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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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gegeben wurden. Nicht lange nachher haben es auch zahllose Opfer, die das ge-
saimute Oesterreich der hartbedrängten großen Kaiserin brachte, bewiesen, daß die
pragmatische Sanction nicht nnr die Erbfolge, sondern die künftige Gestaltung
eines Reichs geregelt hatte; denn Oesterreichs Völkerschaften besiegelten durch
gleiche Hingebung, gleiche Treue, mit ihrem Blute ihren Willen, die Integrität
eines gemeinsamen Vaterlandes, die Herrschaft ihrer gemeinsamen Regentin auf¬
recht zu erhalten, oder mit andern Worten -- es constituirte sich damals schon fak¬
tisch aus Oesterreichs Völkern ein Volk. Um wie viel mehr aber kann das ferner
in der denkwürdigen Periode nachgewiesen werden, welche ganz Europa bis in
seine innersten Grundfeste erschütterte, welche alle Bande lockerte, die Völker und
Fürsten zusammenhielten, Reiche untergehen und in anderer Gestalt wie Pilze
aufschießen sah; wo hundert Lockungen und hundert Entschuldigungen zu finden
waren, die Herren zu wechseln, oder gar als souveraines Volk selbst zu herrsche".
In diesem weltgeschichtliche:: Zeitabschnitt, in dieser heißen Feuerprobe hat sich
Oesterreich bewährt, es hat gezeigt, was ein einiges Volk kann durch Gesinnung und
That. Oder war vielleicht Tirols Erhebung, das Erstehen so vieler freiwilliger
Bataillone in allen Theilen des Reiches, die Begeisterung und Hingebung jedes
Einzelne!?, das Herbeiströmeil von Silber und Gold, von Kirchengcfäßen und Pre¬
tiosen jeder Art, die auf den Altar des Vaterlandes freudig niedergelegt wurden,
war der brüderliche Geist einer Armee, die trotz der Stammverschiedenheit ihrer
Glieder nur Eine Fahne, Eine Ehre und Ein Oesterreich kannte, war das Verges¬
sen alter Soudcrinteressen, das selbst die sonst so hoch gehaltenen Landesfreiheiten
und Privilegien thatsächlich fast ganz erlöschen ließ, waren diese einstimmigen Ma¬
nifestationen von 3" Millionen Menschen möglich und erklärlich, wenn Oesterreich
noch in ein Dutzend Vaterländer sich gespalten hätte und nicht jeder sich durch
und durch nnr als Oesterreicher, nur als Angehöriger eines großen untrennbaren
Reiches gefühlt und angesehen haben würde? Es ergaben sich gegenüber solchen
Ereignissen nur noch Provinzen, deren früheres Eigenleben, wenn auch erkennbar
durch Partikular-Institutionen, Sitten und Gebräuche, zusammengeschmolzen war
zur Seele eines großen mächtigen Reiches.

Leider hat man es verabsäumt das herrliche Juwel würdig zu fassen, wel¬
ches aus den Gluten, die einen Welttheil in Flammen setzten, hervorgegangen war.
Niemand dachte daran den Staat zu constituiren, sür dessen Vertheidigung Ströme
von Blut geflossen waren. Ja nicht einmal Anerkennung und Lohn fand die bei¬
spiellose Treue und Hingebung, mit der Oesterreich ausharrte und fest zusammen¬
hielt-in den Tagen der höchste" Noth. Damals, nach beendeten Kampf, hätte
der Kaiser vollenden sollen, was er durch seiue Verzichtleistung auf die römische
Krone, wenn auch unfreiwillig, begonnen hatte. Statt zu liebäugeln mit einem
verbleichten Purpur, statt den Doppeladler in sein Wappen aufzunehmen und mit
Gelb und Schwarz zu prunken, hätte er ein neues kaiserliches Wappen, neue Far-


gegeben wurden. Nicht lange nachher haben es auch zahllose Opfer, die das ge-
saimute Oesterreich der hartbedrängten großen Kaiserin brachte, bewiesen, daß die
pragmatische Sanction nicht nnr die Erbfolge, sondern die künftige Gestaltung
eines Reichs geregelt hatte; denn Oesterreichs Völkerschaften besiegelten durch
gleiche Hingebung, gleiche Treue, mit ihrem Blute ihren Willen, die Integrität
eines gemeinsamen Vaterlandes, die Herrschaft ihrer gemeinsamen Regentin auf¬
recht zu erhalten, oder mit andern Worten — es constituirte sich damals schon fak¬
tisch aus Oesterreichs Völkern ein Volk. Um wie viel mehr aber kann das ferner
in der denkwürdigen Periode nachgewiesen werden, welche ganz Europa bis in
seine innersten Grundfeste erschütterte, welche alle Bande lockerte, die Völker und
Fürsten zusammenhielten, Reiche untergehen und in anderer Gestalt wie Pilze
aufschießen sah; wo hundert Lockungen und hundert Entschuldigungen zu finden
waren, die Herren zu wechseln, oder gar als souveraines Volk selbst zu herrsche».
In diesem weltgeschichtliche:: Zeitabschnitt, in dieser heißen Feuerprobe hat sich
Oesterreich bewährt, es hat gezeigt, was ein einiges Volk kann durch Gesinnung und
That. Oder war vielleicht Tirols Erhebung, das Erstehen so vieler freiwilliger
Bataillone in allen Theilen des Reiches, die Begeisterung und Hingebung jedes
Einzelne!?, das Herbeiströmeil von Silber und Gold, von Kirchengcfäßen und Pre¬
tiosen jeder Art, die auf den Altar des Vaterlandes freudig niedergelegt wurden,
war der brüderliche Geist einer Armee, die trotz der Stammverschiedenheit ihrer
Glieder nur Eine Fahne, Eine Ehre und Ein Oesterreich kannte, war das Verges¬
sen alter Soudcrinteressen, das selbst die sonst so hoch gehaltenen Landesfreiheiten
und Privilegien thatsächlich fast ganz erlöschen ließ, waren diese einstimmigen Ma¬
nifestationen von 3» Millionen Menschen möglich und erklärlich, wenn Oesterreich
noch in ein Dutzend Vaterländer sich gespalten hätte und nicht jeder sich durch
und durch nnr als Oesterreicher, nur als Angehöriger eines großen untrennbaren
Reiches gefühlt und angesehen haben würde? Es ergaben sich gegenüber solchen
Ereignissen nur noch Provinzen, deren früheres Eigenleben, wenn auch erkennbar
durch Partikular-Institutionen, Sitten und Gebräuche, zusammengeschmolzen war
zur Seele eines großen mächtigen Reiches.

