Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

betrifft, so ausi mau an diese fast glauben, denn viele Dinge gingen
unier ihren Augen vor. Bei jedem Essen z. B. war ein Lehrer an¬
wesend und dieser hätte die unbillige Vertheilung der'Lebensmittel
bemerken müssen, wenn er sie nicht absichtlich übersehen wollte.

Was die Lehrer betrifft, so genossen diese im Allgemeinen keine
Achtung bei den Schülern. Dies ist auch ein Uebelstand bei unsern
Schulen. Um Lehrer zu werden, muß man genügende Kenntnisse
besitzen. Allein dies ist bei weitem nicht Alles für einen guten Lehrer.
Viel wichtiger für einen guten Lehrer ist eine Achtung gebietende
Persönlichkeit und dann die Gabe der Mittheilung. Diese Lehrgabe,
falls sie nicht angeboren ist, fällt einem Deutschen sehr schwer zu er¬
werben. Mail erwirbt sie nur in einem öffentlichen Leben, was bei
uns nicht besteht, oder durch Bewegung in einem geselligen Leben,
was meistens den deutschen Lehrern auch verschlossen ist.

Ohne Achtung gebietende Persönlichkeit aber und ohne die Gabe,
mitzutheilen und zu lehren, ist die Wirksamkeit eines Lehrers eine sehr
geringe. Jung'e Leute haben einen eigenen Scharfblick für die Person--
liehen Eigenschaften ihrer Vorgesetzten und sie achten dieselben nur,
wenn sie achtungswerth sind. Dem Amte, der Stellung erweisen sie
keine große Ehrfurcht und diese läßt sich anch durch die schärfste
-Strenge nicht erzwingen. In meiner eigenen Erinnerung leben einige
Beispiele jugendlichen Muthwillens.

Eines Nachts saß ich mit einem Freunde in einem Studirsaale.
Wir hatten ein Glas Punsch gemacht und lasen Shakespeare.
Das waren viele Vergehen auf einmal, Shakespeare, Punsch und
NachtSaufbleiben, indessen wir waren sehr glücklich. So mochte
es zwei Uhr Nachts geworden sein, Alles schlief in dem großen, wei¬
ten Schulgebäude und nur waren vertieft in den gewaltigen Dichter.
Da kam der eine von den im Hause wohnenden Lehrern, ein uns
wohlbekannter Nachtschwärmer, nach Hause. Wir hörten seine Tritte
nicht, er aber bemerkte uns, das durch'S Schlüsselloch fallende Licht
hatte uns verrathen. Er schleicht hinzu, uns zu überraschen und öffnet
plötzlich die Thüre. Doch so leicht warm wir nicht gesangen, wir
bliesen im Nu das Licht aus. Da er uns nicht erkennen konnte, und
wir aus seine Fragen keine Antwort gaben, schloß er die Thüre ab,
um Licht zu holen und uns dann sicher zu erkennen. Was thun?
Das Zimmer halte nur eine Thür, aber viele Fenster. Husch waren
wir zum Fenster hinaus, kletterten am Blitzableiter hinab, liefen an
den, Hause hin, kletterten an einem anderen Blitzableiter wieder hinauf,


betrifft, so ausi mau an diese fast glauben, denn viele Dinge gingen
unier ihren Augen vor. Bei jedem Essen z. B. war ein Lehrer an¬
wesend und dieser hätte die unbillige Vertheilung der'Lebensmittel
bemerken müssen, wenn er sie nicht absichtlich übersehen wollte.

Was die Lehrer betrifft, so genossen diese im Allgemeinen keine
Achtung bei den Schülern. Dies ist auch ein Uebelstand bei unsern
Schulen. Um Lehrer zu werden, muß man genügende Kenntnisse
besitzen. Allein dies ist bei weitem nicht Alles für einen guten Lehrer.
Viel wichtiger für einen guten Lehrer ist eine Achtung gebietende
Persönlichkeit und dann die Gabe der Mittheilung. Diese Lehrgabe,
falls sie nicht angeboren ist, fällt einem Deutschen sehr schwer zu er¬
werben. Mail erwirbt sie nur in einem öffentlichen Leben, was bei
uns nicht besteht, oder durch Bewegung in einem geselligen Leben,
was meistens den deutschen Lehrern auch verschlossen ist.

Ohne Achtung gebietende Persönlichkeit aber und ohne die Gabe,
mitzutheilen und zu lehren, ist die Wirksamkeit eines Lehrers eine sehr
geringe. Jung'e Leute haben einen eigenen Scharfblick für die Person--
liehen Eigenschaften ihrer Vorgesetzten und sie achten dieselben nur,
wenn sie achtungswerth sind. Dem Amte, der Stellung erweisen sie
keine große Ehrfurcht und diese läßt sich anch durch die schärfste
-Strenge nicht erzwingen. In meiner eigenen Erinnerung leben einige
Beispiele jugendlichen Muthwillens.

Eines Nachts saß ich mit einem Freunde in einem Studirsaale.
Wir hatten ein Glas Punsch gemacht und lasen Shakespeare.
Das waren viele Vergehen auf einmal, Shakespeare, Punsch und
NachtSaufbleiben, indessen wir waren sehr glücklich. So mochte
es zwei Uhr Nachts geworden sein, Alles schlief in dem großen, wei¬
ten Schulgebäude und nur waren vertieft in den gewaltigen Dichter.
Da kam der eine von den im Hause wohnenden Lehrern, ein uns
wohlbekannter Nachtschwärmer, nach Hause. Wir hörten seine Tritte
nicht, er aber bemerkte uns, das durch'S Schlüsselloch fallende Licht
hatte uns verrathen. Er schleicht hinzu, uns zu überraschen und öffnet
plötzlich die Thüre. Doch so leicht warm wir nicht gesangen, wir
bliesen im Nu das Licht aus. Da er uns nicht erkennen konnte, und
wir aus seine Fragen keine Antwort gaben, schloß er die Thüre ab,
um Licht zu holen und uns dann sicher zu erkennen. Was thun?
Das Zimmer halte nur eine Thür, aber viele Fenster. Husch waren
wir zum Fenster hinaus, kletterten am Blitzableiter hinab, liefen an
den, Hause hin, kletterten an einem anderen Blitzableiter wieder hinauf,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184007"/>
            <p xml:id="ID_1247" prev="#ID_1246"> betrifft, so ausi mau an diese fast glauben, denn viele Dinge gingen<lb/>
unier ihren Augen vor. Bei jedem Essen z. B. war ein Lehrer an¬<lb/>
wesend und dieser hätte die unbillige Vertheilung der'Lebensmittel<lb/>
bemerken müssen, wenn er sie nicht absichtlich übersehen wollte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1248"> Was die Lehrer betrifft, so genossen diese im Allgemeinen keine<lb/>
Achtung bei den Schülern. Dies ist auch ein Uebelstand bei unsern<lb/>
Schulen. Um Lehrer zu werden, muß man genügende Kenntnisse<lb/>
besitzen. Allein dies ist bei weitem nicht Alles für einen guten Lehrer.<lb/>
Viel wichtiger für einen guten Lehrer ist eine Achtung gebietende<lb/>
Persönlichkeit und dann die Gabe der Mittheilung. Diese Lehrgabe,<lb/>
falls sie nicht angeboren ist, fällt einem Deutschen sehr schwer zu er¬<lb/>
werben. Mail erwirbt sie nur in einem öffentlichen Leben, was bei<lb/>
uns nicht besteht, oder durch Bewegung in einem geselligen Leben,<lb/>
was meistens den deutschen Lehrern auch verschlossen ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1249"> Ohne Achtung gebietende Persönlichkeit aber und ohne die Gabe,<lb/>
mitzutheilen und zu lehren, ist die Wirksamkeit eines Lehrers eine sehr<lb/>
geringe. Jung'e Leute haben einen eigenen Scharfblick für die Person--<lb/>
liehen Eigenschaften ihrer Vorgesetzten und sie achten dieselben nur,<lb/>
wenn sie achtungswerth sind. Dem Amte, der Stellung erweisen sie<lb/>
keine große Ehrfurcht und diese läßt sich anch durch die schärfste<lb/>
-Strenge nicht erzwingen. In meiner eigenen Erinnerung leben einige<lb/>
Beispiele jugendlichen Muthwillens.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1250" next="#ID_1251"> Eines Nachts saß ich mit einem Freunde in einem Studirsaale.<lb/>
Wir hatten ein Glas Punsch gemacht und lasen Shakespeare.<lb/>
Das waren viele Vergehen auf einmal, Shakespeare, Punsch und<lb/>
NachtSaufbleiben, indessen wir waren sehr glücklich. So mochte<lb/>
es zwei Uhr Nachts geworden sein, Alles schlief in dem großen, wei¬<lb/>
ten Schulgebäude und nur waren vertieft in den gewaltigen Dichter.<lb/>
Da kam der eine von den im Hause wohnenden Lehrern, ein uns<lb/>
wohlbekannter Nachtschwärmer, nach Hause. Wir hörten seine Tritte<lb/>
nicht, er aber bemerkte uns, das durch'S Schlüsselloch fallende Licht<lb/>
hatte uns verrathen. Er schleicht hinzu, uns zu überraschen und öffnet<lb/>
plötzlich die Thüre. Doch so leicht warm wir nicht gesangen, wir<lb/>
bliesen im Nu das Licht aus. Da er uns nicht erkennen konnte, und<lb/>
wir aus seine Fragen keine Antwort gaben, schloß er die Thüre ab,<lb/>
um Licht zu holen und uns dann sicher zu erkennen. Was thun?<lb/>
Das Zimmer halte nur eine Thür, aber viele Fenster. Husch waren<lb/>
wir zum Fenster hinaus, kletterten am Blitzableiter hinab, liefen an<lb/>
den, Hause hin, kletterten an einem anderen Blitzableiter wieder hinauf,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0425] betrifft, so ausi mau an diese fast glauben, denn viele Dinge gingen unier ihren Augen vor. Bei jedem Essen z. B. war ein Lehrer an¬ wesend und dieser hätte die unbillige Vertheilung der'Lebensmittel bemerken müssen, wenn er sie nicht absichtlich übersehen wollte. Was die Lehrer betrifft, so genossen diese im Allgemeinen keine Achtung bei den Schülern. Dies ist auch ein Uebelstand bei unsern Schulen. Um Lehrer zu werden, muß man genügende Kenntnisse besitzen. Allein dies ist bei weitem nicht Alles für einen guten Lehrer. Viel wichtiger für einen guten Lehrer ist eine Achtung gebietende Persönlichkeit und dann die Gabe der Mittheilung. Diese Lehrgabe, falls sie nicht angeboren ist, fällt einem Deutschen sehr schwer zu er¬ werben. Mail erwirbt sie nur in einem öffentlichen Leben, was bei uns nicht besteht, oder durch Bewegung in einem geselligen Leben, was meistens den deutschen Lehrern auch verschlossen ist. Ohne Achtung gebietende Persönlichkeit aber und ohne die Gabe, mitzutheilen und zu lehren, ist die Wirksamkeit eines Lehrers eine sehr geringe. Jung'e Leute haben einen eigenen Scharfblick für die Person-- liehen Eigenschaften ihrer Vorgesetzten und sie achten dieselben nur, wenn sie achtungswerth sind. Dem Amte, der Stellung erweisen sie keine große Ehrfurcht und diese läßt sich anch durch die schärfste -Strenge nicht erzwingen. In meiner eigenen Erinnerung leben einige Beispiele jugendlichen Muthwillens. Eines Nachts saß ich mit einem Freunde in einem Studirsaale. Wir hatten ein Glas Punsch gemacht und lasen Shakespeare. Das waren viele Vergehen auf einmal, Shakespeare, Punsch und NachtSaufbleiben, indessen wir waren sehr glücklich. So mochte es zwei Uhr Nachts geworden sein, Alles schlief in dem großen, wei¬ ten Schulgebäude und nur waren vertieft in den gewaltigen Dichter. Da kam der eine von den im Hause wohnenden Lehrern, ein uns wohlbekannter Nachtschwärmer, nach Hause. Wir hörten seine Tritte nicht, er aber bemerkte uns, das durch'S Schlüsselloch fallende Licht hatte uns verrathen. Er schleicht hinzu, uns zu überraschen und öffnet plötzlich die Thüre. Doch so leicht warm wir nicht gesangen, wir bliesen im Nu das Licht aus. Da er uns nicht erkennen konnte, und wir aus seine Fragen keine Antwort gaben, schloß er die Thüre ab, um Licht zu holen und uns dann sicher zu erkennen. Was thun? Das Zimmer halte nur eine Thür, aber viele Fenster. Husch waren wir zum Fenster hinaus, kletterten am Blitzableiter hinab, liefen an den, Hause hin, kletterten an einem anderen Blitzableiter wieder hinauf,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/425
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/425>, abgerufen am 23.07.2024.