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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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"Königsberger Freimüthigen" und der "Evangelischen Kirchenzeitung" unter die
Armen möglichst verbreitet wird. Oefters verliert sich dieses Blatt mit seineu Reflexio¬
nen selbst in die entlegensten Gegenden, wenn nur irgendwie das Schwert des Herrn
und Gideous in ihnen gehandhabt wird. So behandelte eine Reihe von Artikeln,
von Julian Löwe, (der sich bei uns noch durch audere, als durch Werke der
christlichen Liebe einen gewissen Namen gemacht hat), die spanische Frage, und
suchte Cabrera und die anderen Schnapphähne des Carlismus als Vertilger der
Ungläubigen darzustellen.

Wenn diese kriegerische Gesinnung bei v. TippclSkirch mehr aus künstlicher
Reflexion und aus der Phantasie herzuleiten ist, als aus dem natürlichen Gefühl
oder der ruhigen, verständigen Ueberlegung, so ist sie bei Guerike Charakter
und Temperament. In ihm ist es uoch die alte vcdesia militia", die Gemeinde
der Heiligen, die orthodoxe Partei des alten geschriebenen Rechts, die sich nicht
nur der vernünftigen Entwickelung des Staates, sondern auch dem Fortschritt der
Kirche in dem neumodisch supernaturalistischeu Sinne widersetzt. Diese alten Pu¬
ritaner nehmen an dem doctrinären Wesen der theologischen Staatskünstler ein
eben so großes Aergerniß, als an dem atomistischen Zerwürfniß, das sie in den
Bestrebungen der Lichtfreunde wahrzunehmen glauben. In diesem Sinne prote-
stirte die Evangelische Kircheiizcitnng gegen das Recht der Protestantischen Gene-
ralsynode, an der Entwickelung der Kirche mit Bewußtsein zu arbeiten, auch wenn
dabei die heilige Schrift und das Athanasische Symbol und alle Concilien und
die Schriften der Reformatoren und das moderne Sündenbewußtsein zu Grunde
gelegt würden. Wer in heilige Dinge hineinpfuscht, versündigt sich uach ihrer
Meinung eben so, wenn er es zu Gunsten des Erlösers thut, als wenn er ihm
abtrünnig wird. In diesem Sinne ist die Zuschrift zu verstehen, die Guerike an
Uhlich nach dessen Suspension erließ, und worin er erklärte, das Kirchenrcgiment,
welches sich nicht unbedingt der alten historischen Kirche unterwirft, sondern nach
dem eignen dummen Verstände, wenn auch in noch so guter Meinung, daran klü¬
gelt und flickt, habe nicht das Recht, Männer ihres Amtes zu entsetzen, denen
formell kein größeres Vergehen zur Last zu legen sei, möge auch der Inhalt ihrer
Meinungen so schlecht sein wie möglich. In der Hitze ging Guerike so weit, Uh¬
lich für einen geistreichen Mann zu erklären, was eigentlich wohl ein unkirchlichcr
Ausdruck ist, in welchem Urtheil wir ihm aber nicht die Competenz absprechen
wollen, denn: I^iis^mis nriiLSiimitur bmnis, "loilv" ni'obktm- coiiliurius.

Gebildeter ist das theologische Bewußtsein des Herrn Tholn et. Er wäre der
Mann, gleich einem zweiten Schleiermacher Reden über die Religion zu schreiben
" an die Gebildeten unter ihren Verächtern." Nicht als ob er ein Schüler oder
Anhänger jenes berühmten Theologen der romantischen Schule wäre, im Gegentheil
hat man ihn bald für einen Orthodoxen, bald für einen Pietisten, bald für einen'
reflectirten Superugturalisteu, bald gar für einen Nationalisten ausgegeben -- Hegel


„Königsberger Freimüthigen" und der „Evangelischen Kirchenzeitung" unter die
Armen möglichst verbreitet wird. Oefters verliert sich dieses Blatt mit seineu Reflexio¬
nen selbst in die entlegensten Gegenden, wenn nur irgendwie das Schwert des Herrn
und Gideous in ihnen gehandhabt wird. So behandelte eine Reihe von Artikeln,
von Julian Löwe, (der sich bei uns noch durch audere, als durch Werke der
christlichen Liebe einen gewissen Namen gemacht hat), die spanische Frage, und
suchte Cabrera und die anderen Schnapphähne des Carlismus als Vertilger der
Ungläubigen darzustellen.

