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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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hierin selbst nicht von Wien und Berlin, obgleich Beide viel mehr Einwohner zäh¬
len, übertroffen. Wien und Berlin tragen Beide den Charakter eines bestimmten
Landes an sich, sind Residenzen durch und durch in ihrer ganzen Erscheinung,
Hamburg aber ist eine Weltstadt, ein Versammlungsplatz aller Nationen. Und
dabei wieder trotz aller dieser Großartigkeit in seiner ganzen Anlage, in allem sei¬
nen Leben und Treiben, welche Kleinlichkeiten, enge Beschränkungen herrschen hier
uicht theilweise; statt Weltbürgersinn echtes Spießbürgerthum, Sinn für mög¬
lichste Freiheit und wieder größte Kleinigkeitskrämerei und festes Kleben an den
veraltetsten Bocksbeuteleien, sind oft hier in schreienden Contraste vorhanden.
Man begreift oft kaum, wie so entgegengesetzte Elemente in ein und derselben
Stadt, ja oft bei ein und denselben Personen vereint sich vorfinden können, und
muß nothwendiger Weise einige Zeit hier selbst gelebt haben, um dies verschieden¬
artige Conglomerat hierin so recht erkennen zu können. In Allem, vom Größten
bis Kleinsten herab, zeigt sich dies aber hundertfältig. Dieselbe Stadt, welche sich
die Rolle gibt, als sei sie zum Apostel des Freihandels in Deutschland berufen,
und donnernde Tiraden gegen jede Zollbeschränkuug in ihrer Presse und bei den
Festmahlen, welche sie fremden Verdienst gibt, losläßt, sperrt am Abende noch ihre
Thore und gestattet den Eintritt oft nur gegen ein unmäßig hohes Eintrittsgeld.
Wie reimt sich das aber zusammen, welch' geringe Consequenz liegt hierin! Han¬
delsfreiheit und Thorsperre zugleich im Schilde zu führen, welche Wunderlichkeit!
Den Zollverein haßt sie, weil er englischen Manufacturen den Eingang erschwert
und schmäht ans Mauthen und Zollschranken, in ihre Thore selbst darf aber kein
Pfund Fleisch gebracht werden, ohne Accise zu zahlen. Man spricht hier gar viel
vom deutschen Vaterlande und deutscher Einigkeit und feiert den 18. October durch
hohe Freudenfeuer, und was man noch lieber thut, sehr lukullische Gastmahle und
zugleich nimmt man in Wirklichkeit eine nichts weniger als brüderliche Stellung
zum ganzen übrigen Deutschland ein und sucht seine Interessen von den gemein¬
samen Interessen desselben zu sondern. Ja unleugbar thut man dies in Hamburg,
man hat es gezeigt, in der bekannten Denkschrift des Hamburger Senates, die kürz¬
lich erschienen und ans welcher eine nichts weniger als nationale Gesinnung spricht,
wie in den Manifestationen, die man so absichtlich bei dem Cobden-Zweckessen
zeigte und die so verdienten Tadel in der deutschen Presse gefunden, und wenn
man dies auch selbst nicht einräumen will, ja sich entrüstet stellt, wenn man es zu
hören bekommt, so hat das ganze übrige Deutschland es doch gar wohl empfunden
und Hamburg hat sich zu demselben jetzt in eine isolirte Stellung gebracht, die
auf die Länge ihm keinen Vortheil gewähren wird, wenn es nicht noch andere
Wege einschlagen sollte. Auch noch in vielen anderen Sachen, im Aeußeren wie
Inneren zeigt sich diese große Disharmonie. Die neuen Stadttheile z. B. sind so
großartig und ja selbst mit Verschwendung eingerichtet wie nur möglich, und keine
Stadt Deutschlands hat eine Parthie wie der Jungfernstieg und seine Umgebungen


hierin selbst nicht von Wien und Berlin, obgleich Beide viel mehr Einwohner zäh¬
len, übertroffen. Wien und Berlin tragen Beide den Charakter eines bestimmten
Landes an sich, sind Residenzen durch und durch in ihrer ganzen Erscheinung,
Hamburg aber ist eine Weltstadt, ein Versammlungsplatz aller Nationen. Und
dabei wieder trotz aller dieser Großartigkeit in seiner ganzen Anlage, in allem sei¬
nen Leben und Treiben, welche Kleinlichkeiten, enge Beschränkungen herrschen hier
uicht theilweise; statt Weltbürgersinn echtes Spießbürgerthum, Sinn für mög¬
lichste Freiheit und wieder größte Kleinigkeitskrämerei und festes Kleben an den
veraltetsten Bocksbeuteleien, sind oft hier in schreienden Contraste vorhanden.
Man begreift oft kaum, wie so entgegengesetzte Elemente in ein und derselben
Stadt, ja oft bei ein und denselben Personen vereint sich vorfinden können, und
muß nothwendiger Weise einige Zeit hier selbst gelebt haben, um dies verschieden¬
artige Conglomerat hierin so recht erkennen zu können. In Allem, vom Größten
bis Kleinsten herab, zeigt sich dies aber hundertfältig. Dieselbe Stadt, welche sich
die Rolle gibt, als sei sie zum Apostel des Freihandels in Deutschland berufen,
und donnernde Tiraden gegen jede Zollbeschränkuug in ihrer Presse und bei den
Festmahlen, welche sie fremden Verdienst gibt, losläßt, sperrt am Abende noch ihre
Thore und gestattet den Eintritt oft nur gegen ein unmäßig hohes Eintrittsgeld.
Wie reimt sich das aber zusammen, welch' geringe Consequenz liegt hierin! Han¬
delsfreiheit und Thorsperre zugleich im Schilde zu führen, welche Wunderlichkeit!
