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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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tigung der Juden sprechen; ich will in kurzen Sätzen zeigen, daß wir
durch Unterdrückung und Knechtung der Juden den Despotismus be¬
festigen, unter dem wir selber seufzen, daß wir unsre Nationalität be¬
schimpfen, so lange wir die Juden von derselben ausschließen wollen.

Das wirksamste Haupthindernis; der Judenerlösung liegt unstreitig
blos in unsern christlichen Vorurtheilen und persönlichen Antipathien.
ES gibt freisinnige Männer, welche es offen aussprechen, daß sie von
Unserer Ungerechtigkeit gegen die Juden vollkommen überzeugt sind,
daß sie aber dessen ungeachtet durch ein gewisses Etwas, durch ein
angeerbtes, ja angebornes Vorurtheil, durch eine unbezwingliche Ab¬
neigung verhindert seien, für die gänzliche Aufhebung jener Ungerech¬
tigkeit zu stimmen. Allein, wenn auch uicht geläugnet werden kann,
daß in den jetzigen Volkszuständen der Juden noch mancherlei vor¬
komme, was eine gewisse Abneigung erregen kann, und wenn es serner
nur allznwahr ist, daß die mit der Muttermilch eingesogenen Vorur¬
theile das ganze Leben beherrschen; so ist es doch eben für diejenigen
Freisinnigen, die wirklich von einem Vorurtheil, von einer Antipathie
gegen das Judenthum und gegen die Juden besessen sind, um der all¬
gemeinen Freiheit willen die dringendste Pflicht, für die Judenfreiheit
zu wirken. Denn lassen wir persönliche, angeerbte Vorurtheile und
Neigungen in politischen Dingen herrschen, so rechtfertigen wir da¬
durch die uns allen feindlichen Vorurtheile und Neigungen derjenigen,
die uns alle beherrschen. Wie wir es den Juden machen, so machen
sie es uns. Aus angeerbten Vorurtheilen, aus persönlicher Antipathie
gegen die Demokraten, gegen die "Antichambre, die in den Salon drin¬
gen will," versagen uns die Herrscher die staatsrechtliche Anerkennung
und Freiheit. So lange wir aus gleichen Gründen gleiches Unrecht
an den Juden verüben, anerkennen wir das despotische Princip, nach
welchem in Staats- und Nationalsachen persönlichen Antipathien und
Vorurtheilen ein herrschender Einfluß eingeräumt wird.

ES gibt freisinnige Volksmänner unter uns, die dem Princip nach
das Recht der Juden auf staatsrechtliche Gleichstellung und Freiheit
anerkennen, aber dennoch gegen die unversäumte und vollständige
Durchführung dieses Princips stimmen, weil, wie sie sagen, die Juden
für die Freiheit noch nicht reif seien, sondern erst nach und nach durch
stufenweise Concessionen herangebildet werden müßten. Buchstäblich
dasselbe setzt die despotische Partei unserm eigenen Freiheitsstreben ent¬
gegen. Sie ist zwar auch schon so weit gebracht, daß sie die staats¬
rechtliche Freiheit dem Princip nach nicht mehr negiren kann; aber sie


tigung der Juden sprechen; ich will in kurzen Sätzen zeigen, daß wir
durch Unterdrückung und Knechtung der Juden den Despotismus be¬
festigen, unter dem wir selber seufzen, daß wir unsre Nationalität be¬
schimpfen, so lange wir die Juden von derselben ausschließen wollen.

Das wirksamste Haupthindernis; der Judenerlösung liegt unstreitig
blos in unsern christlichen Vorurtheilen und persönlichen Antipathien.
ES gibt freisinnige Männer, welche es offen aussprechen, daß sie von
Unserer Ungerechtigkeit gegen die Juden vollkommen überzeugt sind,
daß sie aber dessen ungeachtet durch ein gewisses Etwas, durch ein
angeerbtes, ja angebornes Vorurtheil, durch eine unbezwingliche Ab¬
neigung verhindert seien, für die gänzliche Aufhebung jener Ungerech¬
tigkeit zu stimmen. Allein, wenn auch uicht geläugnet werden kann,
daß in den jetzigen Volkszuständen der Juden noch mancherlei vor¬
komme, was eine gewisse Abneigung erregen kann, und wenn es serner
nur allznwahr ist, daß die mit der Muttermilch eingesogenen Vorur¬
theile das ganze Leben beherrschen; so ist es doch eben für diejenigen
Freisinnigen, die wirklich von einem Vorurtheil, von einer Antipathie
gegen das Judenthum und gegen die Juden besessen sind, um der all¬
gemeinen Freiheit willen die dringendste Pflicht, für die Judenfreiheit
zu wirken. Denn lassen wir persönliche, angeerbte Vorurtheile und
Neigungen in politischen Dingen herrschen, so rechtfertigen wir da¬
durch die uns allen feindlichen Vorurtheile und Neigungen derjenigen,
die uns alle beherrschen. Wie wir es den Juden machen, so machen
sie es uns. Aus angeerbten Vorurtheilen, aus persönlicher Antipathie
gegen die Demokraten, gegen die „Antichambre, die in den Salon drin¬
gen will," versagen uns die Herrscher die staatsrechtliche Anerkennung
und Freiheit. So lange wir aus gleichen Gründen gleiches Unrecht
an den Juden verüben, anerkennen wir das despotische Princip, nach
welchem in Staats- und Nationalsachen persönlichen Antipathien und
Vorurtheilen ein herrschender Einfluß eingeräumt wird.

ES gibt freisinnige Volksmänner unter uns, die dem Princip nach
das Recht der Juden auf staatsrechtliche Gleichstellung und Freiheit
anerkennen, aber dennoch gegen die unversäumte und vollständige
Durchführung dieses Princips stimmen, weil, wie sie sagen, die Juden
für die Freiheit noch nicht reif seien, sondern erst nach und nach durch
stufenweise Concessionen herangebildet werden müßten. Buchstäblich
dasselbe setzt die despotische Partei unserm eigenen Freiheitsstreben ent¬
gegen. Sie ist zwar auch schon so weit gebracht, daß sie die staats¬
rechtliche Freiheit dem Princip nach nicht mehr negiren kann; aber sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/290>, abgerufen am 23.06.2024.