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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Schulen das Recht haben, Schüler fortzuschicken, welche entweder d"S
Erforderliche nicht leisten, oder ein sittlich böses Beispiel geben*).

6. Niemanden darf es also befremden, wenn die statistischen
Ergebnisse bei den Gerichten mit den Bemühungen der Staatsbe¬
hörden, das öffentliche Unterrichtswesen zu befördern, nicht nur nicht
im rechten Einklange, sondern bisweilen in schreienden Widerspruche
stehen").

Da nun die öffentlichen Schulen von Seiten der Staatsregierung
wohl die (einseitige) Bestimmung haben, die Jugend zu unterrichten,
aber nicht -- wenigstens im Ganzen nicht ausdrücklich -- auch die
Bestimmung, die Jugend zu erziehen; da selbst der öffentliche Unter¬
richt ein mangelhafter ist und an UnVollkommenheiten, welche weder
den Schülern, noch den Lehrern zur Last gelegt werden dürfen, leidet:
so sind auch die Schulen hinsichtlich der Erfolge des Unterrichts für
den Staat nur theilweise und bedingt, hinsichtlich betrübender Erschei¬
nungen aber, welche im Gebiete des sittlichen und rechtlichen L-ebens
der Staatsglieder vorkommen, so gut wie gar nicht verantwortlich.
Was unsere Statistiker und Staatsmänner bei ihren Berechnungen
und mitunter etwas voreiligen Schlüssen sich anmerken mögen.

"Wenn, um aller göttlichen Gnade willen, soll denn einmal jeu"
goldene Zeit anbrechen, wo die Erziehung der Kinder nicht mehr der
Erziehung junger Gänse gleichen wird, welche eben auch von keiner
andern Gans zur Weide gegackert werden, als von derjenigen, die sie
ausgebrütet hat? Ist es unausführbar und wird es unausführbar
bleiben, daß der Staat feine Kinder (in manchen, ja in vielen Fällen)
vor ihren Aeltern oder sonstigen, Aelternstelle vertretenden Verwandten
sichere und sich so feine künftigen Bürger rette?"






") Diese Strafe, welche von den höhern Schulen verhängt wird, trifft die
Eltern so gut als deren Kinder. Schlimm genug, daß diese büßen müssen, was
in der Regel jene allein verschuldet haben.
**) In Frankreich sind die Verhältnisse des Familienlebens und der öffent¬
lichen Zustände der Erziehung der Jugend, besonders der höher gebildeten, noch
viel ungünstiger als in Deutschland, daher dort auch die berührten statistischen
Ergebnisse weit betrübender als hier. Daß übrigens die katholische Religion ein
Abwehrmittel des Selbstmordes nicht ist, lehrt Frankreich grade zur Genüge;
und gibt es etwa nicht Beispiele davon, daß Selbstmörder vor der That sich erst
haben kirchlich absolviren lassen?

Schulen das Recht haben, Schüler fortzuschicken, welche entweder d«S
Erforderliche nicht leisten, oder ein sittlich böses Beispiel geben*).

6. Niemanden darf es also befremden, wenn die statistischen
Ergebnisse bei den Gerichten mit den Bemühungen der Staatsbe¬
hörden, das öffentliche Unterrichtswesen zu befördern, nicht nur nicht
im rechten Einklange, sondern bisweilen in schreienden Widerspruche
stehen").

Da nun die öffentlichen Schulen von Seiten der Staatsregierung
wohl die (einseitige) Bestimmung haben, die Jugend zu unterrichten,
aber nicht — wenigstens im Ganzen nicht ausdrücklich — auch die
Bestimmung, die Jugend zu erziehen; da selbst der öffentliche Unter¬
richt ein mangelhafter ist und an UnVollkommenheiten, welche weder
den Schülern, noch den Lehrern zur Last gelegt werden dürfen, leidet:
so sind auch die Schulen hinsichtlich der Erfolge des Unterrichts für
den Staat nur theilweise und bedingt, hinsichtlich betrübender Erschei¬
nungen aber, welche im Gebiete des sittlichen und rechtlichen L-ebens
der Staatsglieder vorkommen, so gut wie gar nicht verantwortlich.
Was unsere Statistiker und Staatsmänner bei ihren Berechnungen
und mitunter etwas voreiligen Schlüssen sich anmerken mögen.