Den Zollverein haßt sie, weil er englischen Manufacturen den Eingang erschwert
und schmäht ans Mauthen und Zollschranken, in ihre Thore selbst darf aber kein
Pfund Fleisch gebracht werden, ohne Accise zu zahlen. Man spricht hier gar viel
vom deutschen Vaterlande und deutscher Einigkeit und feiert den 18. October durch
hohe Freudenfeuer, und was man noch lieber thut, sehr lukullische Gastmahle und
zugleich nimmt man in Wirklichkeit eine nichts weniger als brüderliche Stellung
zum ganzen übrigen Deutschland ein und sucht seine Interessen von den gemein¬
samen Interessen desselben zu sondern. Ja unleugbar thut man dies in Hamburg,
man hat es gezeigt, in der bekannten Denkschrift des Hamburger Senates, die kürz¬
lich erschienen und ans welcher eine nichts weniger als nationale Gesinnung spricht,
wie in den Manifestationen, die man so absichtlich bei dem Cobden-Zweckessen
zeigte und die so verdienten Tadel in der deutschen Presse gefunden, und wenn
man dies auch selbst nicht einräumen will, ja sich entrüstet stellt, wenn man es zu
hören bekommt, so hat das ganze übrige Deutschland es doch gar wohl empfunden
und Hamburg hat sich zu demselben jetzt in eine isolirte Stellung gebracht, die
auf die Länge ihm keinen Vortheil gewähren wird, wenn es nicht noch andere
Wege einschlagen sollte. Auch noch in vielen anderen Sachen, im Aeußeren wie
Inneren zeigt sich diese große Disharmonie. Die neuen Stadttheile z. B. sind so
großartig und ja selbst mit Verschwendung eingerichtet wie nur möglich, und keine
Stadt Deutschlands hat eine Parthie wie der Jungfernstieg und seine Umgebungen


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[0376] hierin selbst nicht von Wien und Berlin, obgleich Beide viel mehr Einwohner zäh¬ len, übertroffen. Wien und Berlin tragen Beide den Charakter eines bestimmten Landes an sich, sind Residenzen durch und durch in ihrer ganzen Erscheinung, Hamburg aber ist eine Weltstadt, ein Versammlungsplatz aller Nationen. Und dabei wieder trotz aller dieser Großartigkeit in seiner ganzen Anlage, in allem sei¬ nen Leben und Treiben, welche Kleinlichkeiten, enge Beschränkungen herrschen hier uicht theilweise; statt Weltbürgersinn echtes Spießbürgerthum, Sinn für mög¬ lichste Freiheit und wieder größte Kleinigkeitskrämerei und festes Kleben an den veraltetsten Bocksbeuteleien, sind oft hier in schreienden Contraste vorhanden. Man begreift oft kaum, wie so entgegengesetzte Elemente in ein und derselben Stadt, ja oft bei ein und denselben Personen vereint sich vorfinden können, und muß nothwendiger Weise einige Zeit hier selbst gelebt haben, um dies verschieden¬ artige Conglomerat hierin so recht erkennen zu können. In Allem, vom Größten bis Kleinsten herab, zeigt sich dies aber hundertfältig. Dieselbe Stadt, welche sich die Rolle gibt, als sei sie zum Apostel des Freihandels in Deutschland berufen, und donnernde Tiraden gegen jede Zollbeschränkuug in ihrer Presse und bei den Festmahlen, welche sie fremden Verdienst gibt, losläßt, sperrt am Abende noch ihre Thore und gestattet den Eintritt oft nur gegen ein unmäßig hohes Eintrittsgeld. Wie reimt sich das aber zusammen, welch' geringe Consequenz liegt hierin! Han¬ delsfreiheit und Thorsperre zugleich im Schilde zu führen, welche Wunderlichkeit! Den Zollverein haßt sie, weil er englischen Manufacturen den Eingang erschwert und schmäht ans Mauthen und Zollschranken, in ihre Thore selbst darf aber kein Pfund Fleisch gebracht werden, ohne Accise zu zahlen. Man spricht hier gar viel vom deutschen Vaterlande und deutscher Einigkeit und feiert den 18. October durch hohe Freudenfeuer, und was man noch lieber thut, sehr lukullische Gastmahle und zugleich nimmt man in Wirklichkeit eine nichts weniger als brüderliche Stellung zum ganzen übrigen Deutschland ein und sucht seine Interessen von den gemein¬ samen Interessen desselben zu sondern. Ja unleugbar thut man dies in Hamburg, man hat es gezeigt, in der bekannten Denkschrift des Hamburger Senates, die kürz¬ lich erschienen und ans welcher eine nichts weniger als nationale Gesinnung spricht, wie in den Manifestationen, die man so absichtlich bei dem Cobden-Zweckessen zeigte und die so verdienten Tadel in der deutschen Presse gefunden, und wenn man dies auch selbst nicht einräumen will, ja sich entrüstet stellt, wenn man es zu hören bekommt, so hat das ganze übrige Deutschland es doch gar wohl empfunden und Hamburg hat sich zu demselben jetzt in eine isolirte Stellung gebracht, die auf die Länge ihm keinen Vortheil gewähren wird, wenn es nicht noch andere Wege einschlagen sollte. Auch noch in vielen anderen Sachen, im Aeußeren wie Inneren zeigt sich diese große Disharmonie. Die neuen Stadttheile z. B. sind so großartig und ja selbst mit Verschwendung eingerichtet wie nur möglich, und keine Stadt Deutschlands hat eine Parthie wie der Jungfernstieg und seine Umgebungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/376>, abgerufen am 24.08.2024.