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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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nur daß M. Willkomm als Botaniker mehr in dem Innern des Landes herumkommt.
Der Styl ist bei Nochau vielleicht eleganter, oder ich will lieber sagen, gleichmä¬
ßiger, denn Einzelnes läßt auch bei M. Willkomm nichts zu wünschen übrig. Raume
lich weiß er seinen Naturschilderungen, wie es sich bei einem aufmerksamen For-
scher nicht anders erwarten läßt, ein individuelles Leben zu leihen, wie es die
neuen Landschaftsmaler dnrch Porträtirung der bestimmten Pflanzen-Physiognomie
thun. Als ein Beispiel führe ich die Schilderung der Küstengebirge von Granada
an: "Eine durchsichtige, glänzend blaue Kuppel, hing der Himmel Andalusiens
über den duftigen Fluren von Malaga. Die Mittagssonne des 7. Juni schoß fast
senkrechte Gluthstrahleu auf deu regungslosen Azurspiegcl des Meeres und kein
Lufthauch säuselte zwischen Leu breiten staubbedeckten Blättern der Feigen- und
Wunderbäume (Ille.unis cnmimmis 1^,,), welche die Straße einfassen. Blaugrüne
Chamäleons sonnten ihre schimmernden Schuppenlciber auf den breiten Blattgc-
ästen der stachlichen Opuntia und zahllose buntfarbige Eidechsen schlüpften unhör¬
bar an den weißen Mauern der Weingärten auf und nieder, die das ganze Hü¬
gelland längs der Küste, so weit das Auge reicht, mit einem goldgrünen Teppich
überziehen. Träumerisch neigten die schlank'en Palmen ihre zierlichen Blätterkronen
über die grauen Ziegeldächer der bäuerlichen Hütten, kein Landmann war zwischen
den breitblättrige" Maisstanden und in den wohlgepflegten Gemüsegärten zu sehen,
kein Geräusch unterbrach die lautlose Stille: die ganze Natur schien in den Schlum¬
mer der Siesta versenkt zu sein." M. Willkomm sucht seine Schrift nicht allein an¬
ziehend, sondern auch instructiv zu machen, und hat deshalb eine Reihe von Volks¬
liedern, Notizen zur Kunstgeschichte und statistische Angaben gesammelt; wir wünsch¬
ten nur, daß das in noch reicheren Maße geschehen wäre. Weniger billigen
wir die historischen Excerpte, die er überall einsticht, theils weil das historische
Material wenigstens in seinen Hauptpunkten allgemein bekannt ist, theils weil darüber
Handbücher in Menge darüber vorhanden sind. Der Aufenthalt des Verfassers,in
Spanien umfaßt die Jahre 1844--4K -- ein für die politische Entwickelung jenes
Landes bedeutender Zeitabschnitt. Aber nähern Aufschluß über die politischen Par¬
teien erhalten wir hier eben so wenig als bei Rochan, was man von einem Natur¬
forscher freilich auch uicht erwarten darf. Dagegen ist das Werk reich an kleinen
charakteristischen Zügen aus dem Volksleben, und bei der großen Vorliebe deö
Verfassers für die Nation, die er schildert, verweilt er mit Liebe anch bei dem
Unscheinbarsten, wenn es ans irgend eine Weise die Eigenthümlichkeit derselben
andeutet. Die gleiche Vorliebe scheint er für sein eigen Volk nicht zu haben, we¬
nigstens fertigt er es in der Einleitung, der Reise durch Deutschland -- über¬
haupt dem schwächsten Theil des ganzen Buchs -- mit einigen matten Witzen ab.

Es ist seltsam! Wir gewinnen aus beiden Schriften die Ausicht, daß in dem
spanischen Volke ein äußerst gesunder, tüchtiger Kern vorhanden ist. Woran liegt
es nun eigentlich, daß seit 40 jährigen Wehen Spanien noch immer nicht die po-


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nur daß M. Willkomm als Botaniker mehr in dem Innern des Landes herumkommt.
Der Styl ist bei Nochau vielleicht eleganter, oder ich will lieber sagen, gleichmä¬
ßiger, denn Einzelnes läßt auch bei M. Willkomm nichts zu wünschen übrig. Raume
lich weiß er seinen Naturschilderungen, wie es sich bei einem aufmerksamen For-
scher nicht anders erwarten läßt, ein individuelles Leben zu leihen, wie es die
neuen Landschaftsmaler dnrch Porträtirung der bestimmten Pflanzen-Physiognomie
thun. Als ein Beispiel führe ich die Schilderung der Küstengebirge von Granada
an: „Eine durchsichtige, glänzend blaue Kuppel, hing der Himmel Andalusiens
über den duftigen Fluren von Malaga. Die Mittagssonne des 7. Juni schoß fast
senkrechte Gluthstrahleu auf deu regungslosen Azurspiegcl des Meeres und kein
Lufthauch säuselte zwischen Leu breiten staubbedeckten Blättern der Feigen- und
Wunderbäume (Ille.unis cnmimmis 1^,,), welche die Straße einfassen. Blaugrüne
Chamäleons sonnten ihre schimmernden Schuppenlciber auf den breiten Blattgc-
ästen der stachlichen Opuntia und zahllose buntfarbige Eidechsen schlüpften unhör¬
bar an den weißen Mauern der Weingärten auf und nieder, die das ganze Hü¬
gelland längs der Küste, so weit das Auge reicht, mit einem goldgrünen Teppich
überziehen. Träumerisch neigten die schlank'en Palmen ihre zierlichen Blätterkronen
über die grauen Ziegeldächer der bäuerlichen Hütten, kein Landmann war zwischen
den breitblättrige» Maisstanden und in den wohlgepflegten Gemüsegärten zu sehen,
kein Geräusch unterbrach die lautlose Stille: die ganze Natur schien in den Schlum¬
mer der Siesta versenkt zu sein." M. Willkomm sucht seine Schrift nicht allein an¬
ziehend, sondern auch instructiv zu machen, und hat deshalb eine Reihe von Volks¬
liedern, Notizen zur Kunstgeschichte und statistische Angaben gesammelt; wir wünsch¬
ten nur, daß das in noch reicheren Maße geschehen wäre. Weniger billigen
wir die historischen Excerpte, die er überall einsticht, theils weil das historische
Material wenigstens in seinen Hauptpunkten allgemein bekannt ist, theils weil darüber
Handbücher in Menge darüber vorhanden sind. Der Aufenthalt des Verfassers,in
Spanien umfaßt die Jahre 1844—4K — ein für die politische Entwickelung jenes
Landes bedeutender Zeitabschnitt. Aber nähern Aufschluß über die politischen Par¬
teien erhalten wir hier eben so wenig als bei Rochan, was man von einem Natur¬
forscher freilich auch uicht erwarten darf. Dagegen ist das Werk reich an kleinen
charakteristischen Zügen aus dem Volksleben, und bei der großen Vorliebe deö
Verfassers für die Nation, die er schildert, verweilt er mit Liebe anch bei dem
Unscheinbarsten, wenn es ans irgend eine Weise die Eigenthümlichkeit derselben
andeutet. Die gleiche Vorliebe scheint er für sein eigen Volk nicht zu haben, we¬
nigstens fertigt er es in der Einleitung, der Reise durch Deutschland — über¬
haupt dem schwächsten Theil des ganzen Buchs — mit einigen matten Witzen ab.

Es ist seltsam! Wir gewinnen aus beiden Schriften die Ausicht, daß in dem
spanischen Volke ein äußerst gesunder, tüchtiger Kern vorhanden ist. Woran liegt
es nun eigentlich, daß seit 40 jährigen Wehen Spanien noch immer nicht die po-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/299>, abgerufen am 24.08.2024.