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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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gen uns Feuer zur Cigarre, und wiesen auf die schönsten Punkte der
Umgegend hin. Mit einem Wort, sie machten die Honneurs von
Belgien.

Ich weiß nicht, wie oft das Posthorn klang, eh' wir nach Lüttich
kamen. Dieser Posthornklang ist buchstäblich zu nehmen. Nach jedem
Halt auf einer Station wird den Dampfrossen das Zeichen zur Weiter¬
fahrt mit einer Trompete gegeben, was lieblich im Vesderthal wider¬
hallte und wunderlich zum Kreischen der Maschine klang. Unsere Fahrt
glich unter den Blitzen am fernen Horizont, dem Rauschen des Abend¬
winds, dem Gesang und Lachen der wallonischen Frauen und Madchen,
die jetzt häufig aus- und einstiegen, den staunenden Ausrufungen der
Fremden, einem Fest- und Freudenzug. Grad nach der deutschen Seite
zu hat Belgien seine wallonischen Thore zu einer Triumphpforte ge¬
macht, die den überraschten Wanderer in ein Feenland zu führen scheint;
allein auch hier hat es alle Zauber seiner wunderbaren Industrie er¬
schöpft zwischen Aachen und Lüttich, wo die Eisenbahn ihre romantischen
Momente hat. Wer des Abends im Vesderthale stünde und sähe hoch
oben den Kampfwagen vorüberbrausen, müßte ihn einer Schlange mir
feurigem Bauch vergleichen, die bald unter, bald über der Erde und
bald durch die Luft' dahin schießt; bald verschwindet sie im Felsen des
Gebirges und kommt nach sechs Minuten in einer Entfernung von drei¬
viertel Stunden weiter heraus, um über die schlanken Pfeiler eines Via"
duces, hoch über den Dächern eines friedlichen Dörfchens, dahinzugleiten.
Die zahllosen Tunnels, die Viaducte und Brücken können sich den kühn¬
sten Römerwerken an die Seite stellen. Der Dampffahrer selbst bemerkt
nur manchmal, auf welch schwindelnden Stegen sein Fuhrwerk mit ihm
forteilt; sein Blick wird abgezogen durch das bunte Gemisch niedlicher
Landhäuser, idyllischer Dörflein in grünen Thalwinkeln, einsamer Hütten
und blitzender Flußkrümmungen, die tief unter ihm vorbeifliegen, wah¬
rend die bewaldeten Vergspitzen mit ihren Schlössern, Kirchen oder Thurm¬
trümmern ihm langer im Auge bleiben.

Wir kamen so spät nach Lüttich, daß wir von dem imposanten An¬
blick, den die alterthümliche Stadt von Guillemins aus gewährt, nur
eine dämmernde Erinnerung geblieben ist. Nur im Wetterleuchten
wurden auf einen Augenblick dann und wann die Thürme von Lüttich
sichtbar, jene finsteren Thürme, von denen so oft die Sturmglocke scholl
in den Kriegen zwischen den Bürgern und ihren souveränen Bischöfen.
Die guten Lütticher scheinen auch keine Sehnsucht nach solch geistlichem
Hofstaat zu empfinden. Vielmehr sind es die entschiedenen" Kämpfer ge¬
gen die "katholische Partei." Ob diese Stimmung in ihrer fürstbischöf¬
lichen Vorzeit wurzelt?! Wer kann dies sagen? Auch Cöln war einst
fürstbischöslich und ist doch immer noch strengkatholisch.


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gen uns Feuer zur Cigarre, und wiesen auf die schönsten Punkte der
Umgegend hin. Mit einem Wort, sie machten die Honneurs von
Belgien.

Ich weiß nicht, wie oft das Posthorn klang, eh' wir nach Lüttich
kamen. Dieser Posthornklang ist buchstäblich zu nehmen. Nach jedem
Halt auf einer Station wird den Dampfrossen das Zeichen zur Weiter¬
fahrt mit einer Trompete gegeben, was lieblich im Vesderthal wider¬
hallte und wunderlich zum Kreischen der Maschine klang. Unsere Fahrt
glich unter den Blitzen am fernen Horizont, dem Rauschen des Abend¬
winds, dem Gesang und Lachen der wallonischen Frauen und Madchen,
die jetzt häufig aus- und einstiegen, den staunenden Ausrufungen der
Fremden, einem Fest- und Freudenzug. Grad nach der deutschen Seite
zu hat Belgien seine wallonischen Thore zu einer Triumphpforte ge¬
macht, die den überraschten Wanderer in ein Feenland zu führen scheint;
allein auch hier hat es alle Zauber seiner wunderbaren Industrie er¬
schöpft zwischen Aachen und Lüttich, wo die Eisenbahn ihre romantischen
Momente hat. Wer des Abends im Vesderthale stünde und sähe hoch
oben den Kampfwagen vorüberbrausen, müßte ihn einer Schlange mir
feurigem Bauch vergleichen, die bald unter, bald über der Erde und
bald durch die Luft' dahin schießt; bald verschwindet sie im Felsen des
Gebirges und kommt nach sechs Minuten in einer Entfernung von drei¬
viertel Stunden weiter heraus, um über die schlanken Pfeiler eines Via»
duces, hoch über den Dächern eines friedlichen Dörfchens, dahinzugleiten.
Die zahllosen Tunnels, die Viaducte und Brücken können sich den kühn¬
sten Römerwerken an die Seite stellen. Der Dampffahrer selbst bemerkt
nur manchmal, auf welch schwindelnden Stegen sein Fuhrwerk mit ihm
forteilt; sein Blick wird abgezogen durch das bunte Gemisch niedlicher
Landhäuser, idyllischer Dörflein in grünen Thalwinkeln, einsamer Hütten
und blitzender Flußkrümmungen, die tief unter ihm vorbeifliegen, wah¬
rend die bewaldeten Vergspitzen mit ihren Schlössern, Kirchen oder Thurm¬
trümmern ihm langer im Auge bleiben.

Wir kamen so spät nach Lüttich, daß wir von dem imposanten An¬
blick, den die alterthümliche Stadt von Guillemins aus gewährt, nur
eine dämmernde Erinnerung geblieben ist. Nur im Wetterleuchten
wurden auf einen Augenblick dann und wann die Thürme von Lüttich
sichtbar, jene finsteren Thürme, von denen so oft die Sturmglocke scholl
in den Kriegen zwischen den Bürgern und ihren souveränen Bischöfen.
Die guten Lütticher scheinen auch keine Sehnsucht nach solch geistlichem
Hofstaat zu empfinden. Vielmehr sind es die entschiedenen" Kämpfer ge¬
gen die „katholische Partei." Ob diese Stimmung in ihrer fürstbischöf¬
lichen Vorzeit wurzelt?! Wer kann dies sagen? Auch Cöln war einst
fürstbischöslich und ist doch immer noch strengkatholisch.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/75>, abgerufen am 23.07.2024.