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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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kräftiget sich das Gewerbe, der Verkehr, der Unternehmungsgeist; nimmt sich
auch diese Branche zuweilen was heraus, drückt man ihr gegenüber
zuweilen auch ein Auge zu, weil man sie braucht und ihres Endpro-
ductes, des Geldes, nicht entrathen kann, so ist doch ihren Händen lei¬
der nur der materiellste Theil der Regierung anheimgegeben, indeß die
andere Hälfte des Gespannes am Staatswagen noch ganz der alten Zeit,
den hohen Geschlechtern angehört, in ihren Gestalten großgezogen ist und
daher die Widersprüche in unsern Maßregeln, darum kommt die Staats-
carvsse nicht vorwärts und hat noch immer die alte deutsche Postschnecke
zum Vorbild.

Für Belebung des böhmischen Verkehrs wurde auf thätige Verwen¬
dung unseres Hanvelsstandes von der Finanzverwaltung Ersprießliches ge¬
than, man gestattete, daß die Wiener Bank hier ein Filiale errichte und
den hiesigen Operationen vorläufig zwei Millionen widme. -- Daß man
gleichzeitig für eine Million Gulden Centralcassenanweisungen hier aus¬
zugeben gestattete, welche auf sechs Monate gestellt, die Zinsen zu Ä Pro¬
cent im Voraus discontiren, war eine ganz kluge praktische Maßregel, doch
hat man sie -- etwas allzupathctisch -- als einen Gnadenact bezeich¬
net. Der Staat macht eine schwebende Schuld zu drei Procent Zin¬
sen, ohne Opfer, das ist, denk' ich, gleich vortheilhaft für den Staat,
wie für den Privaten, drum ist da nichts zu loben und zu preisen, wohl
aber das Praktische, das Gesunde der Maßregel vollkommen anzuerkennen.
Dagegen hat der andere Regierungsarm die von böhmischen Ständen
gemachten Anträge zurückgewiesen, nicht sowohl der Anträge als der
Stände wegen. Zu bedauern ist es, daß die Stände sich früher un¬
fruchtbarer Formen wegen so oppositionell gestellt, statt durch praktische
Anträge die öffentliche Meinung und den Boden für sich zu gewinnen, wel¬
cher nun ganz verloren scheint. Die beantragte Hypothekenbank käme
wohl zu Stande, weil die Regierung das Bedürfniß einer solchen wohl
anerkannte, leider aber haben die Mängel des Entwurfs manchen Anhaltepunkt
für ablehnenden Bescheid geboten. Ein weiterer Antrag, große Gebäude zur
Unterbringung der arbeitenden Classe und ihrer Verpflegung auf Actien
zu errichten, wobei die Stände als Corporation sich betheiligen wollten,
ward abgewiesen -- weil es nicht räthlich sei, die arbeitende Classe zu
centralistren--und weil eine Aktiengesellschaft eine "Gesellschaft, die auf
Gewinn ausgehe, der armen arbeitenden Classe gegenüber, eine unmora-
lische Tendenz verrathe", und doch war die Tendenz ausgesprochen, den
Arbeitern wohlfeile Wohnung, Wärme, Nahrung, Beleuchtung, zu er¬
möglichen, zugleich für gemeinsame Wartung der Kinder und ihren Un¬
terricht zu sorgen. Strenge Pflicht ist es übrigens, zu verkünden, daß
dieser leider zurückgeworfene Antrag ursprünglich von demselben Standes¬
herrn ausging, welcher sich in Ur. 37 d. Bl. fo schroff und irrsam ge¬
gen die Steuererleichterung des Bauers aussprach; daß der Mensch bald
warm bald kalt zu blasen verstehe, besprach schon die Fabel, der Räthsel
-- w-- größtes ist ja der Mensch.


kräftiget sich das Gewerbe, der Verkehr, der Unternehmungsgeist; nimmt sich
auch diese Branche zuweilen was heraus, drückt man ihr gegenüber
zuweilen auch ein Auge zu, weil man sie braucht und ihres Endpro-
ductes, des Geldes, nicht entrathen kann, so ist doch ihren Händen lei¬
der nur der materiellste Theil der Regierung anheimgegeben, indeß die
andere Hälfte des Gespannes am Staatswagen noch ganz der alten Zeit,
den hohen Geschlechtern angehört, in ihren Gestalten großgezogen ist und
daher die Widersprüche in unsern Maßregeln, darum kommt die Staats-
carvsse nicht vorwärts und hat noch immer die alte deutsche Postschnecke
zum Vorbild.

