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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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über hinweg zu stolpern hatte. Das Geschirr schlotterte haltlos um
feilte dürren Schultern und war nebst der Andeutung eines vormals
geführten Schweifes das Einzige an dem Thiere, welches einige Be¬
weglichkeit verrieth. Das zweite Pferd blickte melancholisch grad' aus,
schloß dann, wie weim es sich eine herbe Erinnerung vor die Seele
rufe, die träumerischen Augen - ich vermuthe, daß es Betrachtungen
über die enorme Länge des Wegs vou Dresden nach Leipzig bei so
geringer Breite eben desselben anstellte -- und dann schauderte ihm,
im wörtlichsten Sinne, die Haut. Das Pferd blieb nämlich mit allen
Gliedern ruhig stehen, aber die Haut zuckte und zitterte am ganzen
Körper hin und her, als ob sie nirgends angewachsen wäre. Das
dritte Pferd war eine unvermählt gebliebene Schimmelin; auch engli-
sirt war sie worden in glanzvollern Tagen. Mehr braucht von dieser
mißhandelten Unschuld nicht bemerkt zu werden.

"Lebe wohl und schreibe sogleich, wie Du angekommen, was Du
für eine Wohnung genommen, wer Deine Wirthsleute sind und wie
Du mit dem Kaffee zufrieden" -- sagte die Mutter an meinem linken
Arme -- "säume nicht, sogleich die nöthigsten Collegia zu belegen und
gib mir Nachricht, bei wem Du die Institutionen hörst", sprach der
Vater, mich von der rechten Seite zurückhaltend.

"Laß Dir nichts von der Wäsche wegkommen, Du hast doch den
Zettel dazu in der Brieftasche? Auch das Gewicht Deiner Federbet¬
ten habe ich Dir aufgeschrieben. Unredliche Menschen nehmen manch¬
mal ein paar Pfund heraus; gib ja ordentlich Acht und theile auch
Dein Geld gut ein. So wie Deine Zeit! Geh' nicht in schlechte Ge¬
sellschaft. -- Und am allerwenigsten zu einer verbotenen Verbindung.
Beim Auspacken der Kleiderkiste sei selbst zugegen, denn Deine Mund¬
tasse liegt oben auf. Grüße alle Bekannten angelegentlich von mir,
an die Du Briefe hast und warte nicht Wochen lang, bevor Du Deine
Besuche abstattest. Betrinke Dich nicht, Du bist zu jung, um so viel
zu vertragen, als Andere! In dieser Beziehung hatte ich eine stattli¬
chere Meinung von mir, aber es war kaum Zeit zu hören, keineswegs
aber zu widerlegen. Ich stand schon mit dem einen Fuße im Wagen¬
tritte, aber nachdem die Mutter gesprochen, fiel der Vater mit einem
kräftigen Schütteln meines Arms ein:

"Halte Dir keinen Hund, das bringt Verlegenheiten und Händel!
Und trage keine Sporen, es ruinirt die Kleider. Ueber Deine Ausga¬
ben führe Buch und Rechnung. Und wenn Dir's fehlt, so borge nicht
etwa, sondern schreibe uns Dein Bedürfniß, damit wir selbst Rath


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über hinweg zu stolpern hatte. Das Geschirr schlotterte haltlos um
feilte dürren Schultern und war nebst der Andeutung eines vormals
geführten Schweifes das Einzige an dem Thiere, welches einige Be¬
weglichkeit verrieth. Das zweite Pferd blickte melancholisch grad' aus,
schloß dann, wie weim es sich eine herbe Erinnerung vor die Seele
rufe, die träumerischen Augen - ich vermuthe, daß es Betrachtungen
über die enorme Länge des Wegs vou Dresden nach Leipzig bei so
geringer Breite eben desselben anstellte — und dann schauderte ihm,
im wörtlichsten Sinne, die Haut. Das Pferd blieb nämlich mit allen
Gliedern ruhig stehen, aber die Haut zuckte und zitterte am ganzen
Körper hin und her, als ob sie nirgends angewachsen wäre. Das
dritte Pferd war eine unvermählt gebliebene Schimmelin; auch engli-
sirt war sie worden in glanzvollern Tagen. Mehr braucht von dieser
mißhandelten Unschuld nicht bemerkt zu werden.

„Lebe wohl und schreibe sogleich, wie Du angekommen, was Du
für eine Wohnung genommen, wer Deine Wirthsleute sind und wie
Du mit dem Kaffee zufrieden" — sagte die Mutter an meinem linken
Arme — „säume nicht, sogleich die nöthigsten Collegia zu belegen und
gib mir Nachricht, bei wem Du die Institutionen hörst", sprach der
Vater, mich von der rechten Seite zurückhaltend.

