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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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dieses nicht befriedigt wird, versinkt sie allmälig in die gemeinste Liederlichkeit.
Die Verfasserin glaubt sie auf diese Weise zu rechtfertigen, wenn sie z. B. ihren
Leib einem Banditen Preis gibt, der sie an einem Feinde rächen soll. Fort mit
dieser romantischen Doctrin der genialen Gemeinheit! Für eine gebildete Dame
ist es übrigens auffallend, daß dieser Roman, dessen stoffliches Interesse ihm gewiß
ein zahlreiches Publikum verschaffen wird, in einem Styl geschrieben ist, dem keine
Eigenschaft in geringerem Maaße beizulegen ist, als Eleganz. Wenn man diese ab¬
scheuliche Zeit sich versinnlichen will, so geht man doch lieber an die Quellen, an
die französischen Autoren selbst.

Die Deutschen haben in ihrer Geschichte unzweifelhaft charakteristische Züge
genug, die sich einer poetischen Fassung eben so gut nud besser anbequemen wür¬
den, als die liederlichen Zeiten einer Katharina von Medici. Von Zeit zu Zeit
werden auch Ansätze gemacht, um uns durch epische Schilderungen in unserer eignen
Geschichte eben so heimisch zu machen, als in den Straßen von Paris oder den
Prairien von Texas. Es tritt sogar unverkennbar das Streben hervor, das
eigentlich deutsche Wesen dem Inhalt wie der Form nach dem Auslande entgegen¬
zusetzen. Es fehlt aber unsern Dichtern in diesem Genre in der Regel theils die
allgemeine Bildung, die einen wirklich geistigen Inhalt in den empirischen Stoff
hineinzutragen vermochte, theils die objective Anschauung des wirklichen Lebens.
Der Meßkatalog bringt einige Versuche, welche die Minstrelharfe des Caledoni-
schen Barden zur Feier der deutschen Historie erklingen lassen.

Der eine derselben ist überschrieben: Die Lützower. Historischer Ro¬
man. (3 Bde. Berlin, l847. L. Schlesinger.)

Wenn sich an irgend eine Begebenheit das unmittelbare Interesse der Ge¬
genwart knüpfen läßt, so sind es die Freiheitskriege, die noch alljährlich in grün-
umlaubten Hallen mit Sieden, Toasten und materiellen Genüssen gefeiert werden.
Die Zeit war gewaltig genng, um ein größeres episches Interesse in ihr zu ver¬
arbeiten, und das Andenken an die Einzelheiten des Kampfes hat sich noch immer
so lebhaft erhalten, daß es einem echten Dichter leicht werden muß, durch indivi¬
duelle Frische und einen geschlossenen Nahmen das Völkergedränge in einem einzel¬
nen Bilde zu fixiren. Die Wahl des Gegenstandes wäre also zu loben, wenn
dor Dichter, statt sich in prosaischen Variationen auf Theodor-Körner'sche Themata
zu beschränken, sich Mühe gegeben hätte, wirkliche Personen und Begebenheiten
zu schildern. Ja es ließe sich selbst denken, daß das gespreizte Pathos, wovon
jene Zeit übervoll war, in die Darstellung aufgenommen wäre, wenn der Autor
sich uur selber frei gehalten hätte, wenn er im Stande wäre, das Hohle dessel¬
ben zu durchschauen, ohne der wahren Begeisterung damit irgend einen Abbruch
zu thun. Was sollen wir aber dazu sagen, wenn gleich ans den ersten Seiten
eine deutsche Jungfrau in einen Monolog ausbricht, der die gespreizte Phraseolo-


"Srenzbottn. IV. 1847- ^7

dieses nicht befriedigt wird, versinkt sie allmälig in die gemeinste Liederlichkeit.
Die Verfasserin glaubt sie auf diese Weise zu rechtfertigen, wenn sie z. B. ihren
Leib einem Banditen Preis gibt, der sie an einem Feinde rächen soll. Fort mit
dieser romantischen Doctrin der genialen Gemeinheit! Für eine gebildete Dame
ist es übrigens auffallend, daß dieser Roman, dessen stoffliches Interesse ihm gewiß
ein zahlreiches Publikum verschaffen wird, in einem Styl geschrieben ist, dem keine
Eigenschaft in geringerem Maaße beizulegen ist, als Eleganz. Wenn man diese ab¬
scheuliche Zeit sich versinnlichen will, so geht man doch lieber an die Quellen, an
die französischen Autoren selbst.

Die Deutschen haben in ihrer Geschichte unzweifelhaft charakteristische Züge
genug, die sich einer poetischen Fassung eben so gut nud besser anbequemen wür¬
den, als die liederlichen Zeiten einer Katharina von Medici. Von Zeit zu Zeit
werden auch Ansätze gemacht, um uns durch epische Schilderungen in unserer eignen
Geschichte eben so heimisch zu machen, als in den Straßen von Paris oder den
Prairien von Texas. Es tritt sogar unverkennbar das Streben hervor, das
eigentlich deutsche Wesen dem Inhalt wie der Form nach dem Auslande entgegen¬
zusetzen. Es fehlt aber unsern Dichtern in diesem Genre in der Regel theils die
allgemeine Bildung, die einen wirklich geistigen Inhalt in den empirischen Stoff
hineinzutragen vermochte, theils die objective Anschauung des wirklichen Lebens.
Der Meßkatalog bringt einige Versuche, welche die Minstrelharfe des Caledoni-
schen Barden zur Feier der deutschen Historie erklingen lassen.

Der eine derselben ist überschrieben: Die Lützower. Historischer Ro¬
man. (3 Bde. Berlin, l847. L. Schlesinger.)

Wenn sich an irgend eine Begebenheit das unmittelbare Interesse der Ge¬
genwart knüpfen läßt, so sind es die Freiheitskriege, die noch alljährlich in grün-
umlaubten Hallen mit Sieden, Toasten und materiellen Genüssen gefeiert werden.
Die Zeit war gewaltig genng, um ein größeres episches Interesse in ihr zu ver¬
arbeiten, und das Andenken an die Einzelheiten des Kampfes hat sich noch immer
so lebhaft erhalten, daß es einem echten Dichter leicht werden muß, durch indivi¬
duelle Frische und einen geschlossenen Nahmen das Völkergedränge in einem einzel¬
nen Bilde zu fixiren. Die Wahl des Gegenstandes wäre also zu loben, wenn
dor Dichter, statt sich in prosaischen Variationen auf Theodor-Körner'sche Themata
zu beschränken, sich Mühe gegeben hätte, wirkliche Personen und Begebenheiten
zu schildern. Ja es ließe sich selbst denken, daß das gespreizte Pathos, wovon
jene Zeit übervoll war, in die Darstellung aufgenommen wäre, wenn der Autor
sich uur selber frei gehalten hätte, wenn er im Stande wäre, das Hohle dessel¬
ben zu durchschauen, ohne der wahren Begeisterung damit irgend einen Abbruch
zu thun. Was sollen wir aber dazu sagen, wenn gleich ans den ersten Seiten
eine deutsche Jungfrau in einen Monolog ausbricht, der die gespreizte Phraseolo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/217>, abgerufen am 25.08.2024.