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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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befanden sich geladene Pistolen und ein Dolch, der Angeklagte hatte
während eines Verhöres vor dem Jnstrnctionsrichter ans den Fall be¬
zügliche Papiere zerrissen, in denen sonderbare Dinge gestanden haben,
die zerrissenen und vollständig wieder zusammengelegten Papiere sind
nachher sehr unvollständig an die Asstsen gekommen, so daß später noch
ein Raub an diesen Papieren, die in den Händen des Gerichts waren,
begangen sein muß, dessen Urheber man vergebens nachgespürt hat, --
es sind Versuche gemacht worden, den Gefangenwärter zu bestechen
und mit dem in Untersuchungshaft befindlichen Oppenheim Verbindun¬
gen anzuknüpfen -- doch der Angeklagte ist freigesprochen worden, so
darf man nichts mehr dagegen erinnern. Zwei Tage später stand ein
Mann vor den Assisen, der über ein fünfzigjähriges tadelloses Leben
die besten Zeugnisse hatte, den erwiesenermaßen die Noth, in der Frau
und Kinder waren, zu seinem Vergehen getrieben hatte. Dies Ver¬
gehen bestand darin, daß er es versucht hatte, ein kleines Säckchen mir
Korn zu stehlen. Die Geschwornen sprachen ihr "Schuldig" über ihn
und das Gesetz belegte ihn mit fünfjähriger Zuchthausstrafe. Es kommen
sonderbare Gegensatze vor bei der menschlichen Gerechtigkeit -- hier ein
leichtsinniger Bankrotteur, der seine Gläubiger absichtlich betrügt, Frau
und Kind verläßt, ein siebzehnjähriges Mädchen zur Prostitution treibt,
also moralisch mordet -- da ein armer, bis auf den einen Fall redli¬
cher Mann, der um den Hunger von Frau und Kindern zu stillen ein
Säckchen Korn nehmen will -- und Beide trifft fünfjährige Zuchthaus¬
strafe. Man muß wahrlich an eine ausgleichende Gerechtigkeit glauben,
wenn man nicht Communist werden will.*)



D. Red.


*) Wir verweisen auf einen zweiten Brief aus Cöln im Tagebuche.

befanden sich geladene Pistolen und ein Dolch, der Angeklagte hatte
während eines Verhöres vor dem Jnstrnctionsrichter ans den Fall be¬
zügliche Papiere zerrissen, in denen sonderbare Dinge gestanden haben,
die zerrissenen und vollständig wieder zusammengelegten Papiere sind
nachher sehr unvollständig an die Asstsen gekommen, so daß später noch
ein Raub an diesen Papieren, die in den Händen des Gerichts waren,
begangen sein muß, dessen Urheber man vergebens nachgespürt hat, —
es sind Versuche gemacht worden, den Gefangenwärter zu bestechen
und mit dem in Untersuchungshaft befindlichen Oppenheim Verbindun¬
gen anzuknüpfen — doch der Angeklagte ist freigesprochen worden, so
darf man nichts mehr dagegen erinnern. Zwei Tage später stand ein
Mann vor den Assisen, der über ein fünfzigjähriges tadelloses Leben
die besten Zeugnisse hatte, den erwiesenermaßen die Noth, in der Frau
und Kinder waren, zu seinem Vergehen getrieben hatte. Dies Ver¬
gehen bestand darin, daß er es versucht hatte, ein kleines Säckchen mir
Korn zu stehlen. Die Geschwornen sprachen ihr „Schuldig" über ihn
und das Gesetz belegte ihn mit fünfjähriger Zuchthausstrafe. Es kommen
sonderbare Gegensatze vor bei der menschlichen Gerechtigkeit — hier ein
leichtsinniger Bankrotteur, der seine Gläubiger absichtlich betrügt, Frau
und Kind verläßt, ein siebzehnjähriges Mädchen zur Prostitution treibt,
also moralisch mordet — da ein armer, bis auf den einen Fall redli¬
cher Mann, der um den Hunger von Frau und Kindern zu stillen ein
Säckchen Korn nehmen will — und Beide trifft fünfjährige Zuchthaus¬
strafe. Man muß wahrlich an eine ausgleichende Gerechtigkeit glauben,
wenn man nicht Communist werden will.*)



D. Red.


*) Wir verweisen auf einen zweiten Brief aus Cöln im Tagebuche.
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[0396] befanden sich geladene Pistolen und ein Dolch, der Angeklagte hatte während eines Verhöres vor dem Jnstrnctionsrichter ans den Fall be¬ zügliche Papiere zerrissen, in denen sonderbare Dinge gestanden haben, die zerrissenen und vollständig wieder zusammengelegten Papiere sind nachher sehr unvollständig an die Asstsen gekommen, so daß später noch ein Raub an diesen Papieren, die in den Händen des Gerichts waren, begangen sein muß, dessen Urheber man vergebens nachgespürt hat, — es sind Versuche gemacht worden, den Gefangenwärter zu bestechen und mit dem in Untersuchungshaft befindlichen Oppenheim Verbindun¬ gen anzuknüpfen — doch der Angeklagte ist freigesprochen worden, so darf man nichts mehr dagegen erinnern. Zwei Tage später stand ein Mann vor den Assisen, der über ein fünfzigjähriges tadelloses Leben die besten Zeugnisse hatte, den erwiesenermaßen die Noth, in der Frau und Kinder waren, zu seinem Vergehen getrieben hatte. Dies Ver¬ gehen bestand darin, daß er es versucht hatte, ein kleines Säckchen mir Korn zu stehlen. Die Geschwornen sprachen ihr „Schuldig" über ihn und das Gesetz belegte ihn mit fünfjähriger Zuchthausstrafe. Es kommen sonderbare Gegensatze vor bei der menschlichen Gerechtigkeit — hier ein leichtsinniger Bankrotteur, der seine Gläubiger absichtlich betrügt, Frau und Kind verläßt, ein siebzehnjähriges Mädchen zur Prostitution treibt, also moralisch mordet — da ein armer, bis auf den einen Fall redli¬ cher Mann, der um den Hunger von Frau und Kindern zu stillen ein Säckchen Korn nehmen will — und Beide trifft fünfjährige Zuchthaus¬ strafe. Man muß wahrlich an eine ausgleichende Gerechtigkeit glauben, wenn man nicht Communist werden will.*) D. Red. *) Wir verweisen auf einen zweiten Brief aus Cöln im Tagebuche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/396>, abgerufen am 26.08.2024.