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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Allem, was den Leuten nicht zu Kopf will, und als z. B. von Floreucourt gegen
Rouge auftrat, ließen sich Wcimarische Pastoren daraus köpfen, daß er ein gehei¬
mer Jesuit sei.

Wenn wir uns bei der Darstellung der kirchlichen Zustände Weimars an
Rohr's Persönlichkeit halten konnten, so läßt sich die des socialen und politischen
Lebens an eine andere, den alten H enß anknüpfen. Henß ist ans dem Rheinland
gebürtig, aber ein vollkommener Weimaraner geworden. Als Buchbindcrgesell hat
er weite Reisen nach der Schweiz, nach Ungarn und Polen gemacht, immer mit
klugen Sinne beobachtet, an seiner Selbst bilduu^ gearbeitet, und sich zuletzt in
Weimar häuslich niedergelassen. Er ist Autodidaet im vollsten Sinne des Wortes
und besitzt alle Vorzüge und Schattenseiten eines solchen. Bestimmt und fertig
in seinen Meinungen, sprechselig, hartnäckig und dabei gewandt und geistesgegen¬
wärtig ist er stets bereit, sein Votum über alle möglichen Dinge abzugeben, und
wenn er dabei nie zu erwähnen unterläßt, daß er als einfacher, schlichter Bürger,
als Ungelehrtcr spreche, so will er damit eben nur andeuten, daß man nicht gelehrt
zu sein brauche, um sich über alle Lebensfragen ein klares und sicheres Urtheil zu
bilden. Ein scharfer juristischer Verstand, der ihm keine Ruhe läßt, wo es eine
Rechtsfrage gilt, ein Geschäftigkcitstrieb, der ihn immer in Bewegung setzt und
jede Gelegenheit, eine Sache zu ordnen, zu leiten und zu beaufsichtigen, ergreifen
läßt, wobei freilich auch die Befriedigung der Eitelkeit etwas in's Spiel kommt
sind hervorstechende Züge seines Wesens. Wclin das gebleichte Haar den Greis
verräth, so ist dieser in der Beweglichkeit der Gestalt, in der ungeschwächten
Erregbarkeit und Lebendigkeit des Geistes nicht zu erkennen, und He^iß selbst
legt auf diese erhaltene Jugendlichkeit Gewicht, ja man sagt, daß er zuweilen damit
kokettirt. -- Dem größern Publikum wurde Heuß zuerst durch einen Streit mit
dem Weimarischen Stadtrath bekannt. Bei den Bürgern seitdem populär ge¬
worden, wurde er zum Landtagsabgeordneten erwählt und brachte zu einer Zeit
der politischen Indifferenz im Lande, der schläfrigen Gemüthlichkeit und der zarten
Rücksichten im Landtage selbst, durch Schärfe und Freimüthigkeit einiges Leben in
die Verhandlungen des letzter". Eine eigentlich starke Sprache führt aber He"ß weder
Hier "och sonst, da er die Grenze, an der er Erbitterung erregen könnte, mir
Mit Vorsicht zu streifen sich selbst als Vorzug anrechnet. Lange vor der deutsch-
katholischen Bewegung hatte er sich schon öffentlich für eine Trennung der de"t-
scheu Katholiken von Rom ausgesprochen, und war natürlich, sobald die Bewegung
begann, der Mittelpunkt der deutschkatholischen Gemeinde in Weimar, die raa^
°ben zu vertreten hamer Eigentlmmlichkcit außerordentlich zusagte. In religiösen
wie in politischen Dingen ist Henß ein verzweifelter Nationalist, der überall auf
das Praktische und Verständige ausgeht, und der ein eigentlicher Katholik wohl
nie gewesen ist. Für die deutschkatholische Sache hat er mit den Anhängern des
Bischofs von Fulda eine Lanze gebrochen, und man kann seiner Kampsweisc die


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Allem, was den Leuten nicht zu Kopf will, und als z. B. von Floreucourt gegen
Rouge auftrat, ließen sich Wcimarische Pastoren daraus köpfen, daß er ein gehei¬
mer Jesuit sei.