„Laß Dir nichts von der Wäsche wegkommen, Du hast doch den
Zettel dazu in der Brieftasche? Auch das Gewicht Deiner Federbet¬
ten habe ich Dir aufgeschrieben. Unredliche Menschen nehmen manch¬
mal ein paar Pfund heraus; gib ja ordentlich Acht und theile auch
Dein Geld gut ein. So wie Deine Zeit! Geh' nicht in schlechte Ge¬
sellschaft. — Und am allerwenigsten zu einer verbotenen Verbindung.
Beim Auspacken der Kleiderkiste sei selbst zugegen, denn Deine Mund¬
tasse liegt oben auf. Grüße alle Bekannten angelegentlich von mir,
an die Du Briefe hast und warte nicht Wochen lang, bevor Du Deine
Besuche abstattest. Betrinke Dich nicht, Du bist zu jung, um so viel
zu vertragen, als Andere! In dieser Beziehung hatte ich eine stattli¬
chere Meinung von mir, aber es war kaum Zeit zu hören, keineswegs
aber zu widerlegen. Ich stand schon mit dem einen Fuße im Wagen¬
tritte, aber nachdem die Mutter gesprochen, fiel der Vater mit einem
kräftigen Schütteln meines Arms ein:

„Halte Dir keinen Hund, das bringt Verlegenheiten und Händel!
Und trage keine Sporen, es ruinirt die Kleider. Ueber Deine Ausga¬
ben führe Buch und Rechnung. Und wenn Dir's fehlt, so borge nicht
etwa, sondern schreibe uns Dein Bedürfniß, damit wir selbst Rath


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[0315] über hinweg zu stolpern hatte. Das Geschirr schlotterte haltlos um feilte dürren Schultern und war nebst der Andeutung eines vormals geführten Schweifes das Einzige an dem Thiere, welches einige Be¬ weglichkeit verrieth. Das zweite Pferd blickte melancholisch grad' aus, schloß dann, wie weim es sich eine herbe Erinnerung vor die Seele rufe, die träumerischen Augen - ich vermuthe, daß es Betrachtungen über die enorme Länge des Wegs vou Dresden nach Leipzig bei so geringer Breite eben desselben anstellte — und dann schauderte ihm, im wörtlichsten Sinne, die Haut. Das Pferd blieb nämlich mit allen Gliedern ruhig stehen, aber die Haut zuckte und zitterte am ganzen Körper hin und her, als ob sie nirgends angewachsen wäre. Das dritte Pferd war eine unvermählt gebliebene Schimmelin; auch engli- sirt war sie worden in glanzvollern Tagen. Mehr braucht von dieser mißhandelten Unschuld nicht bemerkt zu werden. „Lebe wohl und schreibe sogleich, wie Du angekommen, was Du für eine Wohnung genommen, wer Deine Wirthsleute sind und wie Du mit dem Kaffee zufrieden" — sagte die Mutter an meinem linken Arme — „säume nicht, sogleich die nöthigsten Collegia zu belegen und gib mir Nachricht, bei wem Du die Institutionen hörst", sprach der Vater, mich von der rechten Seite zurückhaltend. „Laß Dir nichts von der Wäsche wegkommen, Du hast doch den Zettel dazu in der Brieftasche? Auch das Gewicht Deiner Federbet¬ ten habe ich Dir aufgeschrieben. Unredliche Menschen nehmen manch¬ mal ein paar Pfund heraus; gib ja ordentlich Acht und theile auch Dein Geld gut ein. So wie Deine Zeit! Geh' nicht in schlechte Ge¬ sellschaft. — Und am allerwenigsten zu einer verbotenen Verbindung. Beim Auspacken der Kleiderkiste sei selbst zugegen, denn Deine Mund¬ tasse liegt oben auf. Grüße alle Bekannten angelegentlich von mir, an die Du Briefe hast und warte nicht Wochen lang, bevor Du Deine Besuche abstattest. Betrinke Dich nicht, Du bist zu jung, um so viel zu vertragen, als Andere! In dieser Beziehung hatte ich eine stattli¬ chere Meinung von mir, aber es war kaum Zeit zu hören, keineswegs aber zu widerlegen. Ich stand schon mit dem einen Fuße im Wagen¬ tritte, aber nachdem die Mutter gesprochen, fiel der Vater mit einem kräftigen Schütteln meines Arms ein: „Halte Dir keinen Hund, das bringt Verlegenheiten und Händel! Und trage keine Sporen, es ruinirt die Kleider. Ueber Deine Ausga¬ ben führe Buch und Rechnung. Und wenn Dir's fehlt, so borge nicht etwa, sondern schreibe uns Dein Bedürfniß, damit wir selbst Rath 42*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/315>, abgerufen am 26.08.2024.