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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Arnsberg, welche die Gründer der Stadt und die ersten Beherrscher
deö Landes waren. Von diesen Ruinen aus ziehen sich zwei Reihen
Straßen wie in einer feierlichen Procession nach den weitläufigen
Klostergebäuden hin, welche den andern Envpunkt der Stadt bilden.
So zwischen Burgruinen und Klostermauern eingezwängt, hat die
Stadt die Denkmäler ihrer frühern Geschichte nahe vor Augen. Die
letzten Jahre haben auch in der That wenig dazu beigetragen, die
Bewohner Arnsbergs ihren mittelalterlichen, katholischen Ansichten und
Bestrebungen zu entwöhnen. Arnsberg ist ans einer Unterstadt eine
Beamtenstadt geworden. Die ganze Gesellschaft ist hier nach Rang¬
klassen abgetheilt und die vornehmere hütet sich sehr, mit der geringern
zu verkehren. Besonders findet man den Unterschied zwischen den stu-
dirten und nichtstudirten Beamten auf'ö Consequenteste durchgeführt.
Darum ist auch so wenig Leben in dieser Stadt, wo doch so viele ge¬
bildete uno intelligente Leute miteinander verkehren. In keinem Wirths¬
haus, in keinem Casino trifft man ein allgemeines, lebendiges Gespräch
an; die Karten sind an die Stelle aller Geselligkeit getreten; an den
öffentlichen Vergnügungsörtern ist es stiller wie in der Kirche.

Selbst auf dem Lande ist das Beamtenleben dominirend. Die
Ursache dieser Erscheinung ist die Armuth des Bodens und der Be¬
völkerung. Jedes Burgstädtchen sehnt sich darnach, ein Gericht oder
wenigstens eine Gerichtscommisston zu bekommen, da ein halbes Dutzend
Beamten den Wohlstand eines ganzen Ortes zu heben im Stande sind.
Da findet nun ein ewiges Petilivniren bei den Behörden statt; überall
will man den Beamten den Wohlstand verdanken, den man durch die
Verbesserung des Ackerbaus und der Viehzucht zu erwerben zu faul^ ist.

Nach den Beamten stehen die Geistlichen am höchsten. Dadurch
unterscheidet sich das Herzogthum Westphalen von dem Münsterlande,
da in diesem der Geistliche den Vorrang vor dem Beamten hat. In
einem Städtchen dieses Herzogthums findet man gewöhnlich sieben bis
acht Personen, welche man, salls man etwas Großmuth und Phantasie,
besitzt, zu den Gebildeten zählen kann. Der Erste, das Haupt der
Gesellschaft, ist der GerichtSdirecwr; er wird mit kaum geringerer Ehr¬
furcht angesehen als ein König; zur Seite steht der Assessor und der
Justizcommissär; eine Meile tiefer der Actuar. Ist die Stadt so glück¬
lich, einen praktischen Arzt zu besitzen, so wird dieser auch mit zur
guten Gesellschaft gezählt, zu der man den Geistlichen des Ortes gern,
den Schullehrer aber nur mit einigem Widerstreben zuläßt. Nur der
Justizcommissär verkehrt in seinem wohlverstandenen Interesse vielleicht


Arnsberg, welche die Gründer der Stadt und die ersten Beherrscher
deö Landes waren. Von diesen Ruinen aus ziehen sich zwei Reihen
Straßen wie in einer feierlichen Procession nach den weitläufigen
Klostergebäuden hin, welche den andern Envpunkt der Stadt bilden.
So zwischen Burgruinen und Klostermauern eingezwängt, hat die
Stadt die Denkmäler ihrer frühern Geschichte nahe vor Augen. Die
letzten Jahre haben auch in der That wenig dazu beigetragen, die
Bewohner Arnsbergs ihren mittelalterlichen, katholischen Ansichten und
Bestrebungen zu entwöhnen. Arnsberg ist ans einer Unterstadt eine
Beamtenstadt geworden. Die ganze Gesellschaft ist hier nach Rang¬
klassen abgetheilt und die vornehmere hütet sich sehr, mit der geringern
zu verkehren. Besonders findet man den Unterschied zwischen den stu-
dirten und nichtstudirten Beamten auf'ö Consequenteste durchgeführt.
Darum ist auch so wenig Leben in dieser Stadt, wo doch so viele ge¬
bildete uno intelligente Leute miteinander verkehren. In keinem Wirths¬
haus, in keinem Casino trifft man ein allgemeines, lebendiges Gespräch
an; die Karten sind an die Stelle aller Geselligkeit getreten; an den
öffentlichen Vergnügungsörtern ist es stiller wie in der Kirche.

