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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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gestellt, nun da es zum Ernst kommt, zu den Füßen des Herrn winseln zu sehen, aber der
ästhetische Eindruck darf nicht den absoluten Maaßstab hergeben. Am meisten möchten
wir den Abgeordneten tadeln, der seine Stellung aus gemüthlichen Rücksichten aufgibt.
Nach dem Wortlaut und dem Geist unserer Verfassung sind die Deputaten nicht die
Mandatare ihre Committenten, sie sind denselben in keiner Weise verantwortlich, in
keiner Weise an ihre Meinung und an ihr Interesse gebunden; die Committenten ha¬
ben nicht das Recht, sie zur Niederlegung ihrer Stelle aufzufordern. Für den gebilde¬
ten Mann muß das gemüthlich locale Interesse dem allgemein politischen weichen.

So sehr wir übrigens dies Ereigniß beklagen, so ist es doch geeignet, uns auf
einen Umstand aufmerksam zu machen, der uns Liberalen nicht oft genug eingeschärft
werden kann. Es ist an keinen politischen Fortschritt von Dauer und Bedeutung zu
denken, so lange nicht der Begriff der politischen Ehre sich in den Gemüthern aller
Bürger festgesetzt hat. Das mögen diejenigen wohl bedenken, die mit der "Allgemeinen
Zeitung" fortwährend die materiellen Interessen hervorheben, und das Ideelle als "hohle
Theorie" von der Hand weisen möchten. Man pflegt die Deutschen als Idealisten zu
verspotten; sie sind es im Gegentheil noch lange nicht genug. Aber das politische
Ehrgefühl hängt mit der Ehre überhaupt zusammen, und in diesem Sinn möchten wir
die Gleichheit, die unser Zeitalter mit Recht anstrebt, nicht so verstanden wissen, daß die
Populace den Adel absorbirt, sondern daß die Populacc sich zum Adel erhebt. Wir
werden nnr dann frei werden können, wen" wir unserer Würde bewußt sein werden; die
Freiheit ist inhaltlos ohne Ehre. Wenn wir erst etwas aus uns halten, wird das Heer
der Junker und der Bedienten auch etwas auf uns halten.


IV.
Felix Mendelssohn.

Elias ist gen Himmel gefahren! In dem Augenblicke, wo in allen deutschen Gro߬
städten Tausende von Künstlern und Kunstfreunden wetteifern um die neueste Tondichtung
des gefeierten Meisters mit der ihr gebührenden Würde und Großartigkeit in's Leben
zu führen, ist der Meister selbst in der Blüthe seines Mannesalters und seiner Schö¬
pfungskraft aus dem Leben geschieden. Am 4. November, Nachts zwischen 9 und 10
Uhr rang seine Seele sich los von den Dissonanzen dieser Erde, im 38. Jahre seines
Lebens. Woran er gestorben -- wissen seine nächsten Freunde kaum zu bestimmen.
Seit dem Tode seiner Schwester, der in den Berliner Kreisen so hoch gefeierte Fanny
Heuselt, die im Mai d. I. mitten in einer ihrer berühmten mittinvl!" >mi5i(!ille>8 plötz¬
lich starb, hat er gekränkelt. Jener Tod war fast der erste große Schmerz, den er,
für den die Welt nur Glück und Harmonie gehabt, zu erleiden hatte und eben deshalb
unterlag er ihm.

Unter Millionen Menschen dürfte sich kaum Einer finden, dem das Glück von
seiner Wiege bis zu feinem Tode mit so ununterbrochenem Sonnenschein gelächelt wie
Felix Mendelssohn-Bartholdy. Ja, vor der Wiege schon hat es ihn begünstigt. Es
hat ihm einen in der deutschen Literatur und Culturgeschichte nicht blos gefeierten, son¬
dern auch beliebten Namen als Kranz an die Wiege gehängt, und dieses gefährliche
Geschenk, das den unbedeutenden Söhnen und Nachkommen berühmter Männer oft zur
erdrückenden Last wird, ist ihm ein freundlicher Stern gewesen, denn mit dem Namen
ward ihm auch das Genre verliehen, welches das Verdienst seines Großvaters noch
überbot. Neben dem Genie legte die Glücksgöttin auch noch Reichthum dem Knaben


gestellt, nun da es zum Ernst kommt, zu den Füßen des Herrn winseln zu sehen, aber der
ästhetische Eindruck darf nicht den absoluten Maaßstab hergeben. Am meisten möchten
wir den Abgeordneten tadeln, der seine Stellung aus gemüthlichen Rücksichten aufgibt.
Nach dem Wortlaut und dem Geist unserer Verfassung sind die Deputaten nicht die
Mandatare ihre Committenten, sie sind denselben in keiner Weise verantwortlich, in
keiner Weise an ihre Meinung und an ihr Interesse gebunden; die Committenten ha¬
ben nicht das Recht, sie zur Niederlegung ihrer Stelle aufzufordern. Für den gebilde¬
ten Mann muß das gemüthlich locale Interesse dem allgemein politischen weichen.

So sehr wir übrigens dies Ereigniß beklagen, so ist es doch geeignet, uns auf
einen Umstand aufmerksam zu machen, der uns Liberalen nicht oft genug eingeschärft
werden kann. Es ist an keinen politischen Fortschritt von Dauer und Bedeutung zu
denken, so lange nicht der Begriff der politischen Ehre sich in den Gemüthern aller
Bürger festgesetzt hat. Das mögen diejenigen wohl bedenken, die mit der „Allgemeinen
Zeitung" fortwährend die materiellen Interessen hervorheben, und das Ideelle als „hohle
Theorie" von der Hand weisen möchten. Man pflegt die Deutschen als Idealisten zu
verspotten; sie sind es im Gegentheil noch lange nicht genug. Aber das politische
Ehrgefühl hängt mit der Ehre überhaupt zusammen, und in diesem Sinn möchten wir
die Gleichheit, die unser Zeitalter mit Recht anstrebt, nicht so verstanden wissen, daß die
Populace den Adel absorbirt, sondern daß die Populacc sich zum Adel erhebt. Wir
werden nnr dann frei werden können, wen» wir unserer Würde bewußt sein werden; die
Freiheit ist inhaltlos ohne Ehre. Wenn wir erst etwas aus uns halten, wird das Heer
der Junker und der Bedienten auch etwas auf uns halten.


IV.
Felix Mendelssohn.

Elias ist gen Himmel gefahren! In dem Augenblicke, wo in allen deutschen Gro߬
städten Tausende von Künstlern und Kunstfreunden wetteifern um die neueste Tondichtung
des gefeierten Meisters mit der ihr gebührenden Würde und Großartigkeit in's Leben
zu führen, ist der Meister selbst in der Blüthe seines Mannesalters und seiner Schö¬
pfungskraft aus dem Leben geschieden. Am 4. November, Nachts zwischen 9 und 10
Uhr rang seine Seele sich los von den Dissonanzen dieser Erde, im 38. Jahre seines
Lebens. Woran er gestorben — wissen seine nächsten Freunde kaum zu bestimmen.
Seit dem Tode seiner Schwester, der in den Berliner Kreisen so hoch gefeierte Fanny
Heuselt, die im Mai d. I. mitten in einer ihrer berühmten mittinvl!« >mi5i(!ille>8 plötz¬
lich starb, hat er gekränkelt. Jener Tod war fast der erste große Schmerz, den er,
für den die Welt nur Glück und Harmonie gehabt, zu erleiden hatte und eben deshalb
unterlag er ihm.

Unter Millionen Menschen dürfte sich kaum Einer finden, dem das Glück von
seiner Wiege bis zu feinem Tode mit so ununterbrochenem Sonnenschein gelächelt wie
Felix Mendelssohn-Bartholdy. Ja, vor der Wiege schon hat es ihn begünstigt. Es
hat ihm einen in der deutschen Literatur und Culturgeschichte nicht blos gefeierten, son¬
dern auch beliebten Namen als Kranz an die Wiege gehängt, und dieses gefährliche
Geschenk, das den unbedeutenden Söhnen und Nachkommen berühmter Männer oft zur
erdrückenden Last wird, ist ihm ein freundlicher Stern gewesen, denn mit dem Namen
ward ihm auch das Genre verliehen, welches das Verdienst seines Großvaters noch
überbot. Neben dem Genie legte die Glücksgöttin auch noch Reichthum dem Knaben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/235>, abgerufen am 12.12.2024.