Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

breitet. Dabei klagte er fortwährend über die rauhe Luft und über
die Unsicherheit seiner Erwärmungsanstalten, womit er diesen und der
Mittagssonne um so bittereres Unrecht that, als wir übrigen Passagiere
so eifrig schwitzten, als ob wir damit dem Kranken die Geschmeidigkeit
seiner Glieder zurückgeben wollten. Wenn der Badegast übrigens sprach,
so hustete er, und noch häufiger hustete er, ohne zu sprechen.

Ihm gegenüber saß ein Student, in dem ich ein altes Haus er¬
kannt zu haben glaubte, obschon mir die landsmannschaftlichen Farben,
die er trug, fremd waren. Bei der außerordentlichen Ehrfurcht, mit
der ich sein stolzes Haupt, einige leichte Narben in dem Gesichte und
das Verbindungshaut betrachtete, welches sich um seine Brust schlang,
wäre es mir außerordentlich erwünscht gewesen, wenn er sich mit einem
kameradschaftlichen Worte an mich gewendet hätte. Allein seit jener
ironischen Miene beim Abschiede würdigte er mich auch nicht eines
Blickes mehr, sondern starrte stumm und verdrießlich bald aus dem
Wagen hinaus in den Staub der Straße, bald auf eine Person, die
Schulter an Schulter an seiner Seite und mir mithin Antlitz in Ant¬
litz saß, während ich sie erst jetzt entdeckte, wo mein Auge der Augen¬
bewegung des alten Hauses schüchtern nachging. Der Moment, wo
ich von ihm als Commtlito erkannt ward, mußte jedenfalls einer der
freudigsten meines Lebens werden; aber er beeilte sich nicht. Ich hatte
indeß sieben Duelle auf dem Brustbande angemerkt gefunden und noch
schien die Reihe nicht geschlossen, sondern nur durch die Wendung des
Bandes gegen den Rücken unterbrochen. Wie nämlich aus den histo¬
rischen Landkarten die Schlachtfelder durch zwei gekreuzte Schwerter be¬
zeichnet werden, so merkt der Student auf seinem Brustbaude ebenfalls
durch gekreuzte Schwerter und wenige beigefügte Buchstaben die von
ihm ausgefochtenen Duelle und deren Jahrestag an. Ein solches
Band, wie schmal es immer sei, halt die Brust, um die es sich schlingt,
außerordentlich warm, viel wärmer als unser Badegast in seiner Wolfs¬
schur saß! Inzwischen war jeder meiner Blicke, der auf jene Symbole
wackerer Studentenschaft hinflog, eine neue Huldigung für deren
Träger.

Die Züge des alten Hauses, welches die Pappeln am Wege sehr
verächtlich und mich zu meiner steigenden Beunruhigung gar nicht an¬
sah, erheiterten sich in der Regel um einige Grade, wenn er auf den
vierten, mit ihm rückwärtssitzenden Passagier blickte. DaS war ein
junges Mädchen, dessen Kopf von einem grünen Schleier verhüllt ward.
Als sie diesen Schleier bei einer Biegung des Wegs, die den Luftzug


breitet. Dabei klagte er fortwährend über die rauhe Luft und über
die Unsicherheit seiner Erwärmungsanstalten, womit er diesen und der
Mittagssonne um so bittereres Unrecht that, als wir übrigen Passagiere
so eifrig schwitzten, als ob wir damit dem Kranken die Geschmeidigkeit
seiner Glieder zurückgeben wollten. Wenn der Badegast übrigens sprach,
so hustete er, und noch häufiger hustete er, ohne zu sprechen.

