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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Heimach und mein Gemüth empörte sich über die rücksichtslose Behand¬
lung, welche mein Vaterland von der Bureaukratie hat erleiden müssen."

Der Geist in dem eigentlichen Herzogthum Oldenburg gleicht aber
nach Hinrichs nicht überall dem wackern Sinn der Jeverlander, von
welchen er nachweist, daß sie Jahrhunderte lang bis zur französischen Zeit
eine freie, erst durch Oldenburg einseitig aufgehobene altfriesische Verfas¬
sung hatten. "In Oldenburg", sind seine merkwürdigen Worte, "dachte
man bis vor wenig Jahren an keine landstandische Verfassung, man fin¬
det daselbst nichts als Spießbürgerthum und serviles Wesen. Aber seit
einigen Jahren lebt in der Stadt Oldenburg ein junges Geschlecht,
das den Mund voll von liberalen Phrasen hat, aus die Jeverlander schilt,
weil diese zu einer Zeit, wo jenes Geschlecht noch nicht geboren war,
sich an die historische Grundlage ihrer Verfassung hielten und dies ,,"Je-
verschm Particularismus"" nennt. Das junge Geschlecht verkennt die
Jeverlandischen Bestrebungen ganz und gar, da die Landschaft die alte
Verfassung nicht als solche, sondern zeitgemäß umgebildet und verbessert
gefodert hat."

Jeverland besaß also eine einseitig und unter Protest der Einwoh¬
ner aufgehobene Verfassung; Varel, Eutin (das schöngelegene), Stadt-
und Vutjoedingerland, Stedingerland baten 1831 um eine landstandische
Verfassung (und besonders die von Hinrichs mitgetheilte Bittschrift der
Eutiner entwarf ein betrübendes Bild von der Art und Weise der Be¬
amtenherrschaft), der Fürst selbst versprach nach der Juliuscevolution frei¬
willig und unaufgefordert eine solche, er will nach Allem, was man über
ihn liest, nur das Gute, aber die Herren Beamten wollen keine Ver¬
fassung und wissen die phlegmatischen Altoldenburger auf ihrer Seite zu
erhalten.

Merkwürdig ist in Bezug auf die letzte Bemerkung folgender saty¬
rischer Artikel, welchen Hinrichs aus einer der "Jeverlandischen Nach¬
richten", welche er das Organ der Gesinnung der Jeverschen Landschaft
nennt, anführt: "Auch Delmenhorst fürchte sich vor Landständen und
zwar nicht ohne zureichenden Grund. Delmenhorst habe nämlich die land¬
gerichtliche Jurisdiction, übe sie aber nicht selbst aus, sondern lasse sie
durch das dortige Landgericht ausüben, die Spocteln aber würden für die
Stadt notirt und gehoben und jährlich an die Stadtkasse abgeliefert.
Nun befürchte aber Delmenhorst, daß nach Einführung vor! Landständen
dieses Verhältniß nicht länger fortdauern werde. Es befürchte auch, daß
in einer Ständeversammlung der Einfluß der Marschbewohner überwie¬
gend sein werde und daß alsdann die Kosten der Arbeiten zur Beförde¬
rung des Gcadenanwachses aus der Landeskasse bestritten werden möch¬
ten, welche das Mehrste aus den Marschen zieht.

Hinrichs sagt: "Die Marschbewohner, friesischen Stammes, sind
politisch für landständische Verfassung, wahrend die Geestbewohner (Ol¬
denburg, Delmenhorst, Vechta, Wildeshausen, die ehemals Münsterschen
und Osnabrückschen Antheile und das von dem durch seine absolutischen,
von ihm selbst patriarchalisch genannten Grundsatze bekannten Staats¬
rath Fischer verwaltete Birkenselv) mehr bureaukcatisch gesinnt zu sein


Heimach und mein Gemüth empörte sich über die rücksichtslose Behand¬
lung, welche mein Vaterland von der Bureaukratie hat erleiden müssen."

Der Geist in dem eigentlichen Herzogthum Oldenburg gleicht aber
nach Hinrichs nicht überall dem wackern Sinn der Jeverlander, von
welchen er nachweist, daß sie Jahrhunderte lang bis zur französischen Zeit
eine freie, erst durch Oldenburg einseitig aufgehobene altfriesische Verfas¬
sung hatten. „In Oldenburg", sind seine merkwürdigen Worte, „dachte
man bis vor wenig Jahren an keine landstandische Verfassung, man fin¬
det daselbst nichts als Spießbürgerthum und serviles Wesen. Aber seit
einigen Jahren lebt in der Stadt Oldenburg ein junges Geschlecht,
das den Mund voll von liberalen Phrasen hat, aus die Jeverlander schilt,
weil diese zu einer Zeit, wo jenes Geschlecht noch nicht geboren war,
sich an die historische Grundlage ihrer Verfassung hielten und dies ,,„Je-
verschm Particularismus"" nennt. Das junge Geschlecht verkennt die
Jeverlandischen Bestrebungen ganz und gar, da die Landschaft die alte
Verfassung nicht als solche, sondern zeitgemäß umgebildet und verbessert
gefodert hat."

Jeverland besaß also eine einseitig und unter Protest der Einwoh¬
ner aufgehobene Verfassung; Varel, Eutin (das schöngelegene), Stadt-
und Vutjoedingerland, Stedingerland baten 1831 um eine landstandische
Verfassung (und besonders die von Hinrichs mitgetheilte Bittschrift der
Eutiner entwarf ein betrübendes Bild von der Art und Weise der Be¬
amtenherrschaft), der Fürst selbst versprach nach der Juliuscevolution frei¬
willig und unaufgefordert eine solche, er will nach Allem, was man über
ihn liest, nur das Gute, aber die Herren Beamten wollen keine Ver¬
fassung und wissen die phlegmatischen Altoldenburger auf ihrer Seite zu
erhalten.

Merkwürdig ist in Bezug auf die letzte Bemerkung folgender saty¬
rischer Artikel, welchen Hinrichs aus einer der „Jeverlandischen Nach¬
richten", welche er das Organ der Gesinnung der Jeverschen Landschaft
nennt, anführt: „Auch Delmenhorst fürchte sich vor Landständen und
zwar nicht ohne zureichenden Grund. Delmenhorst habe nämlich die land¬
gerichtliche Jurisdiction, übe sie aber nicht selbst aus, sondern lasse sie
durch das dortige Landgericht ausüben, die Spocteln aber würden für die
Stadt notirt und gehoben und jährlich an die Stadtkasse abgeliefert.
Nun befürchte aber Delmenhorst, daß nach Einführung vor! Landständen
dieses Verhältniß nicht länger fortdauern werde. Es befürchte auch, daß
in einer Ständeversammlung der Einfluß der Marschbewohner überwie¬
gend sein werde und daß alsdann die Kosten der Arbeiten zur Beförde¬
rung des Gcadenanwachses aus der Landeskasse bestritten werden möch¬
ten, welche das Mehrste aus den Marschen zieht.

Hinrichs sagt: „Die Marschbewohner, friesischen Stammes, sind
politisch für landständische Verfassung, wahrend die Geestbewohner (Ol¬
denburg, Delmenhorst, Vechta, Wildeshausen, die ehemals Münsterschen
und Osnabrückschen Antheile und das von dem durch seine absolutischen,
von ihm selbst patriarchalisch genannten Grundsatze bekannten Staats¬
rath Fischer verwaltete Birkenselv) mehr bureaukcatisch gesinnt zu sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/448>, abgerufen am 23.07.2024.