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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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übereinstimmenden Erzählungen Erwachsener ans den Schuljahren dabei ziemlich
allgemein ein infamer Unfug getrieben worden. In den Ncpctitoricn zur öffent¬
lichen Prüfung sagten die schamlosesten Lehrer den Zöglingen geradezu, worauf
sie zu antworten haben würden; die delikateren wiederholten dieselben Fragen
Einem so oft, daß die Schüler das anch vollkommen verstanden. Außerdem war
es nachtheilig, den sicht-, hör- und fühlbaren Wünschen des Direktors entgegen
zu handeln; von dein Abiturientenzengnissc hängt häufig die ganze Zukunft eines
jungen Menschen ab, und die Angehörigen untcrstscheu dieserhalb ihre desfallsigen
Bitten bei dem Chef der Anstalt oft mit Banknoten, Silbergeschirr, Hafer für
die Pferde :e., der es nachher nicht über's Herz bringen kann, die Carriere des
Jungen durch ein schlechtes Testimonium zu verderben. Es muß auch noch zu¬
gefügt werden, daß der moralische Höhepunkt deö Lehrerstandes (einzelne Ehren¬
männer ausgenommen) nicht einmal zu einer Verwunderung darüber berechtigt,
da leider auch hier Rang und Orden, sicher für sieben oder acht uuter zehn die
irdische Glückseligkeit ausmachen. Mir selber sagte der Inspector einer Privat¬
anstalt, der nur wegen des Ranges deutschen Unterricht an einem Cadettcncorps
gab, völlig wahr: "die Stunden sind mir höchst ennuyant, aber Sie wissen, wes¬
halb ich sie übernommen, und ich gehe auch nnr so hin" -- gewiß mit in der
Absicht, mich aufmerksam zu machen, daß ein Inspector gar nicht oder anders
unterrichte wie ein Lehrer. Kopf und Herz werden dnrch diese wenigen Worte
hinreichend geschildert, und obgleich, meines Wissens, von ersterem nur drei Per¬
sonen etwas halten, seine Frau, ein gelehrter General i" ni' (den ich Euch später
v" t!t!l.i,II beschreibt) und eine verwittwete Kuptschicha') -- so lehrt er doch hier
und inspicirt dort; es leuchtet Euch also ein, daß ein solcher Mensch ohne viel
Umstände zu obigen Mittel greift, um bei öffentlichen Prüfungen die Wahrheit
zu verhehlen und irgend welche Anerkennung zu erHaschen. Wollte man jedoch dieses
Uebel wirklich vermeiden, so könnte das einfach vom Direktor geschehen; er braucht
nicht einmal selbst Fragen zu thun (das könnte oft große Verlegenheiten für die
Anstalt herbeiführen!), sondern nnr die vom Lehrer gestellten durch einen andern
Schüler beantworten lassen, als den aufgerufenen. Allein darum handelt es sich
nicht, und deshalb wurde ein anderer Weg gewählt, der Lehrer mich die Fragen
aus seiner Parthie ans einzelne, laufend numerirte Zettel schreiben und aus diesen
der Schüler loosähnlich welche herausziehen. Nun that die Mehrzahl der Lehrer
dies gleich beim Anfange des Cursus, und ans leicht ersichtlichen Gründen schmolz
dieser auf eine Anzahl Fragen und scheinbar gediegenen Antworten zusammen!
Rechnet hierzu noch, daß bei den vielen Gegenständen manche Disciplin, die für



*) Kaufen-mnsfrau. Am Scherz.- gebraucht, hat der Ausdruck den Nebenbegriff, daß ihr
größter Werth in schwammiger Dicke, in hängendem Fette bestehe. Deutsch wüßte ich den Be¬
griff nur mit "quabbelig" zu bezeichne", weil Adelung behauptet: "von Fette quabbeln" werde
von Personen und Thieren gesagt.

übereinstimmenden Erzählungen Erwachsener ans den Schuljahren dabei ziemlich
allgemein ein infamer Unfug getrieben worden. In den Ncpctitoricn zur öffent¬
lichen Prüfung sagten die schamlosesten Lehrer den Zöglingen geradezu, worauf
sie zu antworten haben würden; die delikateren wiederholten dieselben Fragen
Einem so oft, daß die Schüler das anch vollkommen verstanden. Außerdem war
es nachtheilig, den sicht-, hör- und fühlbaren Wünschen des Direktors entgegen
zu handeln; von dein Abiturientenzengnissc hängt häufig die ganze Zukunft eines
jungen Menschen ab, und die Angehörigen untcrstscheu dieserhalb ihre desfallsigen
Bitten bei dem Chef der Anstalt oft mit Banknoten, Silbergeschirr, Hafer für
die Pferde :e., der es nachher nicht über's Herz bringen kann, die Carriere des
Jungen durch ein schlechtes Testimonium zu verderben. Es muß auch noch zu¬
gefügt werden, daß der moralische Höhepunkt deö Lehrerstandes (einzelne Ehren¬
männer ausgenommen) nicht einmal zu einer Verwunderung darüber berechtigt,
da leider auch hier Rang und Orden, sicher für sieben oder acht uuter zehn die
irdische Glückseligkeit ausmachen. Mir selber sagte der Inspector einer Privat¬
anstalt, der nur wegen des Ranges deutschen Unterricht an einem Cadettcncorps
gab, völlig wahr: „die Stunden sind mir höchst ennuyant, aber Sie wissen, wes¬
halb ich sie übernommen, und ich gehe auch nnr so hin" — gewiß mit in der
Absicht, mich aufmerksam zu machen, daß ein Inspector gar nicht oder anders
unterrichte wie ein Lehrer. Kopf und Herz werden dnrch diese wenigen Worte
hinreichend geschildert, und obgleich, meines Wissens, von ersterem nur drei Per¬
sonen etwas halten, seine Frau, ein gelehrter General i» ni' (den ich Euch später
v» t!t!l.i,II beschreibt) und eine verwittwete Kuptschicha') — so lehrt er doch hier
und inspicirt dort; es leuchtet Euch also ein, daß ein solcher Mensch ohne viel
Umstände zu obigen Mittel greift, um bei öffentlichen Prüfungen die Wahrheit
zu verhehlen und irgend welche Anerkennung zu erHaschen. Wollte man jedoch dieses
Uebel wirklich vermeiden, so könnte das einfach vom Direktor geschehen; er braucht
nicht einmal selbst Fragen zu thun (das könnte oft große Verlegenheiten für die
Anstalt herbeiführen!), sondern nnr die vom Lehrer gestellten durch einen andern
Schüler beantworten lassen, als den aufgerufenen. Allein darum handelt es sich
nicht, und deshalb wurde ein anderer Weg gewählt, der Lehrer mich die Fragen
aus seiner Parthie ans einzelne, laufend numerirte Zettel schreiben und aus diesen
der Schüler loosähnlich welche herausziehen. Nun that die Mehrzahl der Lehrer
dies gleich beim Anfange des Cursus, und ans leicht ersichtlichen Gründen schmolz
dieser auf eine Anzahl Fragen und scheinbar gediegenen Antworten zusammen!
Rechnet hierzu noch, daß bei den vielen Gegenständen manche Disciplin, die für



*) Kaufen-mnsfrau. Am Scherz.- gebraucht, hat der Ausdruck den Nebenbegriff, daß ihr
größter Werth in schwammiger Dicke, in hängendem Fette bestehe. Deutsch wüßte ich den Be¬
griff nur mit „quabbelig" zu bezeichne», weil Adelung behauptet: „von Fette quabbeln" werde
von Personen und Thieren gesagt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/110>, abgerufen am 24.08.2024.