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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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anstalten. In Palmenhain war ein Liebhabertheater/und da ich hier
bekannt war, hoffte er durch meine Vermittelung von der Liebhaben¬
gesellschaft etwas an Dekorationen geliehen zu bekommen. Das war
ganz gut, aber in Schlehdorf? Schlehdorf war eine der kleinsten un¬
ter den kleinen Städten, bewohnt größtentheils von armen Kohlenberg¬
leuten; ich zweifle, ob ein Handwerker daselbst sich befand. Ich fragte
weiter -- ein Saal war in Schlehdorf nicht zu finden -- nicht ein¬
mal ein ganz kleiner. Also wo spielen? Indessen Gaul hatte guten
Muth und wußte für Alles Rath. Er hatte einen grünen Rasenfleck
ausfindig gemacht, dicht vor der Stadt, der mit regelmäßigen Linden¬
reihen besetzt war, und zwischen diesen Linden sollte Leinwand gespannt,
überhaupt die Bühne aufgeschlagen werden. Ich schüttelte den Kopf
und fragte "ach unsern Kräften. Seine Frau, er und ich war Alles,
worüber wir verfügen konnten. Ich schüttelte noch stärker den Kopf,
allein Gaul nannte mir gleich eine Menge kleiner Stücke, die wir drei
geben könnten, erzählte mir von der Theaterlust der Schlehdorfer, die
nie eine Bühne gesehen hätten, und war voll der größten Hoffnungen.
Ich ging mit nach Schlehdorf. Da saß die Familie von vier Kindern,
mit einer alten Mutter in einer jämmerlichen Lehnkammer, mit einem
Bette. Mühsam bekamen sie die wenigen Nahrungsmittel geborgt, die
ihr Leben fristeten, und die Leute, welche die Kammer vermiethet hat¬
ten, fragten mit jedem Blicke nach den wenigen Groschen Miethgcld.
Jetzt begriff ich allerdings, daß Gaul etwas thun mußte. Wie war
der Mann so zurückgekommen, der in den besten Verhältnissen gelebt
hatte und der ein wirklich talentvoller Schauspieler war? Leider nicht
ohne seine Schuld. Er war zwar sehr gutmüthig, gefällig, liebens¬
würdig -- aber er spielte. Indessen hier halfen keine Redensarten --
Gaul mußte wenigstens versuchen, aus seiner erbärmlichen Lage her¬
auszukommen; ein anderes Mittel, als er mir vorschlug, wußte ich
auch nicht, also mußte ich ihm helfen, so wenig ich auch seine Hoff¬
nungen theilte. Ich wandte mich also an die Liebhabergesellschaft und
erhielt die nöthigen Decorationen geliehen -- ich besorgte auch den
Zetteldruck in Palmenhain, -- denn in Schlehdorf wird in den näch¬
sten fünf Jahrhunderten noch keine Druckerei errichtet. Gaul über¬
nahm dagegen die Einrichtung der Bühne und das Anspornen des
Schlehdorfer Publicums. Publicum -- du lieber Gott -- die guten
Schlehdorfer mochten Komödianten wohl für Abgesandte des Gottsei¬
beiuns halten, denn sie sahen uns mit halb bedauernden, halb verab¬
scheuenden Blicken an, wenn wir einmal durch die Straßen gingen.


anstalten. In Palmenhain war ein Liebhabertheater/und da ich hier
bekannt war, hoffte er durch meine Vermittelung von der Liebhaben¬
gesellschaft etwas an Dekorationen geliehen zu bekommen. Das war
ganz gut, aber in Schlehdorf? Schlehdorf war eine der kleinsten un¬
ter den kleinen Städten, bewohnt größtentheils von armen Kohlenberg¬
leuten; ich zweifle, ob ein Handwerker daselbst sich befand. Ich fragte
weiter — ein Saal war in Schlehdorf nicht zu finden — nicht ein¬
mal ein ganz kleiner. Also wo spielen? Indessen Gaul hatte guten
Muth und wußte für Alles Rath. Er hatte einen grünen Rasenfleck
ausfindig gemacht, dicht vor der Stadt, der mit regelmäßigen Linden¬
reihen besetzt war, und zwischen diesen Linden sollte Leinwand gespannt,
überhaupt die Bühne aufgeschlagen werden. Ich schüttelte den Kopf
und fragte «ach unsern Kräften. Seine Frau, er und ich war Alles,
worüber wir verfügen konnten. Ich schüttelte noch stärker den Kopf,
allein Gaul nannte mir gleich eine Menge kleiner Stücke, die wir drei
geben könnten, erzählte mir von der Theaterlust der Schlehdorfer, die
nie eine Bühne gesehen hätten, und war voll der größten Hoffnungen.
Ich ging mit nach Schlehdorf. Da saß die Familie von vier Kindern,
mit einer alten Mutter in einer jämmerlichen Lehnkammer, mit einem
Bette. Mühsam bekamen sie die wenigen Nahrungsmittel geborgt, die
ihr Leben fristeten, und die Leute, welche die Kammer vermiethet hat¬
ten, fragten mit jedem Blicke nach den wenigen Groschen Miethgcld.
Jetzt begriff ich allerdings, daß Gaul etwas thun mußte. Wie war
der Mann so zurückgekommen, der in den besten Verhältnissen gelebt
hatte und der ein wirklich talentvoller Schauspieler war? Leider nicht
ohne seine Schuld. Er war zwar sehr gutmüthig, gefällig, liebens¬
würdig — aber er spielte. Indessen hier halfen keine Redensarten —
Gaul mußte wenigstens versuchen, aus seiner erbärmlichen Lage her¬
auszukommen; ein anderes Mittel, als er mir vorschlug, wußte ich
auch nicht, also mußte ich ihm helfen, so wenig ich auch seine Hoff¬
nungen theilte. Ich wandte mich also an die Liebhabergesellschaft und
erhielt die nöthigen Decorationen geliehen — ich besorgte auch den
Zetteldruck in Palmenhain, — denn in Schlehdorf wird in den näch¬
sten fünf Jahrhunderten noch keine Druckerei errichtet. Gaul über¬
nahm dagegen die Einrichtung der Bühne und das Anspornen des
Schlehdorfer Publicums. Publicum — du lieber Gott — die guten
Schlehdorfer mochten Komödianten wohl für Abgesandte des Gottsei¬
beiuns halten, denn sie sahen uns mit halb bedauernden, halb verab¬
scheuenden Blicken an, wenn wir einmal durch die Straßen gingen.


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[0459] anstalten. In Palmenhain war ein Liebhabertheater/und da ich hier bekannt war, hoffte er durch meine Vermittelung von der Liebhaben¬ gesellschaft etwas an Dekorationen geliehen zu bekommen. Das war ganz gut, aber in Schlehdorf? Schlehdorf war eine der kleinsten un¬ ter den kleinen Städten, bewohnt größtentheils von armen Kohlenberg¬ leuten; ich zweifle, ob ein Handwerker daselbst sich befand. Ich fragte weiter — ein Saal war in Schlehdorf nicht zu finden — nicht ein¬ mal ein ganz kleiner. Also wo spielen? Indessen Gaul hatte guten Muth und wußte für Alles Rath. Er hatte einen grünen Rasenfleck ausfindig gemacht, dicht vor der Stadt, der mit regelmäßigen Linden¬ reihen besetzt war, und zwischen diesen Linden sollte Leinwand gespannt, überhaupt die Bühne aufgeschlagen werden. Ich schüttelte den Kopf und fragte «ach unsern Kräften. Seine Frau, er und ich war Alles, worüber wir verfügen konnten. Ich schüttelte noch stärker den Kopf, allein Gaul nannte mir gleich eine Menge kleiner Stücke, die wir drei geben könnten, erzählte mir von der Theaterlust der Schlehdorfer, die nie eine Bühne gesehen hätten, und war voll der größten Hoffnungen. Ich ging mit nach Schlehdorf. Da saß die Familie von vier Kindern, mit einer alten Mutter in einer jämmerlichen Lehnkammer, mit einem Bette. Mühsam bekamen sie die wenigen Nahrungsmittel geborgt, die ihr Leben fristeten, und die Leute, welche die Kammer vermiethet hat¬ ten, fragten mit jedem Blicke nach den wenigen Groschen Miethgcld. Jetzt begriff ich allerdings, daß Gaul etwas thun mußte. Wie war der Mann so zurückgekommen, der in den besten Verhältnissen gelebt hatte und der ein wirklich talentvoller Schauspieler war? Leider nicht ohne seine Schuld. Er war zwar sehr gutmüthig, gefällig, liebens¬ würdig — aber er spielte. Indessen hier halfen keine Redensarten — Gaul mußte wenigstens versuchen, aus seiner erbärmlichen Lage her¬ auszukommen; ein anderes Mittel, als er mir vorschlug, wußte ich auch nicht, also mußte ich ihm helfen, so wenig ich auch seine Hoff¬ nungen theilte. Ich wandte mich also an die Liebhabergesellschaft und erhielt die nöthigen Decorationen geliehen — ich besorgte auch den Zetteldruck in Palmenhain, — denn in Schlehdorf wird in den näch¬ sten fünf Jahrhunderten noch keine Druckerei errichtet. Gaul über¬ nahm dagegen die Einrichtung der Bühne und das Anspornen des Schlehdorfer Publicums. Publicum — du lieber Gott — die guten Schlehdorfer mochten Komödianten wohl für Abgesandte des Gottsei¬ beiuns halten, denn sie sahen uns mit halb bedauernden, halb verab¬ scheuenden Blicken an, wenn wir einmal durch die Straßen gingen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/459>, abgerufen am 26.08.2024.