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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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theuer verfolgen solle, und da mir mit Ersterem nicht viel gedient war, denn
ich hätte nur ungewisse Vermuthungen mit hinweggenommen, entschloß
ich mich keck in das Haus zu dringen. Würde ich Jemanden an¬
treffen, so wollte ich sagen, ich sei ein Fremder, habe den Weg ver¬
fehlt und wolle in's Dorf hinunter. Ich suchte nun die Pforte zu
dieser Gespensterbehausung und fand sie an der Mittagseite, die von
den hohen Buchen umdunkelt in tiefem Schatten lag. Da die Thüre
offen stand, trat ich ungehindert in die dunkle Hausflur und klopfte
zuerst an eine feuchte Thüre, die mir grade entgegenstand. Das dumpfe,
gedämpfte Echo eines verschlossenen Gewölbes war Alles, was mir
antwortete. So hätte ich mich zurückziehen müssen, wenn mein Auge,
an die Finsterniß gewohnt, nicht zur Rechten eine hölzerne Wendel¬
treppe entdeckt hätte. Entschlossen stieg ich hinan und ein Lichtstrahl,
der durch eine Spalte drang, führte mich zu einer Thüre, die ange¬
lehnt und offenbar der Zugang zu dem Gartensalon sein mußte. Ich
pochte zwei, dreimal, nichts regte sich, und ich konnte sogar den Luft¬
zug hören, der sich durch die Spalte der Thüre drängte. So blieb
mir nichts Anderes übrig, als zu öffnen und einzutreten. Der Licht¬
glanz blendete mich anfangs, und ich entdeckte dabei zu meinem Schre¬
cken, daß das Orchester noch vollständig versammelt sei. Rechts saßen
die Violinen, Eclli und Bratschen, links die Hörner, Flöten und Ho-
boen, und Alle starrten mich mit gläsernen Auge" an, die Instrumente
am Munde oder in den Händen. In der Mitte aber stand das Pult
des verschwundenen Kapellmeisters, ein dickes Heft, dem Anscheine nach
eine Partitur, lag zugeschlagen darauf und trug mit dicken Buchstaben
die Aufschrift 8ii,loni.t IZIänr.ni". Dabei war aber Alles ruhig und
leblos, und nur der Wind hob und senkte langsam die wehenden Gar¬
dinen an den offenen Fenstern. Mir war in jenem Augenblicke, als
gefröre das Blut in meinen Adern, ich war der geringsten Bewegung,
des leisesten Rufes nicht mächtig. Als endlich der Lichterglanz seine
Kraft verloren, entdeckte ich, daß ich, hier der einzige Lebendige, mich
unter einem Chor von Wachsfiguren befand. Was die Täuschung
aber so überredend gemacht hatte, war, daß jeder dieser stillen Virtuo¬
sen sein Pult, seine Noten und seine Lampe vor sich hatte. Selbst
als ich nicht mehr eine unnatürliche Geistererscheinung vor mir sah,
konnte ich mich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren, wie denn
überhaupt Wachsfiguren stets eine widerliche, schwer zu überwindende
Empfindung in mir hervorriefen. Ich weiß mich noch gut zu besin¬
nen, daß ich als Knabe einmal in einem Kabinet von Wachsfiguren


theuer verfolgen solle, und da mir mit Ersterem nicht viel gedient war, denn
ich hätte nur ungewisse Vermuthungen mit hinweggenommen, entschloß
ich mich keck in das Haus zu dringen. Würde ich Jemanden an¬
treffen, so wollte ich sagen, ich sei ein Fremder, habe den Weg ver¬
fehlt und wolle in's Dorf hinunter. Ich suchte nun die Pforte zu
dieser Gespensterbehausung und fand sie an der Mittagseite, die von
den hohen Buchen umdunkelt in tiefem Schatten lag. Da die Thüre
offen stand, trat ich ungehindert in die dunkle Hausflur und klopfte
zuerst an eine feuchte Thüre, die mir grade entgegenstand. Das dumpfe,
gedämpfte Echo eines verschlossenen Gewölbes war Alles, was mir
antwortete. So hätte ich mich zurückziehen müssen, wenn mein Auge,
an die Finsterniß gewohnt, nicht zur Rechten eine hölzerne Wendel¬
treppe entdeckt hätte. Entschlossen stieg ich hinan und ein Lichtstrahl,
der durch eine Spalte drang, führte mich zu einer Thüre, die ange¬
lehnt und offenbar der Zugang zu dem Gartensalon sein mußte. Ich
pochte zwei, dreimal, nichts regte sich, und ich konnte sogar den Luft¬
zug hören, der sich durch die Spalte der Thüre drängte. So blieb
mir nichts Anderes übrig, als zu öffnen und einzutreten. Der Licht¬
glanz blendete mich anfangs, und ich entdeckte dabei zu meinem Schre¬
cken, daß das Orchester noch vollständig versammelt sei. Rechts saßen
die Violinen, Eclli und Bratschen, links die Hörner, Flöten und Ho-
boen, und Alle starrten mich mit gläsernen Auge» an, die Instrumente
am Munde oder in den Händen. In der Mitte aber stand das Pult
des verschwundenen Kapellmeisters, ein dickes Heft, dem Anscheine nach
eine Partitur, lag zugeschlagen darauf und trug mit dicken Buchstaben
die Aufschrift 8ii,loni.t IZIänr.ni». Dabei war aber Alles ruhig und
leblos, und nur der Wind hob und senkte langsam die wehenden Gar¬
dinen an den offenen Fenstern. Mir war in jenem Augenblicke, als
gefröre das Blut in meinen Adern, ich war der geringsten Bewegung,
des leisesten Rufes nicht mächtig. Als endlich der Lichterglanz seine
Kraft verloren, entdeckte ich, daß ich, hier der einzige Lebendige, mich
unter einem Chor von Wachsfiguren befand. Was die Täuschung
aber so überredend gemacht hatte, war, daß jeder dieser stillen Virtuo¬
sen sein Pult, seine Noten und seine Lampe vor sich hatte. Selbst
als ich nicht mehr eine unnatürliche Geistererscheinung vor mir sah,
konnte ich mich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren, wie denn
überhaupt Wachsfiguren stets eine widerliche, schwer zu überwindende
Empfindung in mir hervorriefen. Ich weiß mich noch gut zu besin¬
nen, daß ich als Knabe einmal in einem Kabinet von Wachsfiguren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/370>, abgerufen am 03.07.2024.