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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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müther in Spannung erhält und wo in gewissen Kreisen das Gerücht
laut wird, Rußland werde' mit dem neuen Jahre das "Königreich Polen"
auch dem. Namen nach verschwinden machen und es als bloße Provinz
(Gouvernement) vollständig mit den übrigen Staatstheilen verschmelzen.
Der russische Thronfolger dürfte hier noch wahrend seiner Anwesenheit
die Protestation Lord Palmerston's vernehmen, die Graf Dietrichstein,
der österreichische Gesandte in London, so ziemlich im Boraus geschil¬
dert hat. Ein österreichischer CabinetScourier/ der die Reise von hier nach
Paris, von da nach London und wieder zurück in II Tagen gemacht
hat, ist Anfangs dieser Woche eingetroffen und soll die Gewißheit gebracht
haben, daß von Frankreich nichts zu besorgen sei; von England hinge¬
gen, wenn auch keine krieqerische, doch eine sehr bittere und für die Zu^
kunst wichtige Protestation. England setzt sich auf den Fuß einer lan¬
gen und schwierigen Verhandlung, durch die es endlich nicht etwa die
Herstellung Krakaus oder Polens, sondern ein bedeutendes Augestandniß
für sich in irgend einer wichtigen Frage erzielen will. In Frankreich ist
die Protestation eine Fanfaronade, die Nation erinnert sich noch aus al¬
ten Zeiten, daß sie die Vorkämpferin der Völkerfreiheit war und werden
wollte, sie erhebt noch immer das alte Geschrei, die alten Stichworte
klingen und ertönen, aber die Schwerter bleiben in der Scheide, weil sie
mit zu wichtigen Ketten darin gefesselt sind, weil mit Ausnahme des
kleinen Haufens der Napoleonisten und Gloire-Anbeter, Alles den Frie¬
den wünscht und die Entwickelung der hunderttausend ausgesponnenen
Eivilisations - und Wohlstandsfaden. In England dagegen ist die Pro¬
testation ein Ergebniß des Handelsgeistes. Die alte Spinne in ihrem
festen Eiland kümmert sich nicht um den Aufschwung und Untergang
von Nationen, wenn die Interessen ihrer eignen Macht und Handelsgröße
nicht dabei berührt werden. Um Principien kämpft England nie. Ist
eins verletzt, so sucht sie in dieser Verletzung selbst ihren Vortheil zu
fischen, und wir zweifeln nicht, daß sie ihn in der Krakauer Frage all-
mälig finden wird. Die unglücklichen Polen können von dieser Seite nur eine
scheinbare Genugthuung erwarten, eine thatsächliche haben sie von Eng¬
land nicht zu hoffen. Dies weiß man hier so wohl, daß man nirgends
auch die leiseste Vorsichtsmaßregel oder Rüstungen bemerken kann, die
auch nur im Entferntesten auf einen Kriegsfall hindeuten könnten. In
den commerciellen Kreisen ward in den letzten Tagen die Krakauer Frage
sogar kaum beachtet, was allerdings wenig bedeutet, da die politische Bil¬
dung unserer Bankers und Industriellen in solchen Kinderschuhen geht,
daß sie kaum auf einen Monat hinaus ihre Berechnungen macht und
bei der mindesten Begebenheit den Kopf entweder in sanguinischer Hoff¬
nung oder in hypochondrischer Furcht verliert. Die wohlthätige Maßre¬
gel, welche Baron Kübel durch die Errichtung einer Ereditcasse für Ei¬
senbahnactionare ergrissen hat, ist für diese Kreise die Sonne des Tages,
um die sich alle ihre Pläne drehen. In der That, zu keiner Zeit war
diese Maßregel nöthiger als jetzt und wir können uns des Gedankens nicht
erwehren, daß sie mit Hinsicht auf das Krakauer Ereigniß in's Leben
trat, denn was wäre aus dem Credit geworden, wenn zu dem ohnehin


müther in Spannung erhält und wo in gewissen Kreisen das Gerücht
laut wird, Rußland werde' mit dem neuen Jahre das „Königreich Polen"
auch dem. Namen nach verschwinden machen und es als bloße Provinz
(Gouvernement) vollständig mit den übrigen Staatstheilen verschmelzen.
Der russische Thronfolger dürfte hier noch wahrend seiner Anwesenheit
die Protestation Lord Palmerston's vernehmen, die Graf Dietrichstein,
der österreichische Gesandte in London, so ziemlich im Boraus geschil¬
dert hat. Ein österreichischer CabinetScourier/ der die Reise von hier nach
Paris, von da nach London und wieder zurück in II Tagen gemacht
hat, ist Anfangs dieser Woche eingetroffen und soll die Gewißheit gebracht
haben, daß von Frankreich nichts zu besorgen sei; von England hinge¬
gen, wenn auch keine krieqerische, doch eine sehr bittere und für die Zu^
kunst wichtige Protestation. England setzt sich auf den Fuß einer lan¬
gen und schwierigen Verhandlung, durch die es endlich nicht etwa die
Herstellung Krakaus oder Polens, sondern ein bedeutendes Augestandniß
für sich in irgend einer wichtigen Frage erzielen will. In Frankreich ist
die Protestation eine Fanfaronade, die Nation erinnert sich noch aus al¬
ten Zeiten, daß sie die Vorkämpferin der Völkerfreiheit war und werden
wollte, sie erhebt noch immer das alte Geschrei, die alten Stichworte
klingen und ertönen, aber die Schwerter bleiben in der Scheide, weil sie
mit zu wichtigen Ketten darin gefesselt sind, weil mit Ausnahme des
kleinen Haufens der Napoleonisten und Gloire-Anbeter, Alles den Frie¬
den wünscht und die Entwickelung der hunderttausend ausgesponnenen
Eivilisations - und Wohlstandsfaden. In England dagegen ist die Pro¬
testation ein Ergebniß des Handelsgeistes. Die alte Spinne in ihrem
festen Eiland kümmert sich nicht um den Aufschwung und Untergang
von Nationen, wenn die Interessen ihrer eignen Macht und Handelsgröße
nicht dabei berührt werden. Um Principien kämpft England nie. Ist
eins verletzt, so sucht sie in dieser Verletzung selbst ihren Vortheil zu
fischen, und wir zweifeln nicht, daß sie ihn in der Krakauer Frage all-
mälig finden wird. Die unglücklichen Polen können von dieser Seite nur eine
scheinbare Genugthuung erwarten, eine thatsächliche haben sie von Eng¬
land nicht zu hoffen. Dies weiß man hier so wohl, daß man nirgends
auch die leiseste Vorsichtsmaßregel oder Rüstungen bemerken kann, die
auch nur im Entferntesten auf einen Kriegsfall hindeuten könnten. In
den commerciellen Kreisen ward in den letzten Tagen die Krakauer Frage
sogar kaum beachtet, was allerdings wenig bedeutet, da die politische Bil¬
dung unserer Bankers und Industriellen in solchen Kinderschuhen geht,
daß sie kaum auf einen Monat hinaus ihre Berechnungen macht und
bei der mindesten Begebenheit den Kopf entweder in sanguinischer Hoff¬
nung oder in hypochondrischer Furcht verliert. Die wohlthätige Maßre¬
gel, welche Baron Kübel durch die Errichtung einer Ereditcasse für Ei¬
senbahnactionare ergrissen hat, ist für diese Kreise die Sonne des Tages,
um die sich alle ihre Pläne drehen. In der That, zu keiner Zeit war
diese Maßregel nöthiger als jetzt und wir können uns des Gedankens nicht
erwehren, daß sie mit Hinsicht auf das Krakauer Ereigniß in's Leben
trat, denn was wäre aus dem Credit geworden, wenn zu dem ohnehin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/410>, abgerufen am 26.08.2024.