Commandostab aufraffte.

Sollen wir nun einen Blick in das Innere dieses armen Successors
thun? Geneigter Leser, er hatte drei Glas Punsch heute getrunken; all'
seine Gedanken lagen im Kreisen. Horaz, Cicero und noch einige andere
alte Römer standen als Accouchenrs daneben. Er nannte das Gasthaus die
Thermopylen, den Major Leonidas, die Compagnie seine Spartaner. Dann
wieder einmal kam die liebe Jugend mit all' ihren sehnsüchtigen Wünschen,
ihren goldnen Hoffnungen vor seine verstaubte Seele zurück: „ Kommilito¬
nen," rief er, „laßt uns den Landesvater singen!" Aber ach! an ihrer
„Rusticität" scheiterte jedes derartige Unternehmen. In all' diese brennen¬
den und lodernden Feuerwerke versendete der Abfall des Majors einen eisi¬
gen Wasserstrahl. Der Magister wurde stiller, trank ein viertes Glas, es
begann ihn zu frieren und die Nöthe seiner Wangen wich allmälig zurück.
„Himmel!" rief sein innerer Mensch, während sein äußerer krampfhaft die
Hände verknotete, „vor dem Erbprinzen eine Rede halten! Ich!? Ach, wenn
man nnr Zeit, Gedanken, Papier und Bibliotheken hier hätte. Aber keinen
Gedanken kann man fassen, denn kann nicht schon in der nächsten Secunde
das erwünschte ........ Gott verzeih mir die Sünde — Signal ertönen!"

Er trat in seiner Bekümmerniß an's Fenster. Tiefe Nacht war herab¬
gesunken, die Gassen waren leer und nur einige Nachtlampen schimmerten
aus verschiedenen Kammern und spiegelten sich in den Sümpfen ans dem
Straßenpflaster wieder. Denn das Gewitter war zwar vorübergezogen, hatte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/118>, abgerufen am 22.07.2024.