Ihm gegenüber saß ein Student, in dem ich ein altes Haus er¬
kannt zu haben glaubte, obschon mir die landsmannschaftlichen Farben,
die er trug, fremd waren. Bei der außerordentlichen Ehrfurcht, mit
der ich sein stolzes Haupt, einige leichte Narben in dem Gesichte und
das Verbindungshaut betrachtete, welches sich um seine Brust schlang,
wäre es mir außerordentlich erwünscht gewesen, wenn er sich mit einem
kameradschaftlichen Worte an mich gewendet hätte. Allein seit jener
ironischen Miene beim Abschiede würdigte er mich auch nicht eines
Blickes mehr, sondern starrte stumm und verdrießlich bald aus dem
Wagen hinaus in den Staub der Straße, bald auf eine Person, die
Schulter an Schulter an seiner Seite und mir mithin Antlitz in Ant¬
litz saß, während ich sie erst jetzt entdeckte, wo mein Auge der Augen¬
bewegung des alten Hauses schüchtern nachging. Der Moment, wo
ich von ihm als Commtlito erkannt ward, mußte jedenfalls einer der
freudigsten meines Lebens werden; aber er beeilte sich nicht. Ich hatte
indeß sieben Duelle auf dem Brustbande angemerkt gefunden und noch
schien die Reihe nicht geschlossen, sondern nur durch die Wendung des
Bandes gegen den Rücken unterbrochen. Wie nämlich aus den histo¬
rischen Landkarten die Schlachtfelder durch zwei gekreuzte Schwerter be¬
zeichnet werden, so merkt der Student auf seinem Brustbaude ebenfalls
durch gekreuzte Schwerter und wenige beigefügte Buchstaben die von
ihm ausgefochtenen Duelle und deren Jahrestag an. Ein solches
Band, wie schmal es immer sei, halt die Brust, um die es sich schlingt,
außerordentlich warm, viel wärmer als unser Badegast in seiner Wolfs¬
schur saß! Inzwischen war jeder meiner Blicke, der auf jene Symbole
wackerer Studentenschaft hinflog, eine neue Huldigung für deren
Träger.

Die Züge des alten Hauses, welches die Pappeln am Wege sehr
verächtlich und mich zu meiner steigenden Beunruhigung gar nicht an¬
sah, erheiterten sich in der Regel um einige Grade, wenn er auf den
vierten, mit ihm rückwärtssitzenden Passagier blickte. DaS war ein
junges Mädchen, dessen Kopf von einem grünen Schleier verhüllt ward.
Als sie diesen Schleier bei einer Biegung des Wegs, die den Luftzug


