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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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ung Kenntnisse zum Examen und genug Geduld zum Philisterleben erworben zu
haben. Wir fühlten wohl, daß wir zum letzten Male hier zusammen sein wür¬
den, und diese Bemerkung störte, wenn anch nicht unsere Fidelität, so doch unsere
Unbefangenheit. Als die Sonne untergehen wollte, stiegen wir zum Rolandsbogen
hinauf, und der herrliche Abend entzückte uns so, daß wir beschlossen, in Gesell¬
schaft einer Bowle die Nacht hier zuzubringen. Da wurde nun gesungen und
getrunken, gescherzt und gelacht -- doch schlich sich auch manch' ernstes Wort,
manch' trüber Gedanke in unser Gespräch hinein, der wenig paßte zu dem tollen
Lärm und zu dein Klingen der Gläser.

Unsere Gesellschaft machte ein halbes Dutzend voll. Alle Fakultäten waren
vertreten; ein blonder, hübscher, sehr lichtfreundlich gesinnter Theolog aus Sachsen
saß neben einem westpMschcn Juristen, der außer eiuer großen Begeisterung für
öffentliches und mündliches Verfahren wohl noch keine Früchte ans seinem Stu¬
dium gezogen hatte. Unser Mediciner war ein großer Anhänger der Schädellehre,
wie sie sich in neuerer Zeit besonders in England herausgebildet hatte, und als
solcher ein geschworner Feind aller Religion, überhaupt alles spirituellen und
Trauscendentalen. Der Philologe war ein stiller, blasser Mensch, der nicht nach
der Weise seiner Fachgenossen vieles Sprechen liebte, den man erst lange kennen
lernen mußte, eh' man ihn beurtheilen konnte; hatte man ihn aber einmal er¬
kannt, so mußte man ihn lieb gewinnen und ließ ihn gewiß sobald nicht wieder
fahren. Er war seiner politischen Gesinnung nach ein starrer Republikaner und
hatte sein Fach nur gewählt, um den Tacitus einmal seinen Primanern erklären
zu können. Ein schlesischer Gutsbesitzer, der einzige Adelige nnter uns, war der
fünfte in der Gesellschaft. Er studirte Cameralwissenschaften, war aber dabei ein
eifriger Socialist, vergaß über der Trierer Zeitung und Büttuianu'ö Bürgerbuch
Natioualöcvuvmie und Statistik und hatte schon einen ganzen Stoß socialer Ge¬
dichte geschrieben!

Die alte Ruine hatte wohl seit Ritter Roland's Zeiten eine solch' fröhliche
Gesellschaft nicht gesehen. Selbst die Natur schien an unserem Glücke sich bethei¬
ligen zu wollen. Der Strom accompagnirte unsere Lieder; die Zweige der Bänme
lispelten uus wunderbare Mährchen in's Ohr, und die Sterne schienen so hell
und freudig, wie das Ange der Geliebten in der Brautnacht, zu uus hernieder.
I,l solchen Augenblicken thaut das Herz des Menschen ans, und wäre es mit ei¬
ner dreifachen Rinde von Vorurtheilen umgeben. Um so mehr bei uns, da wir
uns alle herzlich gut waren, und uns in unserm Streben und unserm Leben so
ziemlich glichen, da wir kein Geheimniß gegen einander kannten, und überhaupt
so innige treue Freunde waren, wie nnr je in dem lustigen Leben der deutschen
Hochschulen vorgekommen sind. Da wurden Lieder gesungen von Arndt, von
Uhland und Schenkendorff, Reden wurden gehalten über Freundschaft, über Liebe,
über Freiheit, und Toaste gesprochen, deren Begeisterung an die Wartburgfeier


ung Kenntnisse zum Examen und genug Geduld zum Philisterleben erworben zu
haben. Wir fühlten wohl, daß wir zum letzten Male hier zusammen sein wür¬
den, und diese Bemerkung störte, wenn anch nicht unsere Fidelität, so doch unsere
Unbefangenheit. Als die Sonne untergehen wollte, stiegen wir zum Rolandsbogen
hinauf, und der herrliche Abend entzückte uns so, daß wir beschlossen, in Gesell¬
schaft einer Bowle die Nacht hier zuzubringen. Da wurde nun gesungen und
getrunken, gescherzt und gelacht — doch schlich sich auch manch' ernstes Wort,
manch' trüber Gedanke in unser Gespräch hinein, der wenig paßte zu dem tollen
Lärm und zu dein Klingen der Gläser.

Unsere Gesellschaft machte ein halbes Dutzend voll. Alle Fakultäten waren
vertreten; ein blonder, hübscher, sehr lichtfreundlich gesinnter Theolog aus Sachsen
saß neben einem westpMschcn Juristen, der außer eiuer großen Begeisterung für
öffentliches und mündliches Verfahren wohl noch keine Früchte ans seinem Stu¬
dium gezogen hatte. Unser Mediciner war ein großer Anhänger der Schädellehre,
wie sie sich in neuerer Zeit besonders in England herausgebildet hatte, und als
solcher ein geschworner Feind aller Religion, überhaupt alles spirituellen und
Trauscendentalen. Der Philologe war ein stiller, blasser Mensch, der nicht nach
der Weise seiner Fachgenossen vieles Sprechen liebte, den man erst lange kennen
lernen mußte, eh' man ihn beurtheilen konnte; hatte man ihn aber einmal er¬
kannt, so mußte man ihn lieb gewinnen und ließ ihn gewiß sobald nicht wieder
fahren. Er war seiner politischen Gesinnung nach ein starrer Republikaner und
hatte sein Fach nur gewählt, um den Tacitus einmal seinen Primanern erklären
zu können. Ein schlesischer Gutsbesitzer, der einzige Adelige nnter uns, war der
fünfte in der Gesellschaft. Er studirte Cameralwissenschaften, war aber dabei ein
eifriger Socialist, vergaß über der Trierer Zeitung und Büttuianu'ö Bürgerbuch
Natioualöcvuvmie und Statistik und hatte schon einen ganzen Stoß socialer Ge¬
dichte geschrieben!

Die alte Ruine hatte wohl seit Ritter Roland's Zeiten eine solch' fröhliche
Gesellschaft nicht gesehen. Selbst die Natur schien an unserem Glücke sich bethei¬
ligen zu wollen. Der Strom accompagnirte unsere Lieder; die Zweige der Bänme
lispelten uus wunderbare Mährchen in's Ohr, und die Sterne schienen so hell
und freudig, wie das Ange der Geliebten in der Brautnacht, zu uus hernieder.
I,l solchen Augenblicken thaut das Herz des Menschen ans, und wäre es mit ei¬
ner dreifachen Rinde von Vorurtheilen umgeben. Um so mehr bei uns, da wir
uns alle herzlich gut waren, und uns in unserm Streben und unserm Leben so
ziemlich glichen, da wir kein Geheimniß gegen einander kannten, und überhaupt
so innige treue Freunde waren, wie nnr je in dem lustigen Leben der deutschen
Hochschulen vorgekommen sind. Da wurden Lieder gesungen von Arndt, von
Uhland und Schenkendorff, Reden wurden gehalten über Freundschaft, über Liebe,
über Freiheit, und Toaste gesprochen, deren Begeisterung an die Wartburgfeier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/66>, abgerufen am 22.07.2024.