„Wenn, um aller göttlichen Gnade willen, soll denn einmal jeu«
goldene Zeit anbrechen, wo die Erziehung der Kinder nicht mehr der
Erziehung junger Gänse gleichen wird, welche eben auch von keiner
andern Gans zur Weide gegackert werden, als von derjenigen, die sie
ausgebrütet hat? Ist es unausführbar und wird es unausführbar
bleiben, daß der Staat feine Kinder (in manchen, ja in vielen Fällen)
vor ihren Aeltern oder sonstigen, Aelternstelle vertretenden Verwandten
sichere und sich so feine künftigen Bürger rette?"






") Diese Strafe, welche von den höhern Schulen verhängt wird, trifft die
Eltern so gut als deren Kinder. Schlimm genug, daß diese büßen müssen, was
in der Regel jene allein verschuldet haben.
**) In Frankreich sind die Verhältnisse des Familienlebens und der öffent¬
lichen Zustände der Erziehung der Jugend, besonders der höher gebildeten, noch
viel ungünstiger als in Deutschland, daher dort auch die berührten statistischen
Ergebnisse weit betrübender als hier. Daß übrigens die katholische Religion ein
Abwehrmittel des Selbstmordes nicht ist, lehrt Frankreich grade zur Genüge;
und gibt es etwa nicht Beispiele davon, daß Selbstmörder vor der That sich erst
haben kirchlich absolviren lassen?
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[0282] Schulen das Recht haben, Schüler fortzuschicken, welche entweder d«S Erforderliche nicht leisten, oder ein sittlich böses Beispiel geben*). 6. Niemanden darf es also befremden, wenn die statistischen Ergebnisse bei den Gerichten mit den Bemühungen der Staatsbe¬ hörden, das öffentliche Unterrichtswesen zu befördern, nicht nur nicht im rechten Einklange, sondern bisweilen in schreienden Widerspruche stehen"). Da nun die öffentlichen Schulen von Seiten der Staatsregierung wohl die (einseitige) Bestimmung haben, die Jugend zu unterrichten, aber nicht — wenigstens im Ganzen nicht ausdrücklich — auch die Bestimmung, die Jugend zu erziehen; da selbst der öffentliche Unter¬ richt ein mangelhafter ist und an UnVollkommenheiten, welche weder den Schülern, noch den Lehrern zur Last gelegt werden dürfen, leidet: so sind auch die Schulen hinsichtlich der Erfolge des Unterrichts für den Staat nur theilweise und bedingt, hinsichtlich betrübender Erschei¬ nungen aber, welche im Gebiete des sittlichen und rechtlichen L-ebens der Staatsglieder vorkommen, so gut wie gar nicht verantwortlich. Was unsere Statistiker und Staatsmänner bei ihren Berechnungen und mitunter etwas voreiligen Schlüssen sich anmerken mögen. „Wenn, um aller göttlichen Gnade willen, soll denn einmal jeu« goldene Zeit anbrechen, wo die Erziehung der Kinder nicht mehr der Erziehung junger Gänse gleichen wird, welche eben auch von keiner andern Gans zur Weide gegackert werden, als von derjenigen, die sie ausgebrütet hat? Ist es unausführbar und wird es unausführbar bleiben, daß der Staat feine Kinder (in manchen, ja in vielen Fällen) vor ihren Aeltern oder sonstigen, Aelternstelle vertretenden Verwandten sichere und sich so feine künftigen Bürger rette?" ") Diese Strafe, welche von den höhern Schulen verhängt wird, trifft die Eltern so gut als deren Kinder. Schlimm genug, daß diese büßen müssen, was in der Regel jene allein verschuldet haben. **) In Frankreich sind die Verhältnisse des Familienlebens und der öffent¬ lichen Zustände der Erziehung der Jugend, besonders der höher gebildeten, noch viel ungünstiger als in Deutschland, daher dort auch die berührten statistischen Ergebnisse weit betrübender als hier. Daß übrigens die katholische Religion ein Abwehrmittel des Selbstmordes nicht ist, lehrt Frankreich grade zur Genüge; und gibt es etwa nicht Beispiele davon, daß Selbstmörder vor der That sich erst haben kirchlich absolviren lassen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/282>, abgerufen am 26.08.2024.