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183900"/>
            <p xml:id="ID_886" prev="#ID_885"> breitet. Dabei klagte er fortwährend über die rauhe Luft und über<lb/>
die Unsicherheit seiner Erwärmungsanstalten, womit er diesen und der<lb/>
Mittagssonne um so bittereres Unrecht that, als wir übrigen Passagiere<lb/>
so eifrig schwitzten, als ob wir damit dem Kranken die Geschmeidigkeit<lb/>
seiner Glieder zurückgeben wollten. Wenn der Badegast übrigens sprach,<lb/>
so hustete er, und noch häufiger hustete er, ohne zu sprechen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_887"> Ihm gegenüber saß ein Student, in dem ich ein altes Haus er¬<lb/>
kannt zu haben glaubte, obschon mir die landsmannschaftlichen Farben,<lb/>
die er trug, fremd waren. Bei der außerordentlichen Ehrfurcht, mit<lb/>
der ich sein stolzes Haupt, einige leichte Narben in dem Gesichte und<lb/>
das Verbindungshaut betrachtete, welches sich um seine Brust schlang,<lb/>
wäre es mir außerordentlich erwünscht gewesen, wenn er sich mit einem<lb/>
kameradschaftlichen Worte an mich gewendet hätte. Allein seit jener<lb/>
ironischen Miene beim Abschiede würdigte er mich auch nicht eines<lb/>
Blickes mehr, sondern starrte stumm und verdrießlich bald aus dem<lb/>
Wagen hinaus in den Staub der Straße, bald auf eine Person, die<lb/>
Schulter an Schulter an seiner Seite und mir mithin Antlitz in Ant¬<lb/>
litz saß, während ich sie erst jetzt entdeckte, wo mein Auge der Augen¬<lb/>
bewegung des alten Hauses schüchtern nachging. Der Moment, wo<lb/>
ich von ihm als Commtlito erkannt ward, mußte jedenfalls einer der<lb/>
freudigsten meines Lebens werden; aber er beeilte sich nicht. Ich hatte<lb/>
indeß sieben Duelle auf dem Brustbande angemerkt gefunden und noch<lb/>
schien die Reihe nicht geschlossen, sondern nur durch die Wendung des<lb/>
Bandes gegen den Rücken unterbrochen. Wie nämlich aus den histo¬<lb/>
rischen Landkarten die Schlachtfelder durch zwei gekreuzte Schwerter be¬<lb/>
zeichnet werden, so merkt der Student auf seinem Brustbaude ebenfalls<lb/>
durch gekreuzte Schwerter und wenige beigefügte Buchstaben die von<lb/>
ihm ausgefochtenen Duelle und deren Jahrestag an. Ein solches<lb/>
Band, wie schmal es immer sei, halt die Brust, um die es sich schlingt,<lb/>
außerordentlich warm, viel wärmer als unser Badegast in seiner Wolfs¬<lb/>
schur saß! Inzwischen war jeder meiner Blicke, der auf jene Symbole<lb/>
wackerer Studentenschaft hinflog, eine neue Huldigung für deren<lb/>
Träger.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_888" next="#ID_889"> Die Züge des alten Hauses, welches die Pappeln am Wege sehr<lb/>
verächtlich und mich zu meiner steigenden Beunruhigung gar nicht an¬<lb/>
sah, erheiterten sich in der Regel um einige Grade, wenn er auf den<lb/>
vierten, mit ihm rückwärtssitzenden Passagier blickte. DaS war ein<lb/>
junges Mädchen, dessen Kopf von einem grünen Schleier verhüllt ward.<lb/>
Als sie diesen Schleier bei einer Biegung des Wegs, die den Luftzug</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0318] breitet. Dabei klagte er fortwährend über die rauhe Luft und über die Unsicherheit seiner Erwärmungsanstalten, womit er diesen und der Mittagssonne um so bittereres Unrecht that, als wir übrigen Passagiere so eifrig schwitzten, als ob wir damit dem Kranken die Geschmeidigkeit seiner Glieder zurückgeben wollten. Wenn der Badegast übrigens sprach, so hustete er, und noch häufiger hustete er, ohne zu sprechen. Ihm gegenüber saß ein Student, in dem ich ein altes Haus er¬ kannt zu haben glaubte, obschon mir die landsmannschaftlichen Farben, die er trug, fremd waren. Bei der außerordentlichen Ehrfurcht, mit der ich sein stolzes Haupt, einige leichte Narben in dem Gesichte und das Verbindungshaut betrachtete, welches sich um seine Brust schlang, wäre es mir außerordentlich erwünscht gewesen, wenn er sich mit einem kameradschaftlichen Worte an mich gewendet hätte. Allein seit jener ironischen Miene beim Abschiede würdigte er mich auch nicht eines Blickes mehr, sondern starrte stumm und verdrießlich bald aus dem Wagen hinaus in den Staub der Straße, bald auf eine Person, die Schulter an Schulter an seiner Seite und mir mithin Antlitz in Ant¬ litz saß, während ich sie erst jetzt entdeckte, wo mein Auge der Augen¬ bewegung des alten Hauses schüchtern nachging. Der Moment, wo ich von ihm als Commtlito erkannt ward, mußte jedenfalls einer der freudigsten meines Lebens werden; aber er beeilte sich nicht. Ich hatte indeß sieben Duelle auf dem Brustbande angemerkt gefunden und noch schien die Reihe nicht geschlossen, sondern nur durch die Wendung des Bandes gegen den Rücken unterbrochen. Wie nämlich aus den histo¬ rischen Landkarten die Schlachtfelder durch zwei gekreuzte Schwerter be¬ zeichnet werden, so merkt der Student auf seinem Brustbaude ebenfalls durch gekreuzte Schwerter und wenige beigefügte Buchstaben die von ihm ausgefochtenen Duelle und deren Jahrestag an. Ein solches Band, wie schmal es immer sei, halt die Brust, um die es sich schlingt, außerordentlich warm, viel wärmer als unser Badegast in seiner Wolfs¬ schur saß! Inzwischen war jeder meiner Blicke, der auf jene Symbole wackerer Studentenschaft hinflog, eine neue Huldigung für deren Träger. Die Züge des alten Hauses, welches die Pappeln am Wege sehr verächtlich und mich zu meiner steigenden Beunruhigung gar nicht an¬ sah, erheiterten sich in der Regel um einige Grade, wenn er auf den vierten, mit ihm rückwärtssitzenden Passagier blickte. DaS war ein junges Mädchen, dessen Kopf von einem grünen Schleier verhüllt ward. Als sie diesen Schleier bei einer Biegung des Wegs, die den Luftzug

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/318
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/318>, abgerufen am 23.07.2024.