Selbst auf dem Lande ist das Beamtenleben dominirend. Die
Ursache dieser Erscheinung ist die Armuth des Bodens und der Be¬
völkerung. Jedes Burgstädtchen sehnt sich darnach, ein Gericht oder
wenigstens eine Gerichtscommisston zu bekommen, da ein halbes Dutzend
Beamten den Wohlstand eines ganzen Ortes zu heben im Stande sind.
Da findet nun ein ewiges Petilivniren bei den Behörden statt; überall
will man den Beamten den Wohlstand verdanken, den man durch die
Verbesserung des Ackerbaus und der Viehzucht zu erwerben zu faul^ ist.

Nach den Beamten stehen die Geistlichen am höchsten. Dadurch
unterscheidet sich das Herzogthum Westphalen von dem Münsterlande,
da in diesem der Geistliche den Vorrang vor dem Beamten hat. In
einem Städtchen dieses Herzogthums findet man gewöhnlich sieben bis
acht Personen, welche man, salls man etwas Großmuth und Phantasie,
besitzt, zu den Gebildeten zählen kann. Der Erste, das Haupt der
Gesellschaft, ist der GerichtSdirecwr; er wird mit kaum geringerer Ehr¬
furcht angesehen als ein König; zur Seite steht der Assessor und der
Justizcommissär; eine Meile tiefer der Actuar. Ist die Stadt so glück¬
lich, einen praktischen Arzt zu besitzen, so wird dieser auch mit zur
guten Gesellschaft gezählt, zu der man den Geistlichen des Ortes gern,
den Schullehrer aber nur mit einigem Widerstreben zuläßt. Nur der
Justizcommissär verkehrt in seinem wohlverstandenen Interesse vielleicht


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[0546] Arnsberg, welche die Gründer der Stadt und die ersten Beherrscher deö Landes waren. Von diesen Ruinen aus ziehen sich zwei Reihen Straßen wie in einer feierlichen Procession nach den weitläufigen Klostergebäuden hin, welche den andern Envpunkt der Stadt bilden. So zwischen Burgruinen und Klostermauern eingezwängt, hat die Stadt die Denkmäler ihrer frühern Geschichte nahe vor Augen. Die letzten Jahre haben auch in der That wenig dazu beigetragen, die Bewohner Arnsbergs ihren mittelalterlichen, katholischen Ansichten und Bestrebungen zu entwöhnen. Arnsberg ist ans einer Unterstadt eine Beamtenstadt geworden. Die ganze Gesellschaft ist hier nach Rang¬ klassen abgetheilt und die vornehmere hütet sich sehr, mit der geringern zu verkehren. Besonders findet man den Unterschied zwischen den stu- dirten und nichtstudirten Beamten auf'ö Consequenteste durchgeführt. Darum ist auch so wenig Leben in dieser Stadt, wo doch so viele ge¬ bildete uno intelligente Leute miteinander verkehren. In keinem Wirths¬ haus, in keinem Casino trifft man ein allgemeines, lebendiges Gespräch an; die Karten sind an die Stelle aller Geselligkeit getreten; an den öffentlichen Vergnügungsörtern ist es stiller wie in der Kirche. Selbst auf dem Lande ist das Beamtenleben dominirend. Die Ursache dieser Erscheinung ist die Armuth des Bodens und der Be¬ völkerung. Jedes Burgstädtchen sehnt sich darnach, ein Gericht oder wenigstens eine Gerichtscommisston zu bekommen, da ein halbes Dutzend Beamten den Wohlstand eines ganzen Ortes zu heben im Stande sind. Da findet nun ein ewiges Petilivniren bei den Behörden statt; überall will man den Beamten den Wohlstand verdanken, den man durch die Verbesserung des Ackerbaus und der Viehzucht zu erwerben zu faul^ ist. Nach den Beamten stehen die Geistlichen am höchsten. Dadurch unterscheidet sich das Herzogthum Westphalen von dem Münsterlande, da in diesem der Geistliche den Vorrang vor dem Beamten hat. In einem Städtchen dieses Herzogthums findet man gewöhnlich sieben bis acht Personen, welche man, salls man etwas Großmuth und Phantasie, besitzt, zu den Gebildeten zählen kann. Der Erste, das Haupt der Gesellschaft, ist der GerichtSdirecwr; er wird mit kaum geringerer Ehr¬ furcht angesehen als ein König; zur Seite steht der Assessor und der Justizcommissär; eine Meile tiefer der Actuar. Ist die Stadt so glück¬ lich, einen praktischen Arzt zu besitzen, so wird dieser auch mit zur guten Gesellschaft gezählt, zu der man den Geistlichen des Ortes gern, den Schullehrer aber nur mit einigem Widerstreben zuläßt. Nur der Justizcommissär verkehrt in seinem wohlverstandenen Interesse vielleicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/546>, abgerufen am 26.08.2024.