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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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In einem andern historisch-romantischen Gemälde von F. v. Rekowski:
Die Frauen von Culm (3 Bde. Altenburg, Helbig), das ebenfalls ein Glied
eines größeren Cyclus bildet, soll uns die preußische Vorzeit, und zwar des l3. Jahr¬
hunderts, veranschaulicht werden. Von diesem Cyclus ist vorher in demselben Ver¬
lage erschienen: Balgowe, eine Darstellung von dem Unabhängigkeitskrieg der
alten Preußen gegen den Orden. Der Verfasser hat ernste Studien gemacht, aber
er ist ohne plastisches Talent. Jene alte Zeit wird dadurch charakterisirt, daß die
moderne Denk- und Sprechweise in's Phantastische übertrieben wird und sich in
einem beständigen, ermüdenden Pathos ergeht. Wir lernen weder jene Zeit ken¬
nen -- denn ihre Auffassung geht von der romantischen Reflexion aus -- noch
werden wir in unmittelbare, gemüthliche Spannung versetzt, denn die Interessen
jener Zeit liegen uns zu fern, und "das ewige Lied der Liebe" wird von gar zu
ungelenken Kehlen angestimmt.

Ein gemüthliches Interesse hat dagegen ein socialer Roman aus der Gegenwart,
von Johannes Nordmann: Aurelie (Leipzig, Grunow. 2 Bde.) Er behandelt
den Conflict des natürlichen, unbefangenen Gefühls gegen die künstlichen Gesetze
der sittlichen Welt. Er predigt nicht das Evangelium der genialen Leidenschaft, das
die Bande des Rechts anstößt, aber er zeigt, wie auch in jener Sittlichkeit, wenn
sie hart und rigoristisch gefaßt wird, ein Unrecht, eine Einseitigkeit liegt, die zum
Verkehrten führt -- ein Thema, das bekanntlich Hebbel in seiner Maria Magda-
lena mit aller Gewalt seiner Poesie durchgeführt hat. Die beiden Hauptcharaktere
dieses Romans sind im Gegensatz gegen die gewöhnliche Weichlichkeit der Roman¬
helden hart und schroff, vielleicht zu abstract aufgefaßt; doch ist die Schilderung
ihrer Seelenzustände reich an trefflichen Apercus, und die Handlung interessirt
und spannt. In der Sprache hat auch dieser Dichter, wie die meisten Deutschen,
noch das stofflose Pathos zu überwinden.

Bunt, wie sie sich uns gerade darboten, haben wir diese Poesien des All¬
tagslebens dargestellt. Wenn uns Dichtungen aus der Gegenwart von größerem
Interesse ausstoßen, wollen wir sie folgen lassen. So viel hat sich wenigstens aus
diesem gezeigt, daß Tendenzen genug in der deutsche" Belletristik vorhanden sind,
daß aber allenthalben der künstlerischen Vollendung noch gar zu viel im Wege steht.


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In einem andern historisch-romantischen Gemälde von F. v. Rekowski:
Die Frauen von Culm (3 Bde. Altenburg, Helbig), das ebenfalls ein Glied
eines größeren Cyclus bildet, soll uns die preußische Vorzeit, und zwar des l3. Jahr¬
hunderts, veranschaulicht werden. Von diesem Cyclus ist vorher in demselben Ver¬
lage erschienen: Balgowe, eine Darstellung von dem Unabhängigkeitskrieg der
alten Preußen gegen den Orden. Der Verfasser hat ernste Studien gemacht, aber
er ist ohne plastisches Talent. Jene alte Zeit wird dadurch charakterisirt, daß die
moderne Denk- und Sprechweise in's Phantastische übertrieben wird und sich in
einem beständigen, ermüdenden Pathos ergeht. Wir lernen weder jene Zeit ken¬
nen — denn ihre Auffassung geht von der romantischen Reflexion aus — noch
werden wir in unmittelbare, gemüthliche Spannung versetzt, denn die Interessen
jener Zeit liegen uns zu fern, und „das ewige Lied der Liebe" wird von gar zu
ungelenken Kehlen angestimmt.

Ein gemüthliches Interesse hat dagegen ein socialer Roman aus der Gegenwart,
von Johannes Nordmann: Aurelie (Leipzig, Grunow. 2 Bde.) Er behandelt
den Conflict des natürlichen, unbefangenen Gefühls gegen die künstlichen Gesetze
der sittlichen Welt. Er predigt nicht das Evangelium der genialen Leidenschaft, das
die Bande des Rechts anstößt, aber er zeigt, wie auch in jener Sittlichkeit, wenn
sie hart und rigoristisch gefaßt wird, ein Unrecht, eine Einseitigkeit liegt, die zum
Verkehrten führt — ein Thema, das bekanntlich Hebbel in seiner Maria Magda-
lena mit aller Gewalt seiner Poesie durchgeführt hat. Die beiden Hauptcharaktere
dieses Romans sind im Gegensatz gegen die gewöhnliche Weichlichkeit der Roman¬
helden hart und schroff, vielleicht zu abstract aufgefaßt; doch ist die Schilderung
ihrer Seelenzustände reich an trefflichen Apercus, und die Handlung interessirt
und spannt. In der Sprache hat auch dieser Dichter, wie die meisten Deutschen,
noch das stofflose Pathos zu überwinden.

Bunt, wie sie sich uns gerade darboten, haben wir diese Poesien des All¬
tagslebens dargestellt. Wenn uns Dichtungen aus der Gegenwart von größerem
Interesse ausstoßen, wollen wir sie folgen lassen. So viel hat sich wenigstens aus
diesem gezeigt, daß Tendenzen genug in der deutsche» Belletristik vorhanden sind,
daß aber allenthalben der künstlerischen Vollendung noch gar zu viel im Wege steht.


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[0220] In einem andern historisch-romantischen Gemälde von F. v. Rekowski: Die Frauen von Culm (3 Bde. Altenburg, Helbig), das ebenfalls ein Glied eines größeren Cyclus bildet, soll uns die preußische Vorzeit, und zwar des l3. Jahr¬ hunderts, veranschaulicht werden. Von diesem Cyclus ist vorher in demselben Ver¬ lage erschienen: Balgowe, eine Darstellung von dem Unabhängigkeitskrieg der alten Preußen gegen den Orden. Der Verfasser hat ernste Studien gemacht, aber er ist ohne plastisches Talent. Jene alte Zeit wird dadurch charakterisirt, daß die moderne Denk- und Sprechweise in's Phantastische übertrieben wird und sich in einem beständigen, ermüdenden Pathos ergeht. Wir lernen weder jene Zeit ken¬ nen — denn ihre Auffassung geht von der romantischen Reflexion aus — noch werden wir in unmittelbare, gemüthliche Spannung versetzt, denn die Interessen jener Zeit liegen uns zu fern, und „das ewige Lied der Liebe" wird von gar zu ungelenken Kehlen angestimmt. Ein gemüthliches Interesse hat dagegen ein socialer Roman aus der Gegenwart, von Johannes Nordmann: Aurelie (Leipzig, Grunow. 2 Bde.) Er behandelt den Conflict des natürlichen, unbefangenen Gefühls gegen die künstlichen Gesetze der sittlichen Welt. Er predigt nicht das Evangelium der genialen Leidenschaft, das die Bande des Rechts anstößt, aber er zeigt, wie auch in jener Sittlichkeit, wenn sie hart und rigoristisch gefaßt wird, ein Unrecht, eine Einseitigkeit liegt, die zum Verkehrten führt — ein Thema, das bekanntlich Hebbel in seiner Maria Magda- lena mit aller Gewalt seiner Poesie durchgeführt hat. Die beiden Hauptcharaktere dieses Romans sind im Gegensatz gegen die gewöhnliche Weichlichkeit der Roman¬ helden hart und schroff, vielleicht zu abstract aufgefaßt; doch ist die Schilderung ihrer Seelenzustände reich an trefflichen Apercus, und die Handlung interessirt und spannt. In der Sprache hat auch dieser Dichter, wie die meisten Deutschen, noch das stofflose Pathos zu überwinden. Bunt, wie sie sich uns gerade darboten, haben wir diese Poesien des All¬ tagslebens dargestellt. Wenn uns Dichtungen aus der Gegenwart von größerem Interesse ausstoßen, wollen wir sie folgen lassen. So viel hat sich wenigstens aus diesem gezeigt, daß Tendenzen genug in der deutsche» Belletristik vorhanden sind, daß aber allenthalben der künstlerischen Vollendung noch gar zu viel im Wege steht. -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/220>, abgerufen am 22.07.2024.