Für Belebung des böhmischen Verkehrs wurde auf thätige Verwen¬
dung unseres Hanvelsstandes von der Finanzverwaltung Ersprießliches ge¬
than, man gestattete, daß die Wiener Bank hier ein Filiale errichte und
den hiesigen Operationen vorläufig zwei Millionen widme. — Daß man
gleichzeitig für eine Million Gulden Centralcassenanweisungen hier aus¬
zugeben gestattete, welche auf sechs Monate gestellt, die Zinsen zu Ä Pro¬
cent im Voraus discontiren, war eine ganz kluge praktische Maßregel, doch
hat man sie — etwas allzupathctisch — als einen Gnadenact bezeich¬
net. Der Staat macht eine schwebende Schuld zu drei Procent Zin¬
sen, ohne Opfer, das ist, denk' ich, gleich vortheilhaft für den Staat,
wie für den Privaten, drum ist da nichts zu loben und zu preisen, wohl
aber das Praktische, das Gesunde der Maßregel vollkommen anzuerkennen.
Dagegen hat der andere Regierungsarm die von böhmischen Ständen
gemachten Anträge zurückgewiesen, nicht sowohl der Anträge als der
Stände wegen. Zu bedauern ist es, daß die Stände sich früher un¬
fruchtbarer Formen wegen so oppositionell gestellt, statt durch praktische
Anträge die öffentliche Meinung und den Boden für sich zu gewinnen, wel¬
cher nun ganz verloren scheint. Die beantragte Hypothekenbank käme
wohl zu Stande, weil die Regierung das Bedürfniß einer solchen wohl
anerkannte, leider aber haben die Mängel des Entwurfs manchen Anhaltepunkt
für ablehnenden Bescheid geboten. Ein weiterer Antrag, große Gebäude zur
Unterbringung der arbeitenden Classe und ihrer Verpflegung auf Actien
zu errichten, wobei die Stände als Corporation sich betheiligen wollten,
ward abgewiesen — weil es nicht räthlich sei, die arbeitende Classe zu
centralistren—und weil eine Aktiengesellschaft eine „Gesellschaft, die auf
Gewinn ausgehe, der armen arbeitenden Classe gegenüber, eine unmora-
lische Tendenz verrathe", und doch war die Tendenz ausgesprochen, den
Arbeitern wohlfeile Wohnung, Wärme, Nahrung, Beleuchtung, zu er¬
möglichen, zugleich für gemeinsame Wartung der Kinder und ihren Un¬
terricht zu sorgen. Strenge Pflicht ist es übrigens, zu verkünden, daß
dieser leider zurückgeworfene Antrag ursprünglich von demselben Standes¬
herrn ausging, welcher sich in Ur. 37 d. Bl. fo schroff und irrsam ge¬
gen die Steuererleichterung des Bauers aussprach; daß der Mensch bald
warm bald kalt zu blasen verstehe, besprach schon die Fabel, der Räthsel
— w— größtes ist ja der Mensch.


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[0565] kräftiget sich das Gewerbe, der Verkehr, der Unternehmungsgeist; nimmt sich auch diese Branche zuweilen was heraus, drückt man ihr gegenüber zuweilen auch ein Auge zu, weil man sie braucht und ihres Endpro- ductes, des Geldes, nicht entrathen kann, so ist doch ihren Händen lei¬ der nur der materiellste Theil der Regierung anheimgegeben, indeß die andere Hälfte des Gespannes am Staatswagen noch ganz der alten Zeit, den hohen Geschlechtern angehört, in ihren Gestalten großgezogen ist und daher die Widersprüche in unsern Maßregeln, darum kommt die Staats- carvsse nicht vorwärts und hat noch immer die alte deutsche Postschnecke zum Vorbild. Für Belebung des böhmischen Verkehrs wurde auf thätige Verwen¬ dung unseres Hanvelsstandes von der Finanzverwaltung Ersprießliches ge¬ than, man gestattete, daß die Wiener Bank hier ein Filiale errichte und den hiesigen Operationen vorläufig zwei Millionen widme. — Daß man gleichzeitig für eine Million Gulden Centralcassenanweisungen hier aus¬ zugeben gestattete, welche auf sechs Monate gestellt, die Zinsen zu Ä Pro¬ cent im Voraus discontiren, war eine ganz kluge praktische Maßregel, doch hat man sie — etwas allzupathctisch — als einen Gnadenact bezeich¬ net. Der Staat macht eine schwebende Schuld zu drei Procent Zin¬ sen, ohne Opfer, das ist, denk' ich, gleich vortheilhaft für den Staat, wie für den Privaten, drum ist da nichts zu loben und zu preisen, wohl aber das Praktische, das Gesunde der Maßregel vollkommen anzuerkennen. Dagegen hat der andere Regierungsarm die von böhmischen Ständen gemachten Anträge zurückgewiesen, nicht sowohl der Anträge als der Stände wegen. Zu bedauern ist es, daß die Stände sich früher un¬ fruchtbarer Formen wegen so oppositionell gestellt, statt durch praktische Anträge die öffentliche Meinung und den Boden für sich zu gewinnen, wel¬ cher nun ganz verloren scheint. Die beantragte Hypothekenbank käme wohl zu Stande, weil die Regierung das Bedürfniß einer solchen wohl anerkannte, leider aber haben die Mängel des Entwurfs manchen Anhaltepunkt für ablehnenden Bescheid geboten. Ein weiterer Antrag, große Gebäude zur Unterbringung der arbeitenden Classe und ihrer Verpflegung auf Actien zu errichten, wobei die Stände als Corporation sich betheiligen wollten, ward abgewiesen — weil es nicht räthlich sei, die arbeitende Classe zu centralistren—und weil eine Aktiengesellschaft eine „Gesellschaft, die auf Gewinn ausgehe, der armen arbeitenden Classe gegenüber, eine unmora- lische Tendenz verrathe", und doch war die Tendenz ausgesprochen, den Arbeitern wohlfeile Wohnung, Wärme, Nahrung, Beleuchtung, zu er¬ möglichen, zugleich für gemeinsame Wartung der Kinder und ihren Un¬ terricht zu sorgen. Strenge Pflicht ist es übrigens, zu verkünden, daß dieser leider zurückgeworfene Antrag ursprünglich von demselben Standes¬ herrn ausging, welcher sich in Ur. 37 d. Bl. fo schroff und irrsam ge¬ gen die Steuererleichterung des Bauers aussprach; daß der Mensch bald warm bald kalt zu blasen verstehe, besprach schon die Fabel, der Räthsel — w— größtes ist ja der Mensch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/565>, abgerufen am 23.07.2024.