Wenn wir uns bei der Darstellung der kirchlichen Zustände Weimars an
Rohr's Persönlichkeit halten konnten, so läßt sich die des socialen und politischen
Lebens an eine andere, den alten H enß anknüpfen. Henß ist ans dem Rheinland
gebürtig, aber ein vollkommener Weimaraner geworden. Als Buchbindcrgesell hat
er weite Reisen nach der Schweiz, nach Ungarn und Polen gemacht, immer mit
klugen Sinne beobachtet, an seiner Selbst bilduu^ gearbeitet, und sich zuletzt in
Weimar häuslich niedergelassen. Er ist Autodidaet im vollsten Sinne des Wortes
und besitzt alle Vorzüge und Schattenseiten eines solchen. Bestimmt und fertig
in seinen Meinungen, sprechselig, hartnäckig und dabei gewandt und geistesgegen¬
wärtig ist er stets bereit, sein Votum über alle möglichen Dinge abzugeben, und
wenn er dabei nie zu erwähnen unterläßt, daß er als einfacher, schlichter Bürger,
als Ungelehrtcr spreche, so will er damit eben nur andeuten, daß man nicht gelehrt
zu sein brauche, um sich über alle Lebensfragen ein klares und sicheres Urtheil zu
bilden. Ein scharfer juristischer Verstand, der ihm keine Ruhe läßt, wo es eine
Rechtsfrage gilt, ein Geschäftigkcitstrieb, der ihn immer in Bewegung setzt und
jede Gelegenheit, eine Sache zu ordnen, zu leiten und zu beaufsichtigen, ergreifen
läßt, wobei freilich auch die Befriedigung der Eitelkeit etwas in's Spiel kommt
sind hervorstechende Züge seines Wesens. Wclin das gebleichte Haar den Greis
verräth, so ist dieser in der Beweglichkeit der Gestalt, in der ungeschwächten
Erregbarkeit und Lebendigkeit des Geistes nicht zu erkennen, und He^iß selbst
legt auf diese erhaltene Jugendlichkeit Gewicht, ja man sagt, daß er zuweilen damit
kokettirt. — Dem größern Publikum wurde Heuß zuerst durch einen Streit mit
dem Weimarischen Stadtrath bekannt. Bei den Bürgern seitdem populär ge¬
worden, wurde er zum Landtagsabgeordneten erwählt und brachte zu einer Zeit
der politischen Indifferenz im Lande, der schläfrigen Gemüthlichkeit und der zarten
Rücksichten im Landtage selbst, durch Schärfe und Freimüthigkeit einiges Leben in
die Verhandlungen des letzter». Eine eigentlich starke Sprache führt aber He»ß weder
Hier »och sonst, da er die Grenze, an der er Erbitterung erregen könnte, mir
Mit Vorsicht zu streifen sich selbst als Vorzug anrechnet. Lange vor der deutsch-
katholischen Bewegung hatte er sich schon öffentlich für eine Trennung der de»t-
scheu Katholiken von Rom ausgesprochen, und war natürlich, sobald die Bewegung
begann, der Mittelpunkt der deutschkatholischen Gemeinde in Weimar, die raa^
°ben zu vertreten hamer Eigentlmmlichkcit außerordentlich zusagte. In religiösen
wie in politischen Dingen ist Henß ein verzweifelter Nationalist, der überall auf
das Praktische und Verständige ausgeht, und der ein eigentlicher Katholik wohl
nie gewesen ist. Für die deutschkatholische Sache hat er mit den Anhängern des
Bischofs von Fulda eine Lanze gebrochen, und man kann seiner Kampsweisc die


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[0339] Allem, was den Leuten nicht zu Kopf will, und als z. B. von Floreucourt gegen Rouge auftrat, ließen sich Wcimarische Pastoren daraus köpfen, daß er ein gehei¬ mer Jesuit sei. Wenn wir uns bei der Darstellung der kirchlichen Zustände Weimars an Rohr's Persönlichkeit halten konnten, so läßt sich die des socialen und politischen Lebens an eine andere, den alten H enß anknüpfen. Henß ist ans dem Rheinland gebürtig, aber ein vollkommener Weimaraner geworden. Als Buchbindcrgesell hat er weite Reisen nach der Schweiz, nach Ungarn und Polen gemacht, immer mit klugen Sinne beobachtet, an seiner Selbst bilduu^ gearbeitet, und sich zuletzt in Weimar häuslich niedergelassen. Er ist Autodidaet im vollsten Sinne des Wortes und besitzt alle Vorzüge und Schattenseiten eines solchen. Bestimmt und fertig in seinen Meinungen, sprechselig, hartnäckig und dabei gewandt und geistesgegen¬ wärtig ist er stets bereit, sein Votum über alle möglichen Dinge abzugeben, und wenn er dabei nie zu erwähnen unterläßt, daß er als einfacher, schlichter Bürger, als Ungelehrtcr spreche, so will er damit eben nur andeuten, daß man nicht gelehrt zu sein brauche, um sich über alle Lebensfragen ein klares und sicheres Urtheil zu bilden. Ein scharfer juristischer Verstand, der ihm keine Ruhe läßt, wo es eine Rechtsfrage gilt, ein Geschäftigkcitstrieb, der ihn immer in Bewegung setzt und jede Gelegenheit, eine Sache zu ordnen, zu leiten und zu beaufsichtigen, ergreifen läßt, wobei freilich auch die Befriedigung der Eitelkeit etwas in's Spiel kommt sind hervorstechende Züge seines Wesens. Wclin das gebleichte Haar den Greis verräth, so ist dieser in der Beweglichkeit der Gestalt, in der ungeschwächten Erregbarkeit und Lebendigkeit des Geistes nicht zu erkennen, und He^iß selbst legt auf diese erhaltene Jugendlichkeit Gewicht, ja man sagt, daß er zuweilen damit kokettirt. — Dem größern Publikum wurde Heuß zuerst durch einen Streit mit dem Weimarischen Stadtrath bekannt. Bei den Bürgern seitdem populär ge¬ worden, wurde er zum Landtagsabgeordneten erwählt und brachte zu einer Zeit der politischen Indifferenz im Lande, der schläfrigen Gemüthlichkeit und der zarten Rücksichten im Landtage selbst, durch Schärfe und Freimüthigkeit einiges Leben in die Verhandlungen des letzter». Eine eigentlich starke Sprache führt aber He»ß weder Hier »och sonst, da er die Grenze, an der er Erbitterung erregen könnte, mir Mit Vorsicht zu streifen sich selbst als Vorzug anrechnet. Lange vor der deutsch- katholischen Bewegung hatte er sich schon öffentlich für eine Trennung der de»t- scheu Katholiken von Rom ausgesprochen, und war natürlich, sobald die Bewegung begann, der Mittelpunkt der deutschkatholischen Gemeinde in Weimar, die raa^ °ben zu vertreten hamer Eigentlmmlichkcit außerordentlich zusagte. In religiösen wie in politischen Dingen ist Henß ein verzweifelter Nationalist, der überall auf das Praktische und Verständige ausgeht, und der ein eigentlicher Katholik wohl nie gewesen ist. Für die deutschkatholische Sache hat er mit den Anhängern des Bischofs von Fulda eine Lanze gebrochen, und man kann seiner Kampsweisc die 43"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/339>, abgerufen am 25.08.2024.