Leider hat man es verabsäumt das herrliche Juwel würdig zu fassen, wel¬
ches aus den Gluten, die einen Welttheil in Flammen setzten, hervorgegangen war.
Niemand dachte daran den Staat zu constituiren, sür dessen Vertheidigung Ströme
von Blut geflossen waren. Ja nicht einmal Anerkennung und Lohn fand die bei¬
spiellose Treue und Hingebung, mit der Oesterreich ausharrte und fest zusammen¬
hielt-in den Tagen der höchste» Noth. Damals, nach beendeten Kampf, hätte
der Kaiser vollenden sollen, was er durch seiue Verzichtleistung auf die römische
Krone, wenn auch unfreiwillig, begonnen hatte. Statt zu liebäugeln mit einem
verbleichten Purpur, statt den Doppeladler in sein Wappen aufzunehmen und mit
Gelb und Schwarz zu prunken, hätte er ein neues kaiserliches Wappen, neue Far-


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[0505] gegeben wurden. Nicht lange nachher haben es auch zahllose Opfer, die das ge- saimute Oesterreich der hartbedrängten großen Kaiserin brachte, bewiesen, daß die pragmatische Sanction nicht nnr die Erbfolge, sondern die künftige Gestaltung eines Reichs geregelt hatte; denn Oesterreichs Völkerschaften besiegelten durch gleiche Hingebung, gleiche Treue, mit ihrem Blute ihren Willen, die Integrität eines gemeinsamen Vaterlandes, die Herrschaft ihrer gemeinsamen Regentin auf¬ recht zu erhalten, oder mit andern Worten — es constituirte sich damals schon fak¬ tisch aus Oesterreichs Völkern ein Volk. Um wie viel mehr aber kann das ferner in der denkwürdigen Periode nachgewiesen werden, welche ganz Europa bis in seine innersten Grundfeste erschütterte, welche alle Bande lockerte, die Völker und Fürsten zusammenhielten, Reiche untergehen und in anderer Gestalt wie Pilze aufschießen sah; wo hundert Lockungen und hundert Entschuldigungen zu finden waren, die Herren zu wechseln, oder gar als souveraines Volk selbst zu herrsche». In diesem weltgeschichtliche:: Zeitabschnitt, in dieser heißen Feuerprobe hat sich Oesterreich bewährt, es hat gezeigt, was ein einiges Volk kann durch Gesinnung und That. Oder war vielleicht Tirols Erhebung, das Erstehen so vieler freiwilliger Bataillone in allen Theilen des Reiches, die Begeisterung und Hingebung jedes Einzelne!?, das Herbeiströmeil von Silber und Gold, von Kirchengcfäßen und Pre¬ tiosen jeder Art, die auf den Altar des Vaterlandes freudig niedergelegt wurden, war der brüderliche Geist einer Armee, die trotz der Stammverschiedenheit ihrer Glieder nur Eine Fahne, Eine Ehre und Ein Oesterreich kannte, war das Verges¬ sen alter Soudcrinteressen, das selbst die sonst so hoch gehaltenen Landesfreiheiten und Privilegien thatsächlich fast ganz erlöschen ließ, waren diese einstimmigen Ma¬ nifestationen von 3» Millionen Menschen möglich und erklärlich, wenn Oesterreich noch in ein Dutzend Vaterländer sich gespalten hätte und nicht jeder sich durch und durch nnr als Oesterreicher, nur als Angehöriger eines großen untrennbaren Reiches gefühlt und angesehen haben würde? Es ergaben sich gegenüber solchen Ereignissen nur noch Provinzen, deren früheres Eigenleben, wenn auch erkennbar durch Partikular-Institutionen, Sitten und Gebräuche, zusammengeschmolzen war zur Seele eines großen mächtigen Reiches. Leider hat man es verabsäumt das herrliche Juwel würdig zu fassen, wel¬ ches aus den Gluten, die einen Welttheil in Flammen setzten, hervorgegangen war. Niemand dachte daran den Staat zu constituiren, sür dessen Vertheidigung Ströme von Blut geflossen waren. Ja nicht einmal Anerkennung und Lohn fand die bei¬ spiellose Treue und Hingebung, mit der Oesterreich ausharrte und fest zusammen¬ hielt-in den Tagen der höchste» Noth. Damals, nach beendeten Kampf, hätte der Kaiser vollenden sollen, was er durch seiue Verzichtleistung auf die römische Krone, wenn auch unfreiwillig, begonnen hatte. Statt zu liebäugeln mit einem verbleichten Purpur, statt den Doppeladler in sein Wappen aufzunehmen und mit Gelb und Schwarz zu prunken, hätte er ein neues kaiserliches Wappen, neue Far-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/505>, abgerufen am 22.07.2024.