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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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finden und die so strenge eingehalten werden, wie es die strengste Hofetikette des
aristokratischen Herrschers nicht peinlicher thun konnte. Und welche Titulaturen
z. B. erhält nicht der Senat aller dieser Städte in den an ihn gerichteten Schrei¬
ben. Solch veralteten Canzlei-Styl, solche Unsummen schwülstiger, oft wirklich
komischer Ausdrücke wird man in ganz Deutschland nicht mehr finden. Man kennt
in den Hanse-Städten keinen Geburtsadel mit seinen veralteten Prärogativen,
aber man hat statt dessen eine Geldaristokratie, die stolzer und sich abschließender
von allem Andern auftritt, als der übermüthigste Feudaladel es thun könnte.
Diese bläht sich hier uicht mit Ahnen, wohl aber mit Geldsäcken, sie zählt nicht die
Quartiere am Stammbaum wohl aber wie viel hunderttausend Mark der oder jener
besitzt, wenn man sich zuerst nach seinem Werthe erkundigt. Der Millionair schließt
sich möglichst gern von dem Hunderttausend-Mann, und dieser wieder von dem
Zehntansender ab. Heirathen, wenn sie auch bisweilen vorkommen zwischen den Kindern
solcher verschiedenen Klassen, werden von den Reicheren gerne als Mesalliance
betrachtet. Ausnahmen wollen wir gerne zugeben, im Allgemeinen wird man
uns aber beipflichten müssen, wenn man die innern Verhältnisse dieser Hanse-
städte nur einigermaßen kennt. Daß dies Alles so sein und bleiben würde,
aHuten die Diplomaten des Wiener Congresses zum Voraus. Sie wußte",
daß es Handelsstädte dnrch und durch waren, in denen der merkantilische
Eigennutz alle andern Interessen unbedingt beherrschen und die sich deshalb
gewiß nicht als Vorkämpfer der Freiheit und des Fortschrittes in Deutschland
aufwerfen würden. Sie wußten ferner recht gut, wie mächtig und viel verzweigt
w ihrem ganzen Einflüsse die Geldaristokratie dieser Städte sein und wie es schon
unbedingt im Interesse dieser liege, daß ein anderer Zustand sobald nicht aufkom¬
men möchte; deshalb konnten sie wegen der Freiheit dieser freien Städte so unbesorgt
sein, als wenn sie zehn Bataillone österreichischer Grenadiere in jede derselben gelegt
hätten. Es hat noch keinen Fortschritt irgend einer Art, und in welchem Zweige
des staatlichen und bürgerlichen Lebens es anch sei, gegeben, von dem diese Städte
rühmen könnten, daß er von ihnen ausgegangen, sich aus ihren Mauern in das
übrige weite deutsche Vaterland verbreitet habe. Sonst hat, wie nicht geleugnet wer¬
den kann, ihre Verwaltungsform manches Gute für sie selbst bewirkt. Wenn auch
die Gehalte der Senatoren und sonstigen Staatsbeamten gewiß nicht gering sind,
la verhältmßmäßig viel mehr kosten als in manchen andern deutschen Staaten, und
Wohl Vieles, sehr Vieles hiebei noch gespart werden könnte, so sind die Abgaben
doch geringer als wenn sie einer Monarchie angehörten. Ueberdies bestehen die Se¬
natoren zum Theil wenigstens, aus practisch erfahrenen Geschäftsleuten, namentlich
Kaufleuten, die vor Allem aus eigener Kenntniß wissen, daß der Handel die Lebens¬
ader dieser Städte, ans dem sich bei ihnen das Ganze gründet, alles Andere besser
als das zu viel Regieren vertragen kann. Darum haben diese fast unbedeutenden
ganz allein auf sich angewiesenen gar keines weiteren mächtigen Schutzes genießenden


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finden und die so strenge eingehalten werden, wie es die strengste Hofetikette des
aristokratischen Herrschers nicht peinlicher thun konnte. Und welche Titulaturen
z. B. erhält nicht der Senat aller dieser Städte in den an ihn gerichteten Schrei¬
ben. Solch veralteten Canzlei-Styl, solche Unsummen schwülstiger, oft wirklich
komischer Ausdrücke wird man in ganz Deutschland nicht mehr finden. Man kennt
in den Hanse-Städten keinen Geburtsadel mit seinen veralteten Prärogativen,
aber man hat statt dessen eine Geldaristokratie, die stolzer und sich abschließender
von allem Andern auftritt, als der übermüthigste Feudaladel es thun könnte.
Diese bläht sich hier uicht mit Ahnen, wohl aber mit Geldsäcken, sie zählt nicht die
Quartiere am Stammbaum wohl aber wie viel hunderttausend Mark der oder jener
besitzt, wenn man sich zuerst nach seinem Werthe erkundigt. Der Millionair schließt
sich möglichst gern von dem Hunderttausend-Mann, und dieser wieder von dem
Zehntansender ab. Heirathen, wenn sie auch bisweilen vorkommen zwischen den Kindern
solcher verschiedenen Klassen, werden von den Reicheren gerne als Mesalliance
betrachtet. Ausnahmen wollen wir gerne zugeben, im Allgemeinen wird man
uns aber beipflichten müssen, wenn man die innern Verhältnisse dieser Hanse-
städte nur einigermaßen kennt. Daß dies Alles so sein und bleiben würde,
aHuten die Diplomaten des Wiener Congresses zum Voraus. Sie wußte»,
daß es Handelsstädte dnrch und durch waren, in denen der merkantilische
Eigennutz alle andern Interessen unbedingt beherrschen und die sich deshalb
gewiß nicht als Vorkämpfer der Freiheit und des Fortschrittes in Deutschland
aufwerfen würden. Sie wußten ferner recht gut, wie mächtig und viel verzweigt
w ihrem ganzen Einflüsse die Geldaristokratie dieser Städte sein und wie es schon
unbedingt im Interesse dieser liege, daß ein anderer Zustand sobald nicht aufkom¬
men möchte; deshalb konnten sie wegen der Freiheit dieser freien Städte so unbesorgt
sein, als wenn sie zehn Bataillone österreichischer Grenadiere in jede derselben gelegt
hätten. Es hat noch keinen Fortschritt irgend einer Art, und in welchem Zweige
des staatlichen und bürgerlichen Lebens es anch sei, gegeben, von dem diese Städte
rühmen könnten, daß er von ihnen ausgegangen, sich aus ihren Mauern in das
übrige weite deutsche Vaterland verbreitet habe. Sonst hat, wie nicht geleugnet wer¬
den kann, ihre Verwaltungsform manches Gute für sie selbst bewirkt. Wenn auch
die Gehalte der Senatoren und sonstigen Staatsbeamten gewiß nicht gering sind,
la verhältmßmäßig viel mehr kosten als in manchen andern deutschen Staaten, und
Wohl Vieles, sehr Vieles hiebei noch gespart werden könnte, so sind die Abgaben
doch geringer als wenn sie einer Monarchie angehörten. Ueberdies bestehen die Se¬
natoren zum Theil wenigstens, aus practisch erfahrenen Geschäftsleuten, namentlich
Kaufleuten, die vor Allem aus eigener Kenntniß wissen, daß der Handel die Lebens¬
ader dieser Städte, ans dem sich bei ihnen das Ganze gründet, alles Andere besser
als das zu viel Regieren vertragen kann. Darum haben diese fast unbedeutenden
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/371>, abgerufen am 24.08.2024.