Wenn diese kriegerische Gesinnung bei v. TippclSkirch mehr aus künstlicher
Reflexion und aus der Phantasie herzuleiten ist, als aus dem natürlichen Gefühl
oder der ruhigen, verständigen Ueberlegung, so ist sie bei Guerike Charakter
und Temperament. In ihm ist es uoch die alte vcdesia militia«, die Gemeinde
der Heiligen, die orthodoxe Partei des alten geschriebenen Rechts, die sich nicht
nur der vernünftigen Entwickelung des Staates, sondern auch dem Fortschritt der
Kirche in dem neumodisch supernaturalistischeu Sinne widersetzt. Diese alten Pu¬
ritaner nehmen an dem doctrinären Wesen der theologischen Staatskünstler ein
eben so großes Aergerniß, als an dem atomistischen Zerwürfniß, das sie in den
Bestrebungen der Lichtfreunde wahrzunehmen glauben. In diesem Sinne prote-
stirte die Evangelische Kircheiizcitnng gegen das Recht der Protestantischen Gene-
ralsynode, an der Entwickelung der Kirche mit Bewußtsein zu arbeiten, auch wenn
dabei die heilige Schrift und das Athanasische Symbol und alle Concilien und
die Schriften der Reformatoren und das moderne Sündenbewußtsein zu Grunde
gelegt würden. Wer in heilige Dinge hineinpfuscht, versündigt sich uach ihrer
Meinung eben so, wenn er es zu Gunsten des Erlösers thut, als wenn er ihm
abtrünnig wird. In diesem Sinne ist die Zuschrift zu verstehen, die Guerike an
Uhlich nach dessen Suspension erließ, und worin er erklärte, das Kirchenrcgiment,
welches sich nicht unbedingt der alten historischen Kirche unterwirft, sondern nach
dem eignen dummen Verstände, wenn auch in noch so guter Meinung, daran klü¬
gelt und flickt, habe nicht das Recht, Männer ihres Amtes zu entsetzen, denen
formell kein größeres Vergehen zur Last zu legen sei, möge auch der Inhalt ihrer
Meinungen so schlecht sein wie möglich. In der Hitze ging Guerike so weit, Uh¬
lich für einen geistreichen Mann zu erklären, was eigentlich wohl ein unkirchlichcr
Ausdruck ist, in welchem Urtheil wir ihm aber nicht die Competenz absprechen
wollen, denn: I^iis^mis nriiLSiimitur bmnis, «loilv» ni'obktm- coiiliurius.

Gebildeter ist das theologische Bewußtsein des Herrn Tholn et. Er wäre der
Mann, gleich einem zweiten Schleiermacher Reden über die Religion zu schreiben
„ an die Gebildeten unter ihren Verächtern." Nicht als ob er ein Schüler oder
Anhänger jenes berühmten Theologen der romantischen Schule wäre, im Gegentheil
hat man ihn bald für einen Orthodoxen, bald für einen Pietisten, bald für einen'
reflectirten Superugturalisteu, bald gar für einen Nationalisten ausgegeben — Hegel


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[0519] „Königsberger Freimüthigen" und der „Evangelischen Kirchenzeitung" unter die Armen möglichst verbreitet wird. Oefters verliert sich dieses Blatt mit seineu Reflexio¬ nen selbst in die entlegensten Gegenden, wenn nur irgendwie das Schwert des Herrn und Gideous in ihnen gehandhabt wird. So behandelte eine Reihe von Artikeln, von Julian Löwe, (der sich bei uns noch durch audere, als durch Werke der christlichen Liebe einen gewissen Namen gemacht hat), die spanische Frage, und suchte Cabrera und die anderen Schnapphähne des Carlismus als Vertilger der Ungläubigen darzustellen. Wenn diese kriegerische Gesinnung bei v. TippclSkirch mehr aus künstlicher Reflexion und aus der Phantasie herzuleiten ist, als aus dem natürlichen Gefühl oder der ruhigen, verständigen Ueberlegung, so ist sie bei Guerike Charakter und Temperament. In ihm ist es uoch die alte vcdesia militia«, die Gemeinde der Heiligen, die orthodoxe Partei des alten geschriebenen Rechts, die sich nicht nur der vernünftigen Entwickelung des Staates, sondern auch dem Fortschritt der Kirche in dem neumodisch supernaturalistischeu Sinne widersetzt. Diese alten Pu¬ ritaner nehmen an dem doctrinären Wesen der theologischen Staatskünstler ein eben so großes Aergerniß, als an dem atomistischen Zerwürfniß, das sie in den Bestrebungen der Lichtfreunde wahrzunehmen glauben. In diesem Sinne prote- stirte die Evangelische Kircheiizcitnng gegen das Recht der Protestantischen Gene- ralsynode, an der Entwickelung der Kirche mit Bewußtsein zu arbeiten, auch wenn dabei die heilige Schrift und das Athanasische Symbol und alle Concilien und die Schriften der Reformatoren und das moderne Sündenbewußtsein zu Grunde gelegt würden. Wer in heilige Dinge hineinpfuscht, versündigt sich uach ihrer Meinung eben so, wenn er es zu Gunsten des Erlösers thut, als wenn er ihm abtrünnig wird. In diesem Sinne ist die Zuschrift zu verstehen, die Guerike an Uhlich nach dessen Suspension erließ, und worin er erklärte, das Kirchenrcgiment, welches sich nicht unbedingt der alten historischen Kirche unterwirft, sondern nach dem eignen dummen Verstände, wenn auch in noch so guter Meinung, daran klü¬ gelt und flickt, habe nicht das Recht, Männer ihres Amtes zu entsetzen, denen formell kein größeres Vergehen zur Last zu legen sei, möge auch der Inhalt ihrer Meinungen so schlecht sein wie möglich. In der Hitze ging Guerike so weit, Uh¬ lich für einen geistreichen Mann zu erklären, was eigentlich wohl ein unkirchlichcr Ausdruck ist, in welchem Urtheil wir ihm aber nicht die Competenz absprechen wollen, denn: I^iis^mis nriiLSiimitur bmnis, «loilv» ni'obktm- coiiliurius. Gebildeter ist das theologische Bewußtsein des Herrn Tholn et. Er wäre der Mann, gleich einem zweiten Schleiermacher Reden über die Religion zu schreiben „ an die Gebildeten unter ihren Verächtern." Nicht als ob er ein Schüler oder Anhänger jenes berühmten Theologen der romantischen Schule wäre, im Gegentheil hat man ihn bald für einen Orthodoxen, bald für einen Pietisten, bald für einen' reflectirten Superugturalisteu, bald gar für einen Nationalisten ausgegeben — Hegel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/519>, abgerufen am 22.07.2024.