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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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abhacken heilen. Die Frankfurter Polizei hat diesen Zweig der Ver¬
waltung vervollkommnet. Einige Tage nach dem Volksauflaufe, der
gegen die Juden gerichtet war, ging ein jüdischer Hühneraugenschnei¬
der nach dem Dorfe Bornheim, wo er seit vielen Jahren als unaus¬
bleiblicher Sonntagsgast bekannt ist. Da das Wirthshaus, wo er ein¬
kehrte, nur von dem gebildeten Bürgerstande und von keinen fremden
Handwerksburschen besucht wird, die ja, wie Jedermann weiß, allein
an den Unruhen Theil genommen, so blieb unser israelitischer Fußarzt
ungeneckt, trank ruhig seinen Wein und begab sich hierauf nach Hause.
Auf dem Rückwege begegnete ihm ein reitender Polizei-Beamte, der
ihm befiehlt, sich den folgenden Tag auf dem Amte einzufinden. Dort
erschienen, wird ihm sein Leichtsinn, sich unter Christen zu mischen, vor¬
gehalten, und ihm, damit Reibungen verhütet werden mögen, der Be¬
such Bornheims untersagt. Einen Tag später begegnet unser Jude
dem nämlichen Polizei-Beamten in der Stadt, und sagte demselben
(nämlich wie der Polizei-Beamte behauptet), er werde doch wieder
nach Bornheim gehen. Vorladung den andern Tag -- auf's Poli¬
zeiamt? Nein, auf's Polizeigefängniß. Dort wird ihm verkün¬
digt, er müsse 24 Stunden eingekerkert bleiben, zur Strafe, daß er ge¬
sagt, er werde dem Befehle, Bornheim zu meiden, nicht gehorchen.
Das Urtheil ward auch sogleich vollstreckt. --

Ueber dieses Verfahren radelnd zu reden, ist vielleicht ganz frucht¬
los; denn an Orten, wo sich Beamte solche schwere Verletzungen der
persönlichen Freiheit erlauben dürfen, da liegt die Wurzel deS Uebels
tief, und das Abschneiden eines Zweiges desselben zerstört den Gtft-
bäum nicht. Die Juden von christlichen Versammlungen entfernt zu
halten, um sie gegen Beleidigungen zu schützen, ist ein Mittel, das
eben so unklug, als ungerecht ist. Es ist unklug, weil durch eine solche
gesellige Ercommunication die leidenschaftliche Abneigung gegen die
Juden nur genährt wird; es ist ungerecht, weil man keinem Bürger
seine gesetzliche Freiheit beschränken darf, um ihn einer ungesetzlichen
Verfolgung zu entziehen. So weit betrifft diese Sache den "Juden",
und wird daher bei manchem Leser keine Theilnahme finden. Wenn
aber Jemand, der sich eine Polizeiübertretung hat zu Schulden kom¬
men lassen, statt vor das Polizeigericht geladen, dort vernommen, und
darauf nach Recht und Form verurtheilt zu werden, gleich auf's Ge¬
fängniß citirt, und ihm, ohne Vernehmung, ohne vorläufige Protokoll¬
führung, und ohne Richterspruch, Kerkerstrafe auferlegt wird, so liegt
doch vielleicht etwas hierin, was auch das Gefühl der Judenhasser


abhacken heilen. Die Frankfurter Polizei hat diesen Zweig der Ver¬
waltung vervollkommnet. Einige Tage nach dem Volksauflaufe, der
gegen die Juden gerichtet war, ging ein jüdischer Hühneraugenschnei¬
der nach dem Dorfe Bornheim, wo er seit vielen Jahren als unaus¬
bleiblicher Sonntagsgast bekannt ist. Da das Wirthshaus, wo er ein¬
kehrte, nur von dem gebildeten Bürgerstande und von keinen fremden
Handwerksburschen besucht wird, die ja, wie Jedermann weiß, allein
an den Unruhen Theil genommen, so blieb unser israelitischer Fußarzt
ungeneckt, trank ruhig seinen Wein und begab sich hierauf nach Hause.
Auf dem Rückwege begegnete ihm ein reitender Polizei-Beamte, der
ihm befiehlt, sich den folgenden Tag auf dem Amte einzufinden. Dort
erschienen, wird ihm sein Leichtsinn, sich unter Christen zu mischen, vor¬
gehalten, und ihm, damit Reibungen verhütet werden mögen, der Be¬
such Bornheims untersagt. Einen Tag später begegnet unser Jude
dem nämlichen Polizei-Beamten in der Stadt, und sagte demselben
(nämlich wie der Polizei-Beamte behauptet), er werde doch wieder
nach Bornheim gehen. Vorladung den andern Tag — auf's Poli¬
zeiamt? Nein, auf's Polizeigefängniß. Dort wird ihm verkün¬
digt, er müsse 24 Stunden eingekerkert bleiben, zur Strafe, daß er ge¬
sagt, er werde dem Befehle, Bornheim zu meiden, nicht gehorchen.
Das Urtheil ward auch sogleich vollstreckt. —

Ueber dieses Verfahren radelnd zu reden, ist vielleicht ganz frucht¬
los; denn an Orten, wo sich Beamte solche schwere Verletzungen der
persönlichen Freiheit erlauben dürfen, da liegt die Wurzel deS Uebels
tief, und das Abschneiden eines Zweiges desselben zerstört den Gtft-
bäum nicht. Die Juden von christlichen Versammlungen entfernt zu
halten, um sie gegen Beleidigungen zu schützen, ist ein Mittel, das
eben so unklug, als ungerecht ist. Es ist unklug, weil durch eine solche
gesellige Ercommunication die leidenschaftliche Abneigung gegen die
Juden nur genährt wird; es ist ungerecht, weil man keinem Bürger
seine gesetzliche Freiheit beschränken darf, um ihn einer ungesetzlichen
Verfolgung zu entziehen. So weit betrifft diese Sache den „Juden",
und wird daher bei manchem Leser keine Theilnahme finden. Wenn
aber Jemand, der sich eine Polizeiübertretung hat zu Schulden kom¬
men lassen, statt vor das Polizeigericht geladen, dort vernommen, und
darauf nach Recht und Form verurtheilt zu werden, gleich auf's Ge¬
fängniß citirt, und ihm, ohne Vernehmung, ohne vorläufige Protokoll¬
führung, und ohne Richterspruch, Kerkerstrafe auferlegt wird, so liegt
doch vielleicht etwas hierin, was auch das Gefühl der Judenhasser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/558>, abgerufen am 23.07.2024.