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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Aber fühle an dem eigenes klopfendes Herz, das von jenem Anblick erregt
wird, welches trauert über die untergegangene Welt und an die Zukunft glaubt; ver¬
senke dich in deinen eigenen Geist, der vor jenen Wundern schaudert, indem er
sie begreift -- und die Seele der Welt ist dir kein Geheimniß mehr. Der Geist,
vor dem dn anbetend die Kniee beugst, es ist der menschliche, der da fähig ist,
jene Unendlichkeit, vor der seine Sinne zu Nichts werden, in sich zu fassen und
zu ertragen. Die Unendlichkeit, vor der dn schauderst, ist als solche nur in dem
menschlichen Geist.

Die Wissenschaft will die Welt nicht entgöttern, erst durch sie wird der ver¬
borgene Gott offenbar. Das ist der Eindruck, auf den Poesie und Philosophie
hinstreben, den aber erst die von den Ideen der Philosophie gesättigte Wissenschaft
hervorzubringen vermag.

Man vergleiche mit Humboldt's Kosmos etwa die Schrift eines Mystikers oder
das erhabene Gedicht von Gott, das ans Spinoza's Feder geflossen ist. Die
Mystik hat keine andere Tendenz, als den innern Grund der Dinge zu finden,
oder mit andern Worten, das Universum als eine Totalität und Einheit darzu¬
stellen. Auch die Mystik will Anschauung, nicht Abstraction, auch sie will einen
Kosmos geben, aber sie schaut mit der Phantasie, sie hebt die Unterschiede ans,
und bringt die Einheit dadurch hervor, daß sie Alles in Einen Brei rührt. So
ist in den Schriften des ehrlichen Jacob Böhme wie in einer Weihnachts-
bescheerung Alles, was am Himmel und auf der Erde glänzt und schimmert, in
einer reizenden Verwirrung durcheinander gehäuft, und es sieht in dieser Gestalt,
weil die Phantasie dnrch keine reale Kenntniß gestört wird, eigentlich noch erträg¬
licher aus, als in den Schriften der halb mystischen, halb rationellen Naturphilo-
sophen -- wie eines Giordano Bruno -- weil hier das Bestimmte durch mystische
Spielereien verflüchtigt wird. Aber was die ganze Reihe von Naturphilosophen,
vom Anfang des sechzehnten Jahrhunderts an bis ans unsere Tage -- von Para-
celsus, Cardanus, Telesius, Patritius, Bruno, bis ans Schelling, Schubert, Stef¬
fens u. f. w. sich zur Aufgabe gesetzt, ist eben dasselbe, was in Humboldt's Werk
die sinnige Anschauung und die universelle Gelehrsamkeit geleistet hat.

Sehr wohl zu unterscheiden von jenen Versuchen, Idee und Realität in ein¬
ander zu wirren, ist der Idealismus Spinoza's, der durch ein reines System
von Gedanken die Natur zum Geist erhebt. Gottes Realität ist uur in der Natur
und sein Selbstbewußtsein uur im menschlichen Gedanken, das ist das Grund¬
princip dieses Propheten der neuen Religion, zu dem die Wissenschaft nicht weniger
hindrängt, als der Trieb des lebendigen Bewußtseins. Seine große Idee, daß
die Zeit nichts Reales ist, sondern nur eine Form des Denkens, eine Idee, wel¬
cher der mystische Spruch Jacob Böhme's entspricht:


Wem Zeit ist wie Ewigkeit,
Wh Ewigkeit wie die Zeit,

Aber fühle an dem eigenes klopfendes Herz, das von jenem Anblick erregt
wird, welches trauert über die untergegangene Welt und an die Zukunft glaubt; ver¬
senke dich in deinen eigenen Geist, der vor jenen Wundern schaudert, indem er
sie begreift — und die Seele der Welt ist dir kein Geheimniß mehr. Der Geist,
vor dem dn anbetend die Kniee beugst, es ist der menschliche, der da fähig ist,
jene Unendlichkeit, vor der seine Sinne zu Nichts werden, in sich zu fassen und
zu ertragen. Die Unendlichkeit, vor der dn schauderst, ist als solche nur in dem
menschlichen Geist.

Die Wissenschaft will die Welt nicht entgöttern, erst durch sie wird der ver¬
borgene Gott offenbar. Das ist der Eindruck, auf den Poesie und Philosophie
hinstreben, den aber erst die von den Ideen der Philosophie gesättigte Wissenschaft
hervorzubringen vermag.

Man vergleiche mit Humboldt's Kosmos etwa die Schrift eines Mystikers oder
das erhabene Gedicht von Gott, das ans Spinoza's Feder geflossen ist. Die
Mystik hat keine andere Tendenz, als den innern Grund der Dinge zu finden,
oder mit andern Worten, das Universum als eine Totalität und Einheit darzu¬
stellen. Auch die Mystik will Anschauung, nicht Abstraction, auch sie will einen
Kosmos geben, aber sie schaut mit der Phantasie, sie hebt die Unterschiede ans,
und bringt die Einheit dadurch hervor, daß sie Alles in Einen Brei rührt. So
ist in den Schriften des ehrlichen Jacob Böhme wie in einer Weihnachts-
bescheerung Alles, was am Himmel und auf der Erde glänzt und schimmert, in
einer reizenden Verwirrung durcheinander gehäuft, und es sieht in dieser Gestalt,
weil die Phantasie dnrch keine reale Kenntniß gestört wird, eigentlich noch erträg¬
licher aus, als in den Schriften der halb mystischen, halb rationellen Naturphilo-
sophen — wie eines Giordano Bruno — weil hier das Bestimmte durch mystische
Spielereien verflüchtigt wird. Aber was die ganze Reihe von Naturphilosophen,
vom Anfang des sechzehnten Jahrhunderts an bis ans unsere Tage — von Para-
celsus, Cardanus, Telesius, Patritius, Bruno, bis ans Schelling, Schubert, Stef¬
fens u. f. w. sich zur Aufgabe gesetzt, ist eben dasselbe, was in Humboldt's Werk
die sinnige Anschauung und die universelle Gelehrsamkeit geleistet hat.

Sehr wohl zu unterscheiden von jenen Versuchen, Idee und Realität in ein¬
ander zu wirren, ist der Idealismus Spinoza's, der durch ein reines System
von Gedanken die Natur zum Geist erhebt. Gottes Realität ist uur in der Natur
und sein Selbstbewußtsein uur im menschlichen Gedanken, das ist das Grund¬
princip dieses Propheten der neuen Religion, zu dem die Wissenschaft nicht weniger
hindrängt, als der Trieb des lebendigen Bewußtseins. Seine große Idee, daß
die Zeit nichts Reales ist, sondern nur eine Form des Denkens, eine Idee, wel¬
cher der mystische Spruch Jacob Böhme's entspricht:


Wem Zeit ist wie Ewigkeit,
Wh Ewigkeit wie die Zeit,

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[0325] Aber fühle an dem eigenes klopfendes Herz, das von jenem Anblick erregt wird, welches trauert über die untergegangene Welt und an die Zukunft glaubt; ver¬ senke dich in deinen eigenen Geist, der vor jenen Wundern schaudert, indem er sie begreift — und die Seele der Welt ist dir kein Geheimniß mehr. Der Geist, vor dem dn anbetend die Kniee beugst, es ist der menschliche, der da fähig ist, jene Unendlichkeit, vor der seine Sinne zu Nichts werden, in sich zu fassen und zu ertragen. Die Unendlichkeit, vor der dn schauderst, ist als solche nur in dem menschlichen Geist. Die Wissenschaft will die Welt nicht entgöttern, erst durch sie wird der ver¬ borgene Gott offenbar. Das ist der Eindruck, auf den Poesie und Philosophie hinstreben, den aber erst die von den Ideen der Philosophie gesättigte Wissenschaft hervorzubringen vermag. Man vergleiche mit Humboldt's Kosmos etwa die Schrift eines Mystikers oder das erhabene Gedicht von Gott, das ans Spinoza's Feder geflossen ist. Die Mystik hat keine andere Tendenz, als den innern Grund der Dinge zu finden, oder mit andern Worten, das Universum als eine Totalität und Einheit darzu¬ stellen. Auch die Mystik will Anschauung, nicht Abstraction, auch sie will einen Kosmos geben, aber sie schaut mit der Phantasie, sie hebt die Unterschiede ans, und bringt die Einheit dadurch hervor, daß sie Alles in Einen Brei rührt. So ist in den Schriften des ehrlichen Jacob Böhme wie in einer Weihnachts- bescheerung Alles, was am Himmel und auf der Erde glänzt und schimmert, in einer reizenden Verwirrung durcheinander gehäuft, und es sieht in dieser Gestalt, weil die Phantasie dnrch keine reale Kenntniß gestört wird, eigentlich noch erträg¬ licher aus, als in den Schriften der halb mystischen, halb rationellen Naturphilo- sophen — wie eines Giordano Bruno — weil hier das Bestimmte durch mystische Spielereien verflüchtigt wird. Aber was die ganze Reihe von Naturphilosophen, vom Anfang des sechzehnten Jahrhunderts an bis ans unsere Tage — von Para- celsus, Cardanus, Telesius, Patritius, Bruno, bis ans Schelling, Schubert, Stef¬ fens u. f. w. sich zur Aufgabe gesetzt, ist eben dasselbe, was in Humboldt's Werk die sinnige Anschauung und die universelle Gelehrsamkeit geleistet hat. Sehr wohl zu unterscheiden von jenen Versuchen, Idee und Realität in ein¬ ander zu wirren, ist der Idealismus Spinoza's, der durch ein reines System von Gedanken die Natur zum Geist erhebt. Gottes Realität ist uur in der Natur und sein Selbstbewußtsein uur im menschlichen Gedanken, das ist das Grund¬ princip dieses Propheten der neuen Religion, zu dem die Wissenschaft nicht weniger hindrängt, als der Trieb des lebendigen Bewußtseins. Seine große Idee, daß die Zeit nichts Reales ist, sondern nur eine Form des Denkens, eine Idee, wel¬ cher der mystische Spruch Jacob Böhme's entspricht: Wem Zeit ist wie Ewigkeit, Wh Ewigkeit wie die Zeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/325>, abgerufen am 25.08.2024.