Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.mindestens zwanzig Leute von allen Kalibern gefragt hatte, traf ich einen anständig Selbst der liebe Gott muß sich in Wien die Verkleinerung gefallen lassen. Ich Ein anderer Zug von größerem Ernst. "So wenig sich nun das plattdeutsche "Wat," wiederholte der Sohn, ,de grote Wisch? Aber wat kann 't helpen," *) Wer ruhig sterben will, laß sein Gut den rechten Erben. '"") Die Landleute selbst nenne" den Hausmann "Bucr/' Ick bin 'n B"er, sagt er selbst mit Stolz. Ase Buer sage" Dienstboten und Heuerlcure; i" 'tDoip wohnt man veer Buern, de armern sind all lütje Lii. Die große Wiese bei dem Bach; die könne" wir ja gar nicht bei der Laudstclle entbehren. -!-) Behalte die Wiese. -t"l-) Wie sie fährt.
mindestens zwanzig Leute von allen Kalibern gefragt hatte, traf ich einen anständig Selbst der liebe Gott muß sich in Wien die Verkleinerung gefallen lassen. Ich Ein anderer Zug von größerem Ernst. „So wenig sich nun das plattdeutsche „Wat," wiederholte der Sohn, ,de grote Wisch? Aber wat kann 't helpen," *) Wer ruhig sterben will, laß sein Gut den rechten Erben. '»») Die Landleute selbst nenne» den Hausmann „Bucr/' Ick bin 'n B»er, sagt er selbst mit Stolz. Ase Buer sage» Dienstboten und Heuerlcure; i» 'tDoip wohnt man veer Buern, de armern sind all lütje Lii. Die große Wiese bei dem Bach; die könne» wir ja gar nicht bei der Laudstclle entbehren. -!-) Behalte die Wiese. -t"l-) Wie sie fährt.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185074"/> <p xml:id="ID_1026" prev="#ID_1025"> mindestens zwanzig Leute von allen Kalibern gefragt hatte, traf ich einen anständig<lb/> gekleideten Herrn, der mir lächelnd, nachdem er sich eine Weile besonnen hatte, sagte:<lb/> ,,Sie woll'n nach de Schtnckcl (Diminutiv von Stück); dann gangen's mit," und der<lb/> Herr führte mich sogleich nach einem H(»del, dem eine Kanone (Stück) als Schild diente.</p><lb/> <p xml:id="ID_1027"> Selbst der liebe Gott muß sich in Wien die Verkleinerung gefallen lassen. Ich<lb/> kaufte dort auf der Straße Traube» von einer alten Obsthändlerin. Plötzlich, das<lb/> mir zugedachte Obst in der Hand haltend, stürzte sie platt auf die Erde. „Frauchen."<lb/> sprach ich ganz bestürzt, „was fehlt Euch?" — ,,Schaut's nit, schaut's nit, unser<lb/> Hcrrgöttel kummt!" und Gebete murmelnd richtete sie ihre Augen auf den vorbeigehen¬<lb/> den Priester mit der heiligen Monstranz."</p><lb/> <p xml:id="ID_1028"> Ein anderer Zug von größerem Ernst. „So wenig sich nun das plattdeutsche<lb/> Sprüchwort mit Religion befaßt, so innig ist's mit allem verknüpft, was die alte<lb/> Volkssitte heiligt, die sich bei unsern Landleuten, da sie durch die abgeschiedene Lage<lb/> des Landes nud durch das Plattdeutsche von allem Verkehr mit der Welt abgeschlossen<lb/> sind, viel mächtiger, viel lebendiger und einflußreicher erhalten bat, als in den meisten<lb/> Ländern Deutschlands. Wo die Volkssitte gebietet, da schweigen alle andere Rücksichten.<lb/> So hat das Wort: „Da will ruhig starweu, Lat sin Good den rechten Urwelt *)."<lb/> eine höchst gebieterische Geltung! — Noch ernster in das Bewußtsein der friesischen<lb/> Bauern ist der Spruch gegraben: „Mau kann woll unrecht Good erwarben, Man nich<lb/> verarbcn!" — „Um das Bestreben des Landmannes zu bezeichnen, seinem Erben daS<lb/> Besitzthum gut abgerundet und im vollen Glänze zu erhalten, erzählt man sich wohl<lb/> folgendes Geschichtchen: Ein Hausmann so heißt der Besitzer einer großen, ge¬<lb/> schlossenen Laudstclle, rief einst, als er den Tod herannahen fühlte, seinen Sohn, den<lb/> Erben seines Gutes, an sein Krankenlager. „Du mußt," sagte der Alte zu dem<lb/> Sohne, „dem Nachbar die große Wiese zurückgeben; ich kann nnr ruhig sterben, wenn<lb/> ich weiß, daß das geschieht. Denn sich' mein Sohn, ich will es Dir gestehen, ich<lb/> habe damals in dem Prozesse die Wiese dnrch einen falschen Eid gewonnen." -—- „Wat,"<lb/> sagte der Sohn, von Schrecken bleich, „de grote Wisch bi de Bade? — de tan't wi<lb/> bi de Sta jo gar nich missen"")!" Stumm nickend bejahte der Alte die ernste Frage.</p><lb/> <p xml:id="ID_1029" next="#ID_1030"> „Wat," wiederholte der Sohn, ,de grote Wisch? Aber wat kann 't helpen,"<lb/> fügte er hinzu; „wenn Ji lin Ruh to starben hebbt, denn weg damit!" — ,,Nä,"<lb/> erwiderte der Alte, ,/t geit doch nich. Missen kannst de Wisch bi de Sta nich; it is<lb/> nu de beste in 't ganze KaSpcl (Kirchspiel), um is de Wisch daraww, denn is se<lb/> Schande'—denn mußt Du Wischlaud to düren (pansee»). Weeßt Du wat, min Jung,"<lb/> fuhr der Alte nach langen ernsten Stillschweigen ticfsenfzend fort: „Bchol 1-) de Wisch,<lb/> min arme Seele mag sehn, wo se rale-!"I')." — „Wie jede Tugend, wenn sie bis<lb/> zur äußerste» Spitze getrieben wird, gerade in das Entgegengesetzte, in einen Fehler<lb/> umschlägt, so wird auch sehr häufig aus diesem lebhaften Rechtsgefühl ein eigensinni¬<lb/> ges, bornirtes Festhalten dessen, was man für Recht hält. Wie oft sind nicht um<lb/> ganz unbedeutende Strcitobjccte unter Nachbarn, unter Familiengliedern die nnvcrsöhn-</p><lb/> <note xml:id="FID_45" place="foot"> *) Wer ruhig sterben will, laß sein Gut den rechten Erben.</note><lb/> <note xml:id="FID_46" place="foot"> '»») Die Landleute selbst nenne» den Hausmann „Bucr/' Ick bin 'n B»er, sagt er selbst<lb/> mit Stolz. Ase Buer sage» Dienstboten und Heuerlcure; i» 'tDoip wohnt man veer Buern,<lb/> de armern sind all lütje Lii.</note><lb/> <note xml:id="FID_47" place="foot"> Die große Wiese bei dem Bach; die könne» wir ja gar nicht bei der Laudstclle entbehren.</note><lb/> <note xml:id="FID_48" place="foot"> -!-) Behalte die Wiese.</note><lb/> <note xml:id="FID_49" place="foot"> -t"l-) Wie sie fährt.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0310]
mindestens zwanzig Leute von allen Kalibern gefragt hatte, traf ich einen anständig
gekleideten Herrn, der mir lächelnd, nachdem er sich eine Weile besonnen hatte, sagte:
,,Sie woll'n nach de Schtnckcl (Diminutiv von Stück); dann gangen's mit," und der
Herr führte mich sogleich nach einem H(»del, dem eine Kanone (Stück) als Schild diente.
Selbst der liebe Gott muß sich in Wien die Verkleinerung gefallen lassen. Ich
kaufte dort auf der Straße Traube» von einer alten Obsthändlerin. Plötzlich, das
mir zugedachte Obst in der Hand haltend, stürzte sie platt auf die Erde. „Frauchen."
sprach ich ganz bestürzt, „was fehlt Euch?" — ,,Schaut's nit, schaut's nit, unser
Hcrrgöttel kummt!" und Gebete murmelnd richtete sie ihre Augen auf den vorbeigehen¬
den Priester mit der heiligen Monstranz."
Ein anderer Zug von größerem Ernst. „So wenig sich nun das plattdeutsche
Sprüchwort mit Religion befaßt, so innig ist's mit allem verknüpft, was die alte
Volkssitte heiligt, die sich bei unsern Landleuten, da sie durch die abgeschiedene Lage
des Landes nud durch das Plattdeutsche von allem Verkehr mit der Welt abgeschlossen
sind, viel mächtiger, viel lebendiger und einflußreicher erhalten bat, als in den meisten
Ländern Deutschlands. Wo die Volkssitte gebietet, da schweigen alle andere Rücksichten.
So hat das Wort: „Da will ruhig starweu, Lat sin Good den rechten Urwelt *)."
eine höchst gebieterische Geltung! — Noch ernster in das Bewußtsein der friesischen
Bauern ist der Spruch gegraben: „Mau kann woll unrecht Good erwarben, Man nich
verarbcn!" — „Um das Bestreben des Landmannes zu bezeichnen, seinem Erben daS
Besitzthum gut abgerundet und im vollen Glänze zu erhalten, erzählt man sich wohl
folgendes Geschichtchen: Ein Hausmann so heißt der Besitzer einer großen, ge¬
schlossenen Laudstclle, rief einst, als er den Tod herannahen fühlte, seinen Sohn, den
Erben seines Gutes, an sein Krankenlager. „Du mußt," sagte der Alte zu dem
Sohne, „dem Nachbar die große Wiese zurückgeben; ich kann nnr ruhig sterben, wenn
ich weiß, daß das geschieht. Denn sich' mein Sohn, ich will es Dir gestehen, ich
habe damals in dem Prozesse die Wiese dnrch einen falschen Eid gewonnen." -—- „Wat,"
sagte der Sohn, von Schrecken bleich, „de grote Wisch bi de Bade? — de tan't wi
bi de Sta jo gar nich missen"")!" Stumm nickend bejahte der Alte die ernste Frage.
„Wat," wiederholte der Sohn, ,de grote Wisch? Aber wat kann 't helpen,"
fügte er hinzu; „wenn Ji lin Ruh to starben hebbt, denn weg damit!" — ,,Nä,"
erwiderte der Alte, ,/t geit doch nich. Missen kannst de Wisch bi de Sta nich; it is
nu de beste in 't ganze KaSpcl (Kirchspiel), um is de Wisch daraww, denn is se
Schande'—denn mußt Du Wischlaud to düren (pansee»). Weeßt Du wat, min Jung,"
fuhr der Alte nach langen ernsten Stillschweigen ticfsenfzend fort: „Bchol 1-) de Wisch,
min arme Seele mag sehn, wo se rale-!"I')." — „Wie jede Tugend, wenn sie bis
zur äußerste» Spitze getrieben wird, gerade in das Entgegengesetzte, in einen Fehler
umschlägt, so wird auch sehr häufig aus diesem lebhaften Rechtsgefühl ein eigensinni¬
ges, bornirtes Festhalten dessen, was man für Recht hält. Wie oft sind nicht um
ganz unbedeutende Strcitobjccte unter Nachbarn, unter Familiengliedern die nnvcrsöhn-
*) Wer ruhig sterben will, laß sein Gut den rechten Erben.
'»») Die Landleute selbst nenne» den Hausmann „Bucr/' Ick bin 'n B»er, sagt er selbst
mit Stolz. Ase Buer sage» Dienstboten und Heuerlcure; i» 'tDoip wohnt man veer Buern,
de armern sind all lütje Lii.
Die große Wiese bei dem Bach; die könne» wir ja gar nicht bei der Laudstclle entbehren.
-!-) Behalte die Wiese.
-t"l-) Wie sie fährt.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |