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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ich wieder vergessen habe, einen süperben Burschen, wie er sagte; er
selbst war ein Darmstädter. Ich erkundigte mich nach den letzten Ge-
fechten mit den Insurgenten der Legationen, -- In der Hauptaffaire
hatten die Schweizer ?V0Gefangene gemacht; "zehn," sagte er, "schössen
wir gleich nieder, vierzig wurden in Bologna in der Nacht von der
dortigen Commission abgemacht, der Rest nach Rom transportirt. --
Ja, ja, da wirb ein kurzer Proceß gemacht. Das Otterngezüchte,"
sagte er, mein Entsetzen bemerkend, "verdient eS nicht besser." -- Hinter
uns erhob sich Lärmen. Ein betrunkener Schweizer-Unteroffizier bra-
marbasirte gegen den italienischen'Küchenjungen, der, listig und ge¬
wandt wie eine Katze, ihm allerhand in den Weg legte, daß er stol¬
pern mußte, ihm Zöpfe anhing und andern Schabernack spielte, zum
großen Jubel der Matrosen. Endlich erschien der Oekonom des Schiffes,
der mit der befehlshaberischen Miene eines Generals dem Sergeanten
mit strenger Strafe drohte, wenn er sich nicht zur Ruhe verfüge, und
dem Küchenjungen es als seiner unwürdig verwies, sich mit einem
solchen Menschen abzugeben.

In Livorno ward Verdi noch mehr fetirt wie in Civitavecchia
und im Triumph abgeholt und zurückgebracht. Mehrere sehr elegante
junge Leute begleiteten ihn sogar bis Genua. Unter ihnen war der
Fürst Poniatowsky, der erste musikalische Dilettant Italiens, der selbst
eine Oper geschrieben und mit seiner Familie in Lucca aufgeführt hat.
Unser Abendconcert ward dadurch sehr glänzend, denn Verdi spielte
und Poniatowsky sang, und zwar mit der ganzen Vollendung italie¬
nischer Schule. In Deutschland nimmt meines Wissens die jeiilxzss,;
"jnrve nirgend einen solchen Antheil an Kunst und Künstlern, höchstens
an Künstlerinnen, aus Motiven, die der Kunst sehr fremd sind. Diese
Einheit des Jtalieners, dies Verschmelzen von Kunst und Leben, von
Genuß und Arbeit ist sein Hauptreiz, besonders für uns Deutsche, die
wir aus unserer Zerrissenheit und Zerklüftung uns gar nicht wieder¬
zufinden vermögen, und wo ein Mann der Arbeit, und selbst der Kunst,
und ein Mann des Lebens sich so unähnlich sehen, als wenn sie ver¬
schiedenen Racen und Jahrhunderten angehörten.

In Mailand sah ich Verdi zum letzten Mal unter einem glänzen¬
den Kreise junger Leute, er selbst der schönste von allen, was in dieser
Stadt, ausgezeichnet durch vie Schönheit und Eleganz ihrer Männer,
sehr viel sagen will.


ich wieder vergessen habe, einen süperben Burschen, wie er sagte; er
selbst war ein Darmstädter. Ich erkundigte mich nach den letzten Ge-
fechten mit den Insurgenten der Legationen, — In der Hauptaffaire
hatten die Schweizer ?V0Gefangene gemacht; „zehn," sagte er, „schössen
wir gleich nieder, vierzig wurden in Bologna in der Nacht von der
dortigen Commission abgemacht, der Rest nach Rom transportirt. —
Ja, ja, da wirb ein kurzer Proceß gemacht. Das Otterngezüchte,"
sagte er, mein Entsetzen bemerkend, „verdient eS nicht besser." — Hinter
uns erhob sich Lärmen. Ein betrunkener Schweizer-Unteroffizier bra-
marbasirte gegen den italienischen'Küchenjungen, der, listig und ge¬
wandt wie eine Katze, ihm allerhand in den Weg legte, daß er stol¬
pern mußte, ihm Zöpfe anhing und andern Schabernack spielte, zum
großen Jubel der Matrosen. Endlich erschien der Oekonom des Schiffes,
der mit der befehlshaberischen Miene eines Generals dem Sergeanten
mit strenger Strafe drohte, wenn er sich nicht zur Ruhe verfüge, und
dem Küchenjungen es als seiner unwürdig verwies, sich mit einem
solchen Menschen abzugeben.

In Livorno ward Verdi noch mehr fetirt wie in Civitavecchia
und im Triumph abgeholt und zurückgebracht. Mehrere sehr elegante
junge Leute begleiteten ihn sogar bis Genua. Unter ihnen war der
Fürst Poniatowsky, der erste musikalische Dilettant Italiens, der selbst
eine Oper geschrieben und mit seiner Familie in Lucca aufgeführt hat.
Unser Abendconcert ward dadurch sehr glänzend, denn Verdi spielte
und Poniatowsky sang, und zwar mit der ganzen Vollendung italie¬
nischer Schule. In Deutschland nimmt meines Wissens die jeiilxzss,;
«jnrve nirgend einen solchen Antheil an Kunst und Künstlern, höchstens
an Künstlerinnen, aus Motiven, die der Kunst sehr fremd sind. Diese
Einheit des Jtalieners, dies Verschmelzen von Kunst und Leben, von
Genuß und Arbeit ist sein Hauptreiz, besonders für uns Deutsche, die
wir aus unserer Zerrissenheit und Zerklüftung uns gar nicht wieder¬
zufinden vermögen, und wo ein Mann der Arbeit, und selbst der Kunst,
und ein Mann des Lebens sich so unähnlich sehen, als wenn sie ver¬
schiedenen Racen und Jahrhunderten angehörten.

In Mailand sah ich Verdi zum letzten Mal unter einem glänzen¬
den Kreise junger Leute, er selbst der schönste von allen, was in dieser
Stadt, ausgezeichnet durch vie Schönheit und Eleganz ihrer Männer,
sehr viel sagen will.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/33>, abgerufen am 26.08.2024.