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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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nen Allspruch und sagte mir einmal sehr freundlich, als ich mich über
ein ungünstiges Urtheil des Publicums, wegen einer Tenorpartie be-
klagte, das ich nicht verdient zu haben meinte --: "sein Sie ganz
ruhig, wenn Sie ein so großer Künstler wären, wie die Leute verlan¬
gen, könnte ich Sie nicht bezahlen." Es lag für mich eine Demüthi¬
gung in diesen Worten, die er allerdings nicht beabsichtigt hatte, aber
doch eine richtige Beurtheilung der Verhältnisse. Uebrigens war er
nicht unempfänglich für wirklich gute Leistungen und war Jemandem
etwas besonders gelungen, so erkannte er es stets an. Mit der Musik
in kleinen Städten hatte er immer seine Noth. Wenige Orte vermoch¬
ten ein vollständiges Orchester zusammenzubringen, doch kümmerte ihn
das wenig, er gab die größte Oper mit vier bis fünf Instrumenten.
Ja, ein vollständiges Orchester war ihm oft zu theuer, namentlich hielt
er die Fagotten für höchst überflüssig und hatte ewigen Streit mit sei¬
nem Musikdirector, der die Fagotten haben wollte, während er sie spa¬
ren zu können meinte. Auch ließ er bei einer neuen Oper die Fagott¬
stimmen nie mit ausschreiben. Unzählige Anekdoten waren von ihm
im Munde der Schauspieler. Eine erlebte ich selbst. Wir spielten in
einer recht hübschen Sratt, wo das Theater in einem großen Saale
eines Wirthshauses aufgeschlagen war. Das sogenannte Proscenium
oder die Wände, die die Bühne vom Zuschauerraum trennen, war von
Tapeten gemacht. In diese Tapete war ein Loch mit dem Finger ge¬
bohrt worden, damit man nach dem Saale herunter schauen konnte;
das Loch war immer größer geworden, bis zu einem förmlichen Riß.
Eines Abends, während eines sehr ernsten Stückes, kam die Wirthin
des Hauses auf das Theater und schaute durch dieses Loch auf das
Parterre. Sie war eine ungeheuer dicke Person, mit einem breiten,
fleischigen Gesichte, das grade in das Loch paßte. Bald bemerkten sie
die Zuschauer und singen an zu lachen. Sie hatte keine Ahnung da¬
von, daß man sie sehen könnte und guckte nun erst recht neugierig um¬
her, zu sehen, warum gelacht würde. Dadurch nahm der Spaß des
Publicums zu, das Lachen ward immer stärker, die Schauspieler auf
der Scene geriethen in Verwirrung. Verzweiflungsvoll lief der Di¬
rektor hinter den Coulissen umher, um zu entdecken, wo die Ursache
des Lärms wäre, bis ihm endlich Jemand die dicke Wirthin zeigte.
Wie ein Stoßvogel schoß er auf sie zu, sie zurückzureißen, hatte aber
im Eifer der ahnungslosen Frau einen solchen Stoß gegeben, daß sie
das Gleichgewicht verlor und durch die leichte Tapete hindurch in das
Orchester stürzte. Den entstehenden Lärm können Sie sich denken.




nen Allspruch und sagte mir einmal sehr freundlich, als ich mich über
ein ungünstiges Urtheil des Publicums, wegen einer Tenorpartie be-
klagte, das ich nicht verdient zu haben meinte —: „sein Sie ganz
ruhig, wenn Sie ein so großer Künstler wären, wie die Leute verlan¬
gen, könnte ich Sie nicht bezahlen." Es lag für mich eine Demüthi¬
gung in diesen Worten, die er allerdings nicht beabsichtigt hatte, aber
doch eine richtige Beurtheilung der Verhältnisse. Uebrigens war er
nicht unempfänglich für wirklich gute Leistungen und war Jemandem
etwas besonders gelungen, so erkannte er es stets an. Mit der Musik
in kleinen Städten hatte er immer seine Noth. Wenige Orte vermoch¬
ten ein vollständiges Orchester zusammenzubringen, doch kümmerte ihn
das wenig, er gab die größte Oper mit vier bis fünf Instrumenten.
Ja, ein vollständiges Orchester war ihm oft zu theuer, namentlich hielt
er die Fagotten für höchst überflüssig und hatte ewigen Streit mit sei¬
nem Musikdirector, der die Fagotten haben wollte, während er sie spa¬
ren zu können meinte. Auch ließ er bei einer neuen Oper die Fagott¬
stimmen nie mit ausschreiben. Unzählige Anekdoten waren von ihm
im Munde der Schauspieler. Eine erlebte ich selbst. Wir spielten in
einer recht hübschen Sratt, wo das Theater in einem großen Saale
eines Wirthshauses aufgeschlagen war. Das sogenannte Proscenium
oder die Wände, die die Bühne vom Zuschauerraum trennen, war von
Tapeten gemacht. In diese Tapete war ein Loch mit dem Finger ge¬
bohrt worden, damit man nach dem Saale herunter schauen konnte;
das Loch war immer größer geworden, bis zu einem förmlichen Riß.
Eines Abends, während eines sehr ernsten Stückes, kam die Wirthin
des Hauses auf das Theater und schaute durch dieses Loch auf das
Parterre. Sie war eine ungeheuer dicke Person, mit einem breiten,
fleischigen Gesichte, das grade in das Loch paßte. Bald bemerkten sie
die Zuschauer und singen an zu lachen. Sie hatte keine Ahnung da¬
von, daß man sie sehen könnte und guckte nun erst recht neugierig um¬
her, zu sehen, warum gelacht würde. Dadurch nahm der Spaß des
Publicums zu, das Lachen ward immer stärker, die Schauspieler auf
der Scene geriethen in Verwirrung. Verzweiflungsvoll lief der Di¬
rektor hinter den Coulissen umher, um zu entdecken, wo die Ursache
des Lärms wäre, bis ihm endlich Jemand die dicke Wirthin zeigte.
Wie ein Stoßvogel schoß er auf sie zu, sie zurückzureißen, hatte aber
im Eifer der ahnungslosen Frau einen solchen Stoß gegeben, daß sie
das Gleichgewicht verlor und durch die leichte Tapete hindurch in das
Orchester stürzte. Den entstehenden Lärm können Sie sich denken.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/435>, abgerufen am 26.08.2024.