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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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geworden, nur uneigennütziger und wirklich jeder Forderung entsagend. Nicht
blos mit Menschen ist es mir aber so, auch an das Schicksal mache ich keine
Forderung. Ich würde Ungemach wie ein Anderer fühlen, das läßt sich aus der
menschlichen Natur nicht ausrotten. Entbehrung bleibt Entbehrung und Schmerz
bleibt Schmerz. Aber den Frieden meiner Seele würden sie mir nicht nehmen,
das würde der Gedanke verhindern, daß solche Ereignisse und Zustände natürliche
Begleiter des menschlichen Lebens sind, und daß eS uicht geziemend wäre, in einem
langen Leben nicht einmal die Kraft gewonnen zu haben, seine höhere und bessere
Natur gegen sie aufrecht erhalten zu können."

Das ist der Friede der Resignation, die Freiheit des Gemüths von irdischen
Dingen. Frei ist, wer nichts bedarf; frei, wer sein Herz an das Endliche nicht
hängt. "Das allein ist der Friede, den die Welt nicht gibt; ein unübertrefflicher
Ausdruck. Was diesem Frieden angehört, ist von der Welt, dem äußern Gluck
und dem äußern Genuß geschieden, es stammt von einer unsichtbaren Macht her,
allein die Gesinnung muß im Gemüthe vorhanden sein, daß man sein ganzes
inneres Wesen von der Welt trennt, daß man uicht auf äußeres Glück Anspruch
macht, daß man nur die hohe Seelenruhe sucht, die auf dem Leben in Demuth
und innerem Gehorsam wie in einer klippenlosen stillen Wasserfläche ihre Sicher¬
heit findet. Die bloße Ausübung der Pflicht reicht dazu uicht hin, die Unter¬
ordnung des selbstischen Daseins unter das Gesetz und noch weit mehr unter das
Anerkenntniß der höchsten alles beherrschenden und alles durchdringenden Liebe
muß so vorwaltend sein, daß das ganze Wesen darin aufgelöst ist. Nur bei dieser
Gesinnung kann man den von Jesus dargebotenen Frieden sich aneignen. Denn
es wäre eine ganz irrige Auslegung der schonen biblischen Stelle, wenn man glau¬
ben könnte, der himmlische Friede senkte sich so von selbst und ohne alles Zuthun
auf deu Meuscheu herab. Wohl zwar senkt er sich also nieder, er kann nicht
durch Werke verdient, nicht gleichsam wie Erdengüter durch eigenes Thun erwor¬
ben werden. Er ist eine freie, himmlische, immer nur der Gnade entströmende
Gabe. Allein der Mensch kann sie nicht erfassen ohne jene Gesinnung, er kann
des Himmlischen uicht theilhaftig werden, so lange er irdisches Glück sucht. Be¬
sitzt er aber diese Gesinnung, so ist er wieder jenes Friedens gewiß, denn es ist
recht eigentlich von den himmlischen Gaben ein wahres Wort, daß denen gegeben
wnd, die da haben. Das Irdische muß schon, so viel es die schwache Kraft
vermag , das Himmlische angezogen haben, wenn es ihm wahrhaft zu Theil wer¬
den soll. Ans diese Weise hängt der innere Friede immer vom Menschen selbst
ab, der Mensch braucht zu seinem Glücke im wahren Verstände nichts als ihn,
und er braucht, um thu zu besitzen, nichts als sich."

Eine solche Freiheit ist nicht Theilnahmlosigkeit, nicht Erstorbenheit der Ge¬
fühle; der wahrhaft gebildete Mensch wird den Genuß so wenig verschmähen als
die Thätigkeit, aber er wird nicht ihr Sklave sein. "Sie wundern sich, daß eine
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geworden, nur uneigennütziger und wirklich jeder Forderung entsagend. Nicht
blos mit Menschen ist es mir aber so, auch an das Schicksal mache ich keine
Forderung. Ich würde Ungemach wie ein Anderer fühlen, das läßt sich aus der
menschlichen Natur nicht ausrotten. Entbehrung bleibt Entbehrung und Schmerz
bleibt Schmerz. Aber den Frieden meiner Seele würden sie mir nicht nehmen,
das würde der Gedanke verhindern, daß solche Ereignisse und Zustände natürliche
Begleiter des menschlichen Lebens sind, und daß eS uicht geziemend wäre, in einem
langen Leben nicht einmal die Kraft gewonnen zu haben, seine höhere und bessere
Natur gegen sie aufrecht erhalten zu können."

Das ist der Friede der Resignation, die Freiheit des Gemüths von irdischen
Dingen. Frei ist, wer nichts bedarf; frei, wer sein Herz an das Endliche nicht
hängt. „Das allein ist der Friede, den die Welt nicht gibt; ein unübertrefflicher
Ausdruck. Was diesem Frieden angehört, ist von der Welt, dem äußern Gluck
und dem äußern Genuß geschieden, es stammt von einer unsichtbaren Macht her,
allein die Gesinnung muß im Gemüthe vorhanden sein, daß man sein ganzes
inneres Wesen von der Welt trennt, daß man uicht auf äußeres Glück Anspruch
macht, daß man nur die hohe Seelenruhe sucht, die auf dem Leben in Demuth
und innerem Gehorsam wie in einer klippenlosen stillen Wasserfläche ihre Sicher¬
heit findet. Die bloße Ausübung der Pflicht reicht dazu uicht hin, die Unter¬
ordnung des selbstischen Daseins unter das Gesetz und noch weit mehr unter das
Anerkenntniß der höchsten alles beherrschenden und alles durchdringenden Liebe
muß so vorwaltend sein, daß das ganze Wesen darin aufgelöst ist. Nur bei dieser
Gesinnung kann man den von Jesus dargebotenen Frieden sich aneignen. Denn
es wäre eine ganz irrige Auslegung der schonen biblischen Stelle, wenn man glau¬
ben könnte, der himmlische Friede senkte sich so von selbst und ohne alles Zuthun
auf deu Meuscheu herab. Wohl zwar senkt er sich also nieder, er kann nicht
durch Werke verdient, nicht gleichsam wie Erdengüter durch eigenes Thun erwor¬
ben werden. Er ist eine freie, himmlische, immer nur der Gnade entströmende
Gabe. Allein der Mensch kann sie nicht erfassen ohne jene Gesinnung, er kann
des Himmlischen uicht theilhaftig werden, so lange er irdisches Glück sucht. Be¬
sitzt er aber diese Gesinnung, so ist er wieder jenes Friedens gewiß, denn es ist
recht eigentlich von den himmlischen Gaben ein wahres Wort, daß denen gegeben
wnd, die da haben. Das Irdische muß schon, so viel es die schwache Kraft
vermag , das Himmlische angezogen haben, wenn es ihm wahrhaft zu Theil wer¬
den soll. Ans diese Weise hängt der innere Friede immer vom Menschen selbst
ab, der Mensch braucht zu seinem Glücke im wahren Verstände nichts als ihn,
und er braucht, um thu zu besitzen, nichts als sich."

Eine solche Freiheit ist nicht Theilnahmlosigkeit, nicht Erstorbenheit der Ge¬
fühle; der wahrhaft gebildete Mensch wird den Genuß so wenig verschmähen als
die Thätigkeit, aber er wird nicht ihr Sklave sein. „Sie wundern sich, daß eine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/155>, abgerufen am